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„In das Wasser werfen...“

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Österreich war mit seiner filmproduktiven Kapazität nach dem ersten Weltkrieg auf den Absatz in den Nachfolgestaaten angewiesen, mit Aufkommen des Tonfilms auf den deutschsprachigen Raum. Daran hat sich seit nun 40 Jahren nichts geändert. Österreich hatte im Wellental der internationalen Publikumsgunst seit den frühen zwanziger Jahren einige Höhepunkte erreicht und es hatte vor allem für jene später international berühmt gewordenen Künstler als Durchzugsstation gegolten, mit denen man von Teplitz-Schönau über Wien nach Berlin springen konnte. Interessanterweise traf dies noch zu, als Wien, in vier Zonen geteilt, ohne Zukunft zu sein schien und nur eine traditionsreiche Vergangenheit zu bieten hatte. Dann aber hatten wir Glück, wir wurden frei und irgendwer hat irgendwann einmal behauptet, jetzt sei Wien Weltstadt. Er hat's möglicherweise geglaubt.

In den Zeiten vorher aber hatten die Italiener, die Franzosen, die Engländer, die Spanier, ja sogar die Schweden und die Dänen — von den Ostblockstaaten ganz abgesehen — den Wert des belichteten Laufbildes in all seinen Spielarten erkannt und für seine kontinuierliche Produktion gesorgt. Dann schloß sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zusammen und legte bei dieser Gelegenheit fest, daß die Filmbestimmungen in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft harmonisiert werden müßten. Es ist viel Wasser den Rhein, den Tiber und die Seine hinuntergeflossen, aber zu einer Filmharmonisierung kam es nicht. Die deutsche Bundesrepublik hatte nichts aufzuweisen außer Geld aus dem Ufa-Vermögen; die Italiener zweigten durch Gesetz einen Teilbetrag der Vergnügungssteuer in ihren Produktionsförderungsfonds ab; die Franzosen wollten ihren Export ankurbeln und ersetzten den Produzenten alle Exportkosten inklusive der zu leistenden Abgaben; die Spanier hinwieder gingen mit den Preisen so weit herunter, daß sie in ihr Sonnenland Amerikas Großproduktionen lockten, Hollywood aushungerten, und selbst den Vorteil hatten, eine eigene Produktion aufbauen zu können, für die sie eine Quotaregelung einführten: Innerhalb bestimmter Zeiträume eines Jahres müssen in jedem Kino spanische Filme gespielt werden.

Die Schweden hatten nicht etwa die Vergnügungssteuer abgeschafft oder diese sozial gestaffelt, sondern sie beibehalten, das Erträgnis nicht an die Gemeinden abgeführt, sondern in einen Fonds, aus dem die Filmproduktion gefördert wurde und wird.

Österreich steht als einziges, dem westeuropäischen Kulturkreds zuzuzählendes Land noch abseits und wir haben kurz darüber berichtet, welche Gründe für diese Außenseiterrolle ebenso maßgeblich waren wie für die Notwendigkeit, daß nunmehr etwas geschehen müsse. Nun gibt es Leute, die meinen, man könne aus den Fehlern anderer lernen und sie selbst vermeiden. Man könne von

überall das Beste nehmen und werde dann eine Filmförderung haben, die so in etwa das Exzellenteste darstellt, was Europa zu bieten hat. Wie. das Schicksal aber nun einmal so spielt, sind die Filmförderungsmaßnahmen in all den zitierten und noch mehr Staaten organisch gewachsen, ein Stein hat sich zum anderen gesellt und Künstler, die mit Zement umgehen können, haben sie aneinandergefügt. Niemand wird allen Ernstes glauben, daß eine Aufpfropfung das organische Wachstum ersetzen kann.

Wir wollen uns gar nicht über die sprachliche und der Größe des Marktes entsprechende Abhängigkeit vom gesamten deutschsprachigen Gebiet auslassen, auch nicht über die eine oder andere Grenze schielen, um mögliche Vorteile für uns nützen zu können. Im Gegenteil, wir verlangen von dieser Bundesregierung eigene, dem österreichischen Wesen ebenso wie seiner künstlerischen und wirtschaftlichen Produktionskapazität entsprechende Ideen. Wir haben gleiche Forderungen an die vorhergegangenen Regierungen gestellt.

Ein klares und eindeutiges Ja zu Maßnahmen, die den österreichischen Film fördern. Ein ebenso klares Nein aber zu einem Paragraphenkonglomerat, das dort die Schaffensfreiheit einengt, wo es einer solchen am dringendsten bedarf, ein Nein zu einem Gesetz, das bestehende Zustände zementiert oder die künstlerische Legitimation vom (sehr umstrittenen) Besuch einer Filmschule abhängig macht. Film ist Industrie und Kunst. Weil Kunst in ihm eine Rolle spielt, hat man ihm Starthilfe zu geben. Um es auf gut österreichisch auszusprechen: er ist ins Wasser zu werfen, aber schwimmen muß er selbst. Wenn er schwimmt und trotzdem kein Ufer erreicht, gilt kein Vorwurf der Obrigkeit, wenn sie für Wasser im Bassin gesorgt hat. Aus den zur Zeit bestehenden Thesen und Antithesen eine Synthese zu finden, ist Aufgabe der damit befaßten Personen. Man darf hoffen, es möge ihnen gelingen, und die sich aufdrängende Befürchtung zurückstellen, es könnten spielerisch politische Kräfte am Werk sein, die in Filmförderungsmaßnahmen ein Renteninstitut nicht nur für die seinerzeit Erfolgreichen, sondern auch für die heute Erfolglosen sehen.

Wenn jemand glaubt, es müsse irgendein kultureller Wert auf Zelluloid der Nachwelt erhalten bleiben, dann möge er zu diesem Zweck Budgetgelder verwenden, denn es liegt wahrscheinlich im Interesse der Allgemeinheit. Wer aber meint, der Film sei nicht ausschließlich, aber doch sehr weitgehend eine Ware, die verkauft werden will, der möge sich an die immer noch geltenden Gesetze von Angebot und Nachfrage halten und bedenken, daß veraltete Produktionsstätten einem modernen Medium ebensowenig nützlich sind wie Werbemethoden der zwanziger Jahre. Wer das alles logisch zu durchdenken versucht, kommt ganz von selbst zu dem Schluß, daß jedem, der etwas beizutragen hat, Starthilfe zu gewähren sei und daß es an ihm selbst liegt, zu beweisen, ob er sein Erzeugnis auch verkaufen kann. All das liegt in dem Wort „Förderung“; andernfalls müßte man die zur Beratung stehenden Maßnahmen ganz anders bezeichnen.

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