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Auf Reformwelle

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Zerteilt die WUener Festwochen! Verteilung aufs ganze Jahr! Nein, Abschieben amj den Sommer, weils da dem Fremdenverkehr zugute käme (obwohl da kein renommiertes Orchester in Wien ist, die Bundettheater geschlossen sind, ihr Personal in Salzburg arbeitet!). Bundesländergastspiele zu den Wiener Festwochen (wer kennt nicht diese Pleiten, wie sie etwa das Grazetr Gastspiel mit Gombrowicz' „Operette“ erlebte!). Mehr Wettbewerb...! Alle ereifern sich zum Thema Festwochen, schreien nach Umstruktu-rievung, Verbesserung, Neuplacierung, ob mit oder ohne Bezirksfestivals, rrtit oder ohne Einbeziehung der „Häuser der Begegnung“, mit pder ohne Versuche, neue Püblükumsschichten dadurch zum Kbilturkcmsum zu animieren usw.

Es hat sich halt aümählich herumgesprochen, daß man auch über die Festwochen redet, Sogar bis zu jenen, denen Festivals und ihr geistiges Angebot bis dato recht egal zu sein schienen. Aber da in dem vergangenen zwei, drei Jahren Wiera Festwochenchef Virich Baumgartner nach gründlichen Pleiten, Debakeln, sozusagen also mit seinen „verflixten Jahren“ sich ins (schlechte Nach-) Gerede katapultiert hatte und es nur so Angriffe hagelt, reiten halt jetzt noch alle auf der Welle „Festwochenerneuerung“.

Übersehen haben sie dabei leider, daß Unvorhegesehenes passiert ist. Baumgartner, Noch-Fest-wochenintendant, hat mit diesem, seinem 12. Festival recht Bemerkenswertes auf die Beine gebracht: Ein Festival, das im In-und Ausland Lob erntete, sich international sehen lassen konnte. Ein rundes Ganzes mit einer imponierend gelungenen Eigenproduktion der Mozart-Oper „Titus“ (die hoffentlich an die Staatsoper übersiedelt), mit sehenswerten Gastspielen wie dem Stuttgarter „Käthchen von Heübronn“, der Royal Shakespeare Company, der Martha Graham Dance Company, neben einer einzigen, auch vom Autor her nicht recht geglückten Uraufführung von Bernhards „Berühmten“; und mit dem wichtigen Sankt Marxer Arena-Festival, das mit Peter Brooks „The Ik“, Savarys „Grand Magic Cir-cus“, Athens „Erotokritos“, dem Cotton-Club und anderem auch sensationelle Publikumserfolge bescherte. Festwochen also, von höchst informativem internationalem Zxischnitt. Internationale Highlights, die nicht bloß amüsierten und in die Arena obendrein offensichtlich neue PubK-kumsschichten zogen, sondern vielleicht sogar für heimische Produktionen eine Menge Impulse vermittelten, Maßstäbe setzten ...

In Wien, wo natürlich alles ein wenig paradox ist, bedeutet das natürlich, daß diese gelungenen Festwochen für ihren Organisator eine Art Schwanengesang waren. „Ich bin über eine persönliche Intrige gestolpert“, ließ Ulrich Baumgartner intern alle wissen, die's interessierte. Und damit sein starker Abgang“ nicht gar zu abrupt ausfiele, gestanden Wiens Stadtväter dem also Rehabilitierten für 1977 gnadenweise ein letztes Mitspielen zu. Mit seinem Nachfolger, Gerhard Freund, zur Rechten, wird Baumgartner sein Abschiedsfestival 1977, ein internationales Ballettfest, arrangieren.

Festwochendiskussion hin, Festwochendiskussion her! Dieses Festival 1976 hat freilich eines deutlich gezeigt: Wo erste Festivalqualität geboten wird, wird auch das aufgeheizte Gespräch um Strukturfragen, Organisationschefs, ihre Position, ihr Selbstverständnis, wird auch die Diskussion um „elitäres“ oder „nichtelitäres“ Publikum, um neue Publikumsschichten und all diese heute längst in den „modernen“ Sprachgebrauch übergegangenen Phrasen, eher an den Rand gedrängt. Denn, was kann ein Festival im Grunde mehr Plus verbuchen, als ausverkaufte Häuser, begeistertes Publikum, positive Kritiken, ja sogar internationales Lob? Wer soll da den ,Jlufer in der Wüste“ spielen, von dringender Reform reden? Denn diesem müßte man zum Beispiel sagen, daß es nicht (oder nur sehr am Rande) Aufgabe von großen Festivals und Festwochen sein kann, neue Publikumsschichten zum Kulturkonsum zu animieren ... Oder zum Beispiel in die Bezirke jenseits der Donau, nach Simmering, nach Favoriten Kultur zu tragen. Das wäre ja das reinste Alibispektakel, Augenaus-wischerei (und über solche Versuche ist der jetzige Festwochenintendant ohnedies auch schon gestolpert!).

Hingegen müßten sich Wiens Kulturverantwortliche sehr wohl eine Menge einfallen lassen, diese weißen Flecken auf Wiens Kulturlandkarte das ganze Jahr über zu bespielen, diese systematisch aufzuschließen. Das wäre Pionierarbeit. Und mindestens ebenso wichtig wie ein gelungenes Festival. Nur hat halt das eine mit dem änderen, also mit den „Wiener Festwochen“ rein gar nichts zu tun!

Allerdings haben wir manche dieser Probleme gerade erst in den letzten Jahren als wirklich akut kennengelernt. Und zwar nicht zuletzt durch Baumgartners — teils geglückte, teils mißglückte — Versuche. Mit Nachtstudios, Rand- und Bezirksaktivitäten, Arenaspielen. Bleibt also jetzt die Frage: Wie geht's weiter? Soll man diese Probleme in Hinkunft überhaupt im Festwochenrahmen diskutieren? Oder sollte man mit dem >rArena“-Projekt nicht doch noch mehr Publikum zu erfassen suchen, das ganze Jahr über? Und wenn also der neue Festwochenintendant Freund und Baumgartner für die nächsten Jahre gemeinsam drangehen, ein Konzept zur Bespielung des Wiener Randes etwa, oder für ein Gastspieltheater im Ronacher usw., auszuarbeiten, so sollte man dann sich zum Stichwort „Festwochen“ eigentlich schon auf Grundsätzliches, auf Leitlinien, geeinigt haben. Denn für Doppelgleisigkeit wird das Geld ja kaum vorhanden sein.

Keine Frage sollte es allerdings sein, daß Wiens Festwochen mehr denn je ihre internationale Fasson wahren sollten. Sie zum Gastspielzirkus für Bundesländerproduktionen abzuwerten, wäre ebenso sinnlos, wie wenn man sie mit Wettbewerben oder irgendwelchen Provinzaktivitäten vollpfropfen wollte. Wenigstens einmal im Jahr hier große internationale Leistungen vorzuzeigen — dais ist es, was Wien braucht. Damit Maßstäbe erkennbar bleiben, vor allem bei der Beurteilung der österreichischen Leistungen; und damit es an Informationen nicht allzu sehr mangelt. Denn Wiens Kultur ständig nur im eigenen Saft schmoren zu lassen, könnte auf die Dauer unliebsame Folgen haben.

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