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Der Teufel im Spiel

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Ajatollah Khomeinis Haßtira- den haben der Kontroverse um das Buch „Satanische Verse“ des englischen Schriftstellers indo-moslemischer Herkunft, Salman Rushdie, eine gefährliche Dimension verliehen, der sicher noch viele Menschenleben zum Opfer fallen werden. Abgesehen von dieser tragischen internationalen Tragweite mit ihren zahlreichen diplomatischen Auswirkungen, handelt es sich bei dem Konflikt um ein keineswegs ungewöhnliches Phänomen in der islamischen Welt.

Und zwar läuft es jedesmal so ab, daß irgendein Religionsgelehrter gegen ein modernistisches Buch zu wettern beginnt. In der Regel hat er es selbst gar nicht gelesen. Ein Rivale oder Neider des

Autors hat ihm zugeflüstert, es böte sich hier eine Chance, sich als Glaubensstreiter zu profilieren, wenn nicht gar als Heiliger und Märtyrer.

1985 meldete ein ägyptischer Polizeioffizier, er habe ein äußerst obszönes Buch beschlagnahmt mit dem verdächtigen Titel „Tausend und eine Nacht“. Seine Vorgesetzten ergriffen sofort Maßnahmen, jene schreckliche Schrift im ganzen Lande einzuziehen.

Der Wirbel um die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie geht - im wesentlichen - auf eine so banale politische Intrige zurück, daß sich einem fast die Feder sträubt, will man diese „byzantinische“ Geschichte zu Papier bringen.

Es begann alles in Pakistan, nicht etwa im Iran. Die Proteste pakistanischer Gruppen in England gegen Rushdies Buch waren einem abenteuerlichen Mauläna (ein religiöser Titel, den man — sehr frei — mit „Bischof“ wiedergeben könnte) zu Ohren gekommen. Mauläna Kausar Niazi ist in etwa die schillerndste Figur auf der romantischen Politszene Pakistans.

Ursprünglich war der redegewaltige Mullah zweiter Mann in der kleinen Islamisten-Partei Dschama at-e islami, doch überwarf er sich mit dem Chefideologen des Islamismus, Parteigründer Maudüdi, der weltweites Ansehen genoß.

Niazi schloß sich dann der PPP (Pakistanische Volkspartei) Ali Bhuttos an und wurde zu deren Minister für Islamische Angelegenheiten. Sein voller Titel lautete „Minister für Information, Rundfunk, fromme Stiftungen und Pilgerwesen“, weshalb er auch „Pilger-Minister“ genannt wurde.

Bald nach dem Sturz Ali Bhuttos und dessen Hinrichtung arrangierte sich der Erzopportunist Niazi mit dem Regime des islami- stischen Generals Zia ul-Haq. Da ihm inzwischen niemand mehr traut, hat es aber Niazi nicht leicht, politisch wieder Anker zu werfen.

Was er nun mit dem Buch von Salman Rushdie angestellt hat, ist im Grunde genommen nur eine Wiederholung eines geradezu klassischen Schemas der pakistanischen Politik. So kam es beispielsweise 1968 zu Massendemonstrationen gegen das hochgelehrte Buch eines islamischen ‘. Reformdenkers, Fazlur Rahmän,

der für die Islam-Politik des damals regierenden Generals Ayüb Khan zuständig war.

Das in einem sehr akademischen Englisch verfaßte Buch mit dem Titel „Islam“ war Jahre zuvor für ein westliches Leserpublikum in England herausgegeben worden. Nun aber demonstrierten in Dakka (heute Bangladesh) über zehntausend Analphabeten gegen dieses angeblich „Islamfeindliche“ Werk, das schnell verboten wurde. Die Proteste weiteten sich aus und brachten schließlich das zehnjährige Regime Ayüb Khans zu Fall, unter dem Pakistan sich immerhin eines gewissen Wohlstandes erfreute. Fazlur Rahmän mußte ins Exil gehen, er starb 1988 in Chicago.

Was war geschehen? Einem tolldreisten Mullah aus Bangladesh (damals Ostpakistan) namens Maulwi Farid Ahmad war ein Tip gegeben worden, gegen Rahmän zu agitieren und daraus politisches Kapital zu schlagen. Der skrupellose Mullah-Abgeordnete, der selbst seine amerikanischen Zigaretten über die saudi-arabische Botschaft bezog, nahm den Rat dankbar an und hatte damit Erfolg.

Nach dem Machtantritt Ali Bhuttos 1971 versuchten die Islamisten sogleich, ein Chaos zu entfachen, daß der böse Sozialist zum Rücktritt gezwungen werden würde. Es war die gleiche Vorgangsweise mit bewaffneten Gewaltakten gegen Polizisten, die jetzt, im Februar 1989, gegen das amerikanische Kulturzentrum angewandt wurde.

Wer das schicksalhafte Vergnügen hat, Mauläna Kausar Niazi aus nächster Nähe gründlich zu kennen (der Autor dieser Zeilen ist noch immer ein Bewunderer seines einstigen Vorgesetzten), der braucht gär nicht um Einzelheiten nachzuforschen:

Niazi wollte wieder einmal mitmischen, natürlich beim Sieger der pakistanischen Parlaments wahlen vom November 1988. Da er leer ausging, blieb ihm die Karte der von Islamisten beherrschten Geheimdienste /Interservices Intelligence ISI), die Benazir Bhutto zu Fall bringen wollen.

Nachdem Niazi erst einmal den Konfrontationskurs eingeschlagen hatte, ging es ihm vorrangig um pan-islamistische Anerkennung als tapferer Glaubensstreiter.

Insofern konnte ihm gar kein größeres Glück widerfahren, als bei der Islamabader Demonstration leicht verletzt zu werden und schnurstracks mit eindrucksvollen Bandagen in der Nationalversammlung zu erscheinen. Als Medienfachmann wird er seinen frommen Einsatz noch gehörig ausschlachten. In der islamischen Welt haben wir jetzt eine „Salman Rushdie-Dekade“ vor uns.

Benazir Bhuttos Regierung hat abzufangen versucht: So will Pakistan eine internationale Konferenz über Rushdies Buch abhalten, mit dem Ziel, dieses mit einem Globalbann zu belegen. Unter anderen Umständen hätten sich die Spitzenpolitiker ihrer Partei kaum für diese Frage interessiert. So aber sind sie gezwungen, den Fanatikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Was Khomeini betrifft, so ist es falsch, anzunehmen, er hätte seinen Wutausbruch gegen den frevelnden Romancier von langer Hand vorbereitet.

Tatsächlich hat der Ajatollah erst durch die pakistanischen Ausschreitungen von dem Fall Wind bekommen. Auch über Salman Rushdie hat der wiederge kehrte Imam erst erfahren, als er einen seiner Spaziergänge machte, wie üblich mit seinem kleinen Transistor-Radio.

Zweifellos dient dieser neue Beweis himmlischer Eingebung bei Khomeini den Interessen einiger Kreise innerhalb des Regimes, und es ist nicht auszuschließen, daß die radikale Haltung bei ihm von Einflüsterern am Lodern gehalten wird. Charakteristisch für Khomeini ist ja, daß er, obwohl häufig ein Nachzügler, es immer wieder versteht, sich zum Karawanenführer zu machen.

Betrüblich ist, daß sich im Falle Salman Rushdies nur die Pressefreiheit verteidigen läßt. Ansonsten kann man für die „Satanischen Verse“ kaum auf die Barrikaden gehen. Denn was er da schreibt, muß jeden ehemals Kolonisierten anwidern, gleich ob Moslem oder nicht.

Weshalb benutzt er typisch ko- lonialistische Schimpfwörter? Mohammed heißt bei ihm Ma- hound, wie zur schlimmsten Zeit des anglo-indischen Vizekönigtums. Da dreht sich sogar einem moslemischen Agnostiker der Magen um.

In Wirklichkeit ist das Buch noch viel giftiger, als unseren Glaubenshelden bisher überhaupt bewußt geworden ist. Khomeini kann kein Englisch, und’ auch bei Mauläna Niazi reicht es gerade zum Flirten mit Diplomatenfrauen. Außerdem fehlt es ihnen und ihren Gefolgsleuten an Geschichtskenntnissen. Wenn ihnen gebildetere Islamisten erst einmal klarmachen, wofür die Verballhornung Mahound (Teufel) eigentlich steht, wird das Kopfgeld auf Rushdie womöglich verdoppelt.

Rushdie schadet der Entwicklung eines freieren Geistesschaffens in der moslemischen Welt sehr. Denn nichts brauchen Moslems heute so sehr wie eine Neubearbeitung ihrer religiösen Quellen und einen Durchbruch im Offenbarungsverständnis. Die Frage nach einigen Versen, die Satan dem Propheten Mohammed beinahe untergeschoben hätte, hat auch die alte islamische Theologie beschäftigt. Weshalb hat Rushdie mit seinem Buch, in das er diese Verse einbaute, auf so schreckliche Weise verbaut?

In Zukunft wird es noch schwieriger sein, irgendeine Form der Korankritik zu betreiben. Jeder unabhängige Geist wird nun wohl auf lange Zeit mit dem Hinweis auf die „Satanischen Verse“ mundtot gemacht und beschuldigt werden, ein zweiter Salman Rushdie zu sein.

Des Inhalts wegen kann man sich also mit Khomeini und Konsorten nicht anlegen - so schade das auch ist. Das einzige, was man tun kann - und eine erstaunliche Zahl moslemischer Intellektueller in England hat das mit großem Mut getan —, ist, die Meinungsfreiheit zu verteidigen und gegen den Terror von Leuten zu protestieren, die im Grunde genommen noch nicht einmal Faschisten, sondern nur reine Opportunisten sind.

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