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Alle müssen das Ihre tun, um Abtreibungen zu verhindern

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Bisher war Herbert Salcher Tiroler SPÖ-Chef und Bundesobmann der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus (ACUS). Beides will er bleiben. Nur das Amt des Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreters wechselt er mit dem des Gesundheitsministers. Er kommt als Tiroler und Katholik nach Wien, ohne hier als Föderalismus- oder Religonsmini- ster von sich reden machen zu wollen - obwohl das Reden eine seiner Stärken ist, die er als Minister nützen will. Was ihm an Kompetenzen fehlt, will er mit Verhandeln und Überzeugen wettmachen. Mit Herbert Salcher sprach Hannes Schopf.

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Bisher war Herbert Salcher Tiroler SPÖ-Chef und Bundesobmann der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus (ACUS). Beides will er bleiben. Nur das Amt des Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreters wechselt er mit dem des Gesundheitsministers. Er kommt als Tiroler und Katholik nach Wien, ohne hier als Föderalismus- oder Religonsmini- ster von sich reden machen zu wollen - obwohl das Reden eine seiner Stärken ist, die er als Minister nützen will. Was ihm an Kompetenzen fehlt, will er mit Verhandeln und Überzeugen wettmachen. Mit Herbert Salcher sprach Hannes Schopf.

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FURCHE: Im Jänner 1978 haben Sie, Herr Dr. Salcher, anläßlich Ihrer Nominierung zum Spitzenkandidaten der Tiroler SPÖ für die Landtagswahlen 1979 gemeint, Sie möchten nicht als „verhinderter Minister“ in die Geschichte eingehen. Mit dem damaligen Entschluß, sagten Sie weiter, sei den Gerüchten, Sie wollten nach Wien übersiedeln, ein für allemal der Wind aus den Segeln genommen. Jetzt geht der Tiroler Salcher doch nach Wien.

SALCHER: Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste war, daß mir die Frage unmittelbar nach der Landtagswahl gestellt wurde. Meine Freunde vom Parteipräsidium und eine Reihe von Vertrauensleuten haben mir deutlich zu verstehen gegeben, daß man es nicht einsehen würde, die wahrscheinlich letzte Chance, daß ein Tiroler in eine Regierung eintritt, nicht wahrzunehmen. Damals, als ich Spitzenkandidat wurde, habe ich ausdrücklich meine Freunde gebeten, damit auch jedem Gerücht einer Übersiedlung nach Wien entgegenzutreten. Und jetzt hat sich die Haltung des Parteipräsidiums eben in der von mir geschilderten Richtung ergeben.

FURCHE: Übersiedeln Sie jetzt bedingungslos nach Wien?

SALCHER: Ich gehe bedingungslos.

FURCHE: Zeitungsmeldungen zufolge haben Sie Wünsche geäußert, etwa was den Zugriff auf den Was- serwirtschaftsfonds und das Arbeitsinspektorat betrifft.

SALCHER: Das ist sicher ein Mißverständnis. Ich įabe nur Beispiele genannt, die Frau Leodolter angestrebt hat. Daß man solche Verhandlungen weiterführt, die das Ministerium mit Kompetenzen auffetten, ist klar, aber konkret kann man das sicher nicht sagen.

FURCHE: Aber langfristig möchten Sie schon auf eine Kompetenzausweitung hinarbeiten?

SALCHER: Langfristig wäre es, das wird sich auch aus den Erfahrungen ergeben, sicher angenehmer, andere Kompetenzen dazu zu erhalten. Nur damit es kein Mißverständnis gibt: Das Arbeitsinspektorat ist traditionell beim Sozialministerium und dort in vielerlei engen Beziehungen eingebunden, ebenso wie die soziale Krankenversicherung mit den anderen Zweigen der Sozialversicherung mehr als mit der Gesundheitspolitik verbunden ist, weshalb es unsinnig wäre, hier eine Kompetenz anzustreben. Das muß man klarstellen. Was das Arbeitsinspektorat angeht, ist das Mißverständnis vielleicht daraus entstanden, daß ich mir eine Art Umweltschutzanwalt - ähnlich dem Arbeitsinspektorat - für betriebliche Umweltschutzangelegenheiten Wünsche.

FURCHE: Der Bundeskanzler hat sich einen Minister mit Durchschlagskraft gewünscht. Bringen Sie die nach Wien mit?

SALCHER: Ich glaube, daß ich . nicht der Typ des durchschlagskräf- tigen’MenšChen bin, wenn inan unter Durchschlagskraft die Verfolgung einer harten, brutalen eigenen Meinung versteht. Wenn man aber das Ministerium mit seiner Hauptaufgabe der Kooperation und Koordination betrachtet, dann wird die Durchschlagskraft anders zu verstehen sein. Ich habe gelernt, in einer Minderheitssituation zu verhandeln und zu überzeugen. Mit den Leuten reden, das wird eine Hauptaufgabe sein: Mit der Sozialversicherung ebenso wie mit der Ärztekammer, mit anderen Regierungskollegen ebenso wie mit den Ländern und auch mit den Gesundheitsverantwortlichen der anderen Parteien. Ich bin nicht so überheblich zu glauben, daß die anderen mit schlechtem Willen an die Arbeit gehen. Und mit jedem, der gutwillig ist, bin ich zur Zusammenarbeit bereit.

FURCHE: Sie sind also von der ersten Stunde an bereit zur Kooperation im Dienst der Sache?

SALCHER: Das ist ein Grundsatz meiner bisherigen Arbeit, den ich nicht aufgeben werde.

FURCHE: Bleiben wir beim Thema Kooperation. Gleichzeitig mit Ihnen übernimmt Karl Sekanina als Neuling“ ein Ministerium. Jetzt könnten da - wenn man Ihren zurückliegenden Tiroler Landtagswahlkampf mit seinen Umweltaspekten vor Augen hat- gerade im Zusammenhang Stra- ßenbauund Umweltschutz vom ersten Tag an Konflikte entstehen. Sekanina wird ja schließlich nicht zuletzt deshalb Bautenminister, weil man von ihm den raschen Ausbau des Autobahn- und Straßennetzes erwartet.

SALCHER: Das ist richtig, das ist seine Aufgabe. Meine Aufgabe wird sein, auf umweltgefährdende Auswirkungen von Vorhaben - gleich welcher Art - hinzuweisen. Da wird’s schon Diskussionen geben. Vielleicht. Vielleicht auch nicht, denn noch kenne ich seine Absichten nicht. Ich bin ja kein Umwelthysteriker, der glaubt, man braucht keine Autobahnen.

FURCHE: Ihnen eilt jetzt nach Wien aus Ihrer bisherigen Tätigkeit ein gewisser Ruf voraus. So war es immer Ihr Anliegen, das Gesundheitssystem menschlicher zu gestalten. Was darf man in dieser Beziehung nun vom Minister Salcher erwarten?

SALCHER: Erwarten kann man einmal, daß man örtlich nahe alle Gé- sundheits- und Sozialdienste anbietet…

FURCHE: Ein oder kein staatlicher Gesundheitsdienst?

SALCHER: Nein. Der freie Arzt in der demokratischen Gesellschaft ist einer meiner Grundsätze. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber wenn sie das Gesundheits- und Sozialwesen in der atomisierten Form betrachten: Da gibt es einen praktischen Arzt. Da gibt es eine Sprengeihebamme, die keine Geburt mehr hat - ein Berufspotential, das beispielsweise bei uns in Tirol nicht ausgenützt ist. Da gibt es Gemeindeschwestern. Da gibt es ein Altersheim, wo ein Mittagstisch für ältere Menschen angeboten wird. Da gibt es Erziehungsberatung, psychiatrische Beratung - alles was notwendig ist. Das gibt es, nur ist es nicht koordiniert Und das müßte man versuchsweise zusammenfassen, so wie das etwa in Zirl bei Innsbruck an einem Modell erprobt wird. Neue vorsorgemedizinische Modelle, Gesundheitsberatung, Gesundheitserziehung - das soll das Gesundheitswesen menschlicher machen.

FURCHE: Sie werden also versuchen, Modelle zu forcieren und zu unterstützen, die dann für den größeren Rahmen Beispiel sein sollen.

SALCHER: Richtig. Ich bin nicht so überheblich zu glauben, daß eine Idee nur deshalb richtig ist, weil sie von mir kommt. Man müßte also Modellversuche etwa drei Jahre - wissenschaftlich begleitet - laufen haben, um dann Schlüsse zu ziehen: Wird die Krankenhaushäufigkeit geringer? Wird die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Krankenhaus kürzer? Wie wirkt sich das auf die Krankenhaussituation aus? Wie ist das Gesundheitsbewußtsein der Bevölkerung? Trinken, essen und rauchen die Menschen auch bei Beratung so wie bisher? Wenn das funktioniert und positive Ergebnisse bringt, wird man über die Ausdehnung solcher Modelle reden und verhandeln können. Das ist vielleicht meine etwas zögernde Art, Politik zu machen, aber dadurch arbeite ich sparsam, auch was die eingesetzten Steuermittel betrifft.

FURCHE: Apropos Steuermittel. Wird Ihnen da nicht auch noch die Frage der Krankenanstaltenfinanzierung einiges Kopfzerbrechen bereiten?

SALCHER: Die bereitet mir Kopfzerbrechen, obwohl ein großer Schritt gemacht wurde. Einmal ist es die Kostenentwicklung: Hier haben wir aber mit dem Krankenanstaltenfonds Möglichkeiten, an der Rationalisierung mitzuwirken. Zum anderen beruhen die Finanzierungsgrundsätze weiterhin auf dem Abgang, auf der Pflegedauer und auf der Bevölkerungszahl. Das sind Parameter, die nicht rationalisierungsfördemd sind. Das haben aber die Landesfinanzreferenten und die Landeshauptmänner ausgemacht, das ist nicht der Frau Minister Leodolter zuzuordnen. Da wird man darüber reden müssen, ob nicht ein anderes System besser ist. Das wird aber, weįl es ein Uber- zeugungs- und Berechnungsprozeß ist, sehr lange dauern. Als Gesundheitsminister bin ich verpflichtet, diesen Meinungsbildungsprozeß zu initiieren.

FVRCHE: Während über dieses heiße Eisen aber doch, gesprochen wird, wird ein anderes von den Politikern - gleich welcher Partei - heute gemieden: die Fristenlösung. Dabei geht es längst nicht mehr um die Frage einer Bestrafung des Schwangerschaftsabbruches, sondern um die Folgen, die mit der Fristenlösung verbunden sind. Einerseits ist die Frist selbst nicht unumstritten, anderseits hat die Fristenlösung skrupellosen Geschäftemachern den Weg geebnet. Sehen Sie da als Gesundheitsminister nicht auch eine Verantwortung, hier einzugreifen?

SALCHER: Ich glaube, daß unsere Gesetze gut sind, muß aber auch dazusagen, warum - sonst werde ich wieder falsch ausgelegt. Entscheidend ist das Gewissen des Arztes. Niemand darf gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, und niemand hat einen Nachteil als Arzt, wenn er das tut. Von diesem Grundsatz her ist das ärztliche Gewissen das Entscheidende. Der Vorwurf der Geschäftemacherei trifft also Ärzte, die ihren ärztlichen Beruf mit Geschäftsinteressen vermengen, was sich ja eigentlich gegen ethische Grundsätze des Arztseins richtet. Ich möchte darauf verweisen, daß in man jenen Krankenhäusern, die von Abtreibungsgeg- nem verwaltet werden, doch etwas - im Sinne der Indikationenlösung, die auch die „Aktion Leben“ nicht ausschließt - großzügiger sein sollte, dann würde man mehr moralische Glaubwürdigkeit haben, wenn man sich gegen Geschäftemacher wendet. Für mich ist das keine Frage mehr „Fristenlösung: ja oder nein“. Denn diese Frage ist nicht emotionsfrei abzuhandeln und der Schaden einer neuerlichen Diskussion wäre größer als der Nutzen, gleichgültig, wer dann letztlich obsiegt. Für mich geht es darum, daß alle Leute, die in diesem Land guten Willens sind, das’ Ihre tun müssen, um die Zahl der Abtreibungen zu verringern. Hier geht es vor allem darum, daß in einem Sozialstaat wie Österreich eine soziale Indikation praktisch ausgeschlossen sein müßte. Und es geht darum, daß man in anderen echten Konfliktsituationen die Frau nicht in die Arme der Geschäftemacher treibt. Also: Daß Profite gemacht werden, ist nicht unbedingt eine Folge der Fristenlösung, sondern es gibt eben auch im Arztberuf - so wie in anderen Berufen auch - Leute, die als Outsider agieren.

FURCHE: Bleiben wir bei diesen Außenseitern. Sind Sie damit einverstanden, daß spezielle Abtreibungskliniken errichtet werden? In Wien liegen der Gesundheitsbehörde derzeit beispielsweise zwei Anträge zur Errichtung einschlägiger „Krankenanstalten“ vor.

SALCHER: Primäre Aufgabe einer Krankenanstalt muß es sein, zu heilen. Eine Krankenanstalt sollte nicht speziell nur für Abtreibungen errichtet werden, das widerspricht dem Sinn von Krankenhäusern. Aus der Tiroler Erfahrung muß ich sagen, daß die Krankenanstalten Abtreibungen überhaupt nicht, durchführen und dann selbst in Konfliktsituationen nichts zu machen ist. Man könnte solche Abtreibungskliniken nur dadurch ad absurdum fuhren, daß man für Konfliktsituationen Auswege in den Krankenanstalten eröffnet. Aber vom Sinn einer Krankenanstalt her, ist eine reine Abtreibungsklinik nicht zu befürworten.

FURCHE: Etwas, was aber sehr wohl den Gesundheitsminister Salcher in diesem Zusammenhang direkt betrifft, ist die Zusammenarbeit von Vermittler und Arzt, von Zu- und Abtreiber. Der Geschäftszweck, der die beiden Geschäftspartner zusammengeführt hat, besteht nämlich darin, das Ärztegesetz mit seinem Werbe- und Provisionsverbot zu umgehen. Darf das inösterreich unbeanstandet erlaubter Geschäftszweck sein?

SALCHER: Das kann nicht Sinn sein. Aber es ist auch nicht Aufgabe des Gesundheitsministers, hier primär einzugreifen, denn wir haben ja wesentliche Aufgaben der ärztlichen Standespolitik den Ärztekammern überlassen. Und wenn der Selbstreinigungsprozeß funktioniert, wenn also die Ärztekammern in dieser Richtung ihren Pflichten nachkommen, dann müßte die berufliche Interessensvertretung eingreifen. Wenn das nicht geschieht, dann müßte man sich vom Gesundheitsministerium aus mit den Leuten von der Ärztekammer doch unterhalten. Man muß die Ärztekammer nicht nur auf ihre Rechte, die manchmal sehr angenehm sind, weil das viel Selbstverwaltung bringt, aufmerksam machen, sondern auch auf die Pflichten, die Standesinteressen zu vertreten.

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