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Der Herr X aus München

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Stuhls beschränkte sich allein darauf. Er legte keinerlei eigentlichen Friedensvorschlag vor. Ebenso war nicht? davon die Rede, die Probleme Osteuropas unilateral zugunsten Deutschlands zu regeln ... Das Ziel der interessierten deutschen Kreise war ein vom Nationalsozialismus befreites Deutschland. Die Sowjetunion wurde in keiner Weise und in keinem Moment erwähnt. Außerdem fand der Versuch zwischen Ende 1939 und den ersten Monaten 1940 statt, also zu einer Zeit, als die Sowjetunion in enger Verbindung zum nationalsozialistischen Deutschland stand.“

Diese Erklärimg wurde vom Papst persönlich verfaßt und trägt seine handschriftlichen Korrekturen4

(S. 141 f.). In der Tat hatte keinerlei persönlicher Kontakt zwischen dem Heiligen Vater und Dr. Josef Müller oder irgendeinem seiner Auftraggeber stattgefunden. Dr. Müller hatte vielmehr seine Aufträge und Anfragen in mündlichen Besprechungen mit P. Leiber, anfangs mit Prälat Kaas, zur Weiterleitung vorgebracht. Der Papst hatte diese kommentarlos an den englischen Gesandten . beim Heiligen Stuhl weitergeleitet, zumeist auch wieder über P. Leiber. Erst im kritischen Endstadium hatte Pius XII. den englischen Gesandten Sir Francis d'Arcy Osborne persönlich empfangen, der jeweils die Gegenfragen und Antworten des britischen Außenamts überbrachte. Diese wurden von P. Leiber an Dr. Müller und von diesem an seine Dienststelle in Berlin geleitet. Nach seiner Erinnerung brachte Dr. Müller die endgültige englische Antwort Ende Februar oder anfangs März zurück, die dann im eingangs erwähnten X-Bericht verarbeitet wurde.

Im April 1940 ließ GO. Beck durch Dr. Müller in Rom die abschließende

Erklärung überreichen, daß „die Verhandlungen nicht mit entsprechender Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden können“; die Generale — damit war die Armeeführung gemeint — könnten sich leider nicht zum Handeln entschließen; Hitler werde angreifen und der Angriff stehe unmittelbar bevor (S. 139).

Nach den Tagebüchern des GO. Alfred Jodl wurde der 10. Mai nach wiederholter Verschiebung am 7. Mai endgültig als Angriffstag festgelegt. Daher konnte ihn Dr. Müller Ende April noch nicht wissen. Der Kardinal-Staatssekretär Maglione gab am 3. Mai dem päpstlichen Nuntius in Brüssel telegraphische Nachricht, daß „nach verläßlichen Quellen“ der Angriff an der Westfront, der auch gegen Belgien, Holland und vielleicht die Schweiz gerichtet sein werde, unmittelbar bevorstehe5.

Nun hatte es aber genügend Warnungen vor dem bevorstehenden Angriff , aus verschiedenen anderen Quellen gegeben: so verzeichnet der italienische Außenminister Ciano in seinen Tagebüchern bereits am 9. November 1939, dann wiederholt im Dezember 1939 und im Jänner 1940, Nachrichten über einen bevorstehenden Angriff auf Belgien und Holland. Er informierte im Jänner 1940 sowohl den belgischen Gesandten in Rom, als auch den holländischen Ministerpräsidenten über diese Möglichkeit; insbesonders warnte er die italienische Kronprinzessin, die diese Information an ihren Bruder, den belgischen König, weitergab. Die Italiener waren von offizieller deutscher Seite, so auch von Ribbentrop, unterrichtet. Auch sonstige deutsche Besucher von Rang, wie der Reichsarbeitsführer Robert Ley, waren bei römischen Besuchen gesprächig6. Schließlich waren die Belgier gewarnt, da ihnen am 10. Jänner 1940 durch die infolge Nebels erfolgte Notlandung eines deutschen Kurierflugzeugs in Me-cheln Material in die Hände gefallen war, das sich mit den Angriffsplänen auf Belgien und Holland befaßte. Dr. Müllers Information bestätigte daher nur, was sowohl dem Vatikan als auch dem Quirinal längst aus verschiedenen anderen Quellen, übrigens auch aus dem Westen, bekannt war. '

Der Papst hatte sich entschlossen, zur Beendigung des Krieges die von ihm erbetenen „Guten Dienste“, denn nur um solche und nicht um eine „Vermittlung“ mit eigenen Vorschlägen hatte es sich gehandelt, nicht zu versagen. Damit befand er sich auf völkerrechtlich einwandfreier Basis. Nach den bei den Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) getroffenen Abkommen wird unter „Leistung guter Dienste“ die Bemühung verstanden, die Streitteile zur Wiederaufnahme von Verhandlungen zu bewegen, ohne jedoch selbst Vorschläge zur Konfliktsbeendigung zu machen. Genau darum hat es sich aber gehandelt. Der Heilige Stuhl bleibt grundsätzlich den Streitigkeiten zwischen anderen Staaten fern, „doch behält er sich in jedem Fall das Recht vor, seine moralische und geistige Autorität geltend zu machen7“.

Es ist nur zu begreilich, daß die Beschäftigung mit der dramatischen Entwicklung im Zenith seines Lebens, bis zur schließlichen Katastase, den zu innerst aus Uberzeugungsgründen Engagierten nicht losläßt. Was nachher kam, bleibt trotz aller Bewegtheit und Beweglichkeit im Auf und Ab der politischen Karriere mit ihren Erfolgen und Enttäuschungen ein Abgesang.

Der Gründer und 1. Landesvorsitzende der CSU hatte nichts von seinem Aktivitätsdrang und seiner Kontaktfreudigkeit eingebüßt. Seine zunächst guten Beziehungen zur amerikanischen Besatzungsmacht, die bis zu General Clay reichten, erlitten eine Abkühlung, als er sich gegen die zunächst bekannt summarische amerikanische Entnazifizierungspraxis wandte. Als offenbare Folge fand er sich dann im Dezember

1946 zu seiner Überraschung selbst als „Belasteter“ im Sinn des Entnazifizierungsgesetzes durch eine bayerische Spruchkammer eingestuft, mit „gesetzlichen Tätigkeitsund Beschäftigungsverbot“ und damit verbundener Vermögensbeschlagnahme. Grund: seine frühere Tätigkeit beim deutschen Geheimdienst (Abwehr) im Ausland! Der offenkundige Kurzschluß war bald korrigiert und Dr. Müller ging auf politische Vortragstournee in alle Besatzungszonen, war bald wie eh und je mit Freund und Gegner, einschließlich die russischen Militärbehörden in Berlin, auf Du und Du, und arbeitete intensiv für die politische Einigung Deutschlands. Sein zweites großes Anliegen war ein echt ökumenisches, die Zusammenarbeit der katholischen und evangelischen Christen.

In den Verhandlungen um die neue bayerische Staatsverfassung, die durch Volksentscheid beschlossen wurde, setzte er sich, ebenso wie bei den Landtagswahlen, durch, bei denen die CSU mit über 52 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit errang. Meinungskonflikte mit anderen verdienten Mitgliedern und Führern der ehemaligen Bayerischen Volkspartei vereitelten den Erfolg seiner Kandidatur für den bayerischen Ministerpräsidenten. Im Kabinett Ehard wurde und blieb er von

1947 bis 1952 Justizminister und bis 1950 stellvertretender Ministerpräsident. Verschiedentliche Differenzen mit Dr. Konrad Adenauer hatten zur Folge, daß er 1949 als Landes-Vorsitzender der CSU abgewählt wurde. Bis 1962 blieb er Mitglied des Landtags. Franz Josef Strauß erwähnt er in einem eigenen Abschnitt des Schlußkapitels als „einen der ersten Mitarbeiter vor allem im altbayerischen Bereich“ und als seinen „politischen Erben“ (S. 358 f).

Dem Leser helfen gekonnt erzählte Episoden, die Vorstellung des Autors und seiner wichtigsten Gesprächspartner in ganzseitigen Photos, übersichtliche Gliederung der 14 Kapitel, und ein Namensregister bei der Lektüre. Sie ist nicht immer einfach, nachdem es sich um die gewiß nicht alltäglichen, bewußt nüchtern geschriebenen, und dabei stellenweise atemberaubend spannenden Lebenserinnerungen eines Autors handelt, der sich zeitlebens „den Luxus der eigenen Meinung“ (Bismarck) geleistet hat und für sie auch einstand.

Er hat wohl eigentlich immer mehr vom Sprechen als vom Schreiben gehalten. Warum er sich schließlich doch an den Schreibtisch gesetzt hat? „Ein Buch ist ein verhindertes Gespräch“ (Hans Urs von Balthasar)...

BIS ZUR LETZTEN KONSEQUENZ — EIN LEBEN FÜR FRIEDEN UND FREIHEIT. Von Josef Müller. Süddeutscher Verlag, München 1975. 384 Seiten mit Literaturverzeichnis und Namensregister.

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