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So geht es nicht weiter

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Die Staatsoper geht schnorren, die Zahl der Neuinszenierungen am Wiener Burgtheater ist in der jetzigen Spielzeit um ein Drittel gesunken, die Stadt Wien hat die Galerienförderung eingestellt, der Rechnungshof berichtet Schauerliches über den Umgang mit öffentlichen Mitteln im Bereich der Bundestheater, das Raimundtheater und das Volkstheater schleppen Kredite nach, Museumszentrum, Messepalast und Ronacher bekommen ein Sparkonzept verpaßt, und sämtliche Festspiele heben mit Hilfe ihrer Landespolitiker beschwörend die Hände zum Himmel — oder besser gesagt zum Bund. Die allgemeine Finanzmisere der öffentlichen Hände wird in der Kultur deutlich sichtbar, wobei das Gehör zu wünschen übrig läßt, denn zum einen hat „die Kultur“ immer gejammert, zum anderen haben auch alle anderen Sektoren unseres öffentlichen Lebens Geldsorgen aller Art — einer mehr oder weniger, der über die Zeit der leeren Kassen klagt, fällt schon nicht mehr auf.

Bevor in das allgemeine Getöse eingestimmt wird, muß man sich vielmehr die Frage stellen, ob das alles wirklich richtig ist.

Österreich und seine Bundesländer leisten sich ein sehr eindrucksvolles Kulturbudget im Vergleich zu anderen Ländern, Ausgaben für Kultur sind bei uns höher als Verteidigungsausgaben — wie immer man dazu steht —, internationales Renommee wird für Österreich im allgemeinen noch immer über die Kultur geholt. Außerdem muß ja auch bisher genug Geld dagewesen sein, sonst hätte man es nicht an einigen inzwischen bekannt gewordenen Stellen verschwendet, und verschwendet es an anderen, die man nicht so genau kennt, immer noch. Bevor man also ans Wehklagen oder gar ans Einschränken geht, müssen wir überprüfen, wo das Geld hinausrinnt, beziehungsweise wo es wieder hereinkommen könnte.

Man muß sich über die Struktur der Kulturaufgaben im klaren sein: Nicht so sehr der schöpferische Akt, das Neue, Kreative, der Dichter, Komponist, Maler und Bildhauer und so weiter werden belohnt, sondern: die Reprodu-zenten — wie es etwas häßlich heißt — sowie die Administration haben sich abgesichert. Das Vorhandensein von fixen Anstellungsverhältnissen, beziehungsweise Pragmatisierungen genügt schon, um die Budgets von Bund, Ländern und Gemeinden beträchtlich zu belasten. Ob nun in den Bundestheatern gespielt wird oder nicht, ist ziemlich egal, die Einsparung würde bloß etwa fünfzehn Prozent betragen.

Eine jahrzehntelange Entwicklung zu einem Sicherheitssystem, wie sie in anderen Zweigen des öffentlichen Dienstes auch stattfand, hat sich hier niedergeschlagen. Es ist auch verständlich: Warum sollen Künstler betteln gehen, wenn andere Millionenverträge haben? Die Verluste der österreichischen Kulturinstitutionen bringen immer noch mehr Renommee als die Verstaatlichte Industrie.

Das ist sicher ein richtiges Argument, aber noch keine Bergrün-dung dafür, in gleichem Sinn weiterzutun. Einigen Spielraum gäbe es da schon, der bisher nicht genutzt wurde: Es ist zu hoffen, daß das neue Bundestheater-Management — wenn es ein solches sein will — dafür sorgt, daß der Einsatz der Mittel optimiert wird. Wenn etwa Burg- und Akademietheater tageweise zusperren, in der Burg die große Bühne für Proben gar nicht genutzt wird, der Lusterboden und das Vestibül mit lächerlichen Sitzplatzzahlen zu Spielorten werden, während die Regien für das große Haus weiterlaufen, kann man von Verschwendung reden.

Die Premieren- und Inszenierungsplanung in Oper, Burg- und Akademietheater soll hinsichtlich einer vernünftigen gleichmäßigen Auslastung der Werkstätten auch kein Optimum darstellen. Bei Gastspielen in Japan sind etwa jetzt schon viel höhere Zuschüsse zu erzielen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Man müßte für Opernaufführungen nicht immer Gäste engagieren, wo es auch heimische Kräfte gibt. Von der Teilung dessen, was man früher Burg-Ensemble nannte, in solche, die mit dem Direktor kamen und von ihm auch eingesetzt werden, und solchen, die es außer auf der Gehaltsliste gar nicht mehr gibt, gar nicht erst zu reden.

Während die Oper bei den Kartenpreisen die obere Grenze der Möglichkeiten erreicht hat, scheinen Burg und Akademie auf Einnahmen zu verzichten, deren Fehlen dem Steuerzahler wieder auf die Tasche fällt. Im übrigen gäbe es da noch die Möglichkeit, die inzwischen beträchtlich angeschwollene Bundestheaterverwaltung personell zu reduzieren. Der wahrscheinlich zu groß gekaufte Computer und die mangelnde Software haben jedenfalls bisher nicht zu einer betriebswirtschaftlich ordentlichen Führung der Häuser des Bundes beigetragen.

In eine ähnliche Richtung wäre an die Gewerkschafts- und Personalvertreterseite zu appellieren, die erzielten Regelungen zu überdenken. Ob nicht manches unter heutigen Gesichtspunkten leistungsfeindlich ist, was früher als Erfolg verbucht wurde? Wenn gewerkschaftliche Regelungen einmal so beschaffen sind, daß sie von kleineren Ensembles vermieden werden müssen, um das Theater nicht zu ruinieren, muß einiges nicht mehr zeitgemäß sein.

Was sich in Kleinbühnen tut, was dem Serapionstheater gelungen ist und welche Zwei-Klassen-Gesellschaft unter Künstlern damit entsteht, sollte die gewerkschaftliche Solidarität beschäftigen. Wenn es andere, Kleinere mit bescheideneren Mitteln können, warum sollten die Großen nicht von der Einsatzfreude neuerer Gruppen lernen? Im Zeitalter der Ladenöffnungsdiskussion darf nachgedacht werden...

Die Zeit der leeren Kassen hat auch bewirkt, daß Mittel aus der Wirtschaft im Kulturbereich auch akzeptiert werden. Noch ist es ja nicht soweit, daß es Werbeeinschaltungen auf den Bühnen gibt, in Konzertsälen Spots in den Pausen gebracht werden und Künstler Aufsichtsratspräsidenten porträtieren müssen wie früher Aristokraten. Verständlicherweise drängen die Großen der Wirtschaft zu den Großen der Kultur: Millionen für die Staatsoper sind denn populärer als ein paar zehntausend Schilling für den Literaten oder Maler. Kulturpolitiker müssen aber hier gegensteuern: Das Budgetproblem kann so nicht gelöst werden, wohl aber wird die Existenzgrundlage der Kreativen breiter, wenn es ein privates Interesse an Kauf und Sponserung von Ergebnissen eines kreativen künstlerischen Prozesses gibt. Hoffentlich geht die Steuergesetzgebung den Weg, der versprochen wurde, nämlich Ausgaben für solche Kreativität auch zu berücksichtigen. Und wenn nicht: Statt der Autokosten eines Monates sollte einmal ein Bild drinnen Sein, statt der Kosten einer Sitzgarnitur könnte ja auch ein literarischer Abend finanziert werden. Der Umgang mit der Kunst muß für einen guten österreichischen Bürger selbstverständlich werden.

Viel Geld gibt es gegenwärtig für das, was wir „Österreichs Image“ nennen. Aus der Unsicherheit, die uns die letzten zwei Jahre im Verhältnis zu der uns umgebenden Welt beschert haben, gibt es plötzlich viel Verständnis für Imagepolituren bei Leuten, denen die Kultur ansonsten früher nicht viel wert war.

Der ehrliche Umgang mit Kultur und mit uns selbst würde es allerdings verdienen, daß wir das Geld dorthin verrechnen, wo es hingehört: Man soll es nicht der Kultur wegnehmen, sondern von der Politik herholen.

Wenn wir jetzt viel Geld ausgeben wollen, um in den Hauptstädten der Welt für Österreich und Wien und für eine Weltausstellung zu werben, müssen wir zuerst darüber nachdenken, was wir herzeigen wollen. „Cats“ und das „Phantom der Oper“ kann man auch in London und New York sehen, manche Wiener Inszenierungen waren auch schon in Bochum, und Alfred Hrdlicka ist auch kein junger Künstler mehr. Ob nicht das viele Geld für das „Image“ nicht für die Politur, sondern für die Substanz verwendet werden sollte?

Sobald die Künstler, die heute leben, tot sind, werden wir sie ge^ nauso herzeigen und für uns vereinnahmen, wie jene, die das Renommee der Stadt Wien um 1900 ausmachten. Mich bewegt manchmal die Frage, ob man sich jener, auf die wir als Tote so stolz sind, heute bedienen würde, wenn sie noch lebten. Die Förderung der Lebenden ist die beste Investition in die Gegenwart und in die Zukunft unseres Landes — nicht nur im Bereich der Kultur.

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