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Der Tod des Dichters

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Das Original des nachstehend abgedruckten Briefes von Frau Irene Hellmann an ihren Bruder, Univ.-Prof. Josef Redlich, befindet sich im Nachlaß Josef Redlich und wurde der FURCHE von Univ.-Prof. Fritz Fellner zur Verfügung gestellt. Josef Redlich hatte Hugo von Hofmannsthal Anfang der 1890er Jahre kennengelernt, als er zu dem Kreis jener politisch und kulturell engagierten Menschen zählte, die sich zur Gründung der Wochenzeitung „Die Zeit“ zusammengefunden hatten und zu denen auch Hermann Bahr gehörte.

Sommeraufenthalte in AlUAus-see, wo Redlichs Mutter eine Sommervilla erworben hatte, führten zur Bekanntschaft von Redlichs Schwester Irene mit Hofmannsthal. Nach ihrer Verehelichung mit Paul Hellmann wurde ihre Wohnung in Wien und später die von der Mutter geerbte Villa in Alt-Aussee zum Mittelpunkt künstlerischer Aktivitäten und eines Freundeskreises zu dem u. a. Richard Strauss, Egon Wellesz, Gustav Mahler, Jakob Wasser-

Ich will versuchen, mich so weit zu fassen, um über seinen Tod an Dich zu schreiben, vielleicht kann ich's dann eher begreifen, dieses unsagbare Unglück. Ich wußte lange Zeit, daß er uns nicht lange geschenkt bleiben würde, aber jetzt wäre er nicht gegangen, hätte dieses „unglückselige Kind“, wie er Franz immer nannte, ihn nicht durch seinen Tod getötet. Ich weiß nicht, was Du aus Zeitungen erfahren, hast;, am Samstag,. n,ach einem harmonisch verlaufenen Mittagessen in Rodaun .(Eltern und beide Söhne) ging Franz in sein Zimmer, setzte sich ins Fau-teuü, nahm das Buch „Elisabeth u. Essex“ mit und war kurze Zeit danach eine Leiche. Ein Schuß durch den Kopf! - Da eben ein starkes Gewitter war, hörte man's kaum, erst nach einiger Zeit entdeckte der Chauffeur die Tat und was dann folgte, ist unbeschreiblich. Hugo soll dann den ganzen nächsten Tag tieftraurig, aber ruhig gewesen sein, hat alles selbst angeordnet, in der Nacht von Sonntag auf Montag 7 St. geschlafen; Montag, um 3 Uhr, sollte das Leichenbegängnis sein; Paul und Auspitz waren fast die einzigen Anwesenden; durch den Sonntag war's nicht public geworden. Als Paul hinkam, wurde gesagt, man möge direkt zur Kirche gehen; dort fiel es auf, daß beide Eltern bei der Einsegnung fehlten; es hieß „Nervenzusammenbruch“; inzwischen war dem Ärmsten, als er eben zum Zylinder griff und das Zimmer verlassen wollte, schlecht geworden. Gerty brachte ihn zum Sofa, er verlor das Bewußtsein, und 4 St. später war's vorbei, war alles erloschen, was Licht und Schönheit war. - Als Meli um 1/2 8 erschien (er hatte erst von Franz erfahren u. wollte zu Hugo eilen) traf er ihn, schön wie ein Jüngling, für immer verstummt. Gehirnschlag!! Jetzt sagen die Ärzte, er wäre nicht mehr lang am Leben geblieben. Ist das ein Trost?! Ich kann heut' nichts zusammenfassen, kann mir's nicht ausdenken, daß er morgen Nachm. auf dem Kalksburger Friedhof in's Grab gesenkt wird. Unser letztes Beisammensein war - vor einem Friedhofstor in Klosterneuburg! -

Vor 8 Tagen hat er an Isepp einen Brief geschrieben, voll neuer Pläne, hoffnungsvoll. Ist das Leben des Sohnes überhaupt dafür gestanden? Hat er dem Vater jemals eine Stunde Freude gemacht? Ich weiß so viel darüber aus Hugo's eigenem Munde! Ich mann, und vor allem Hugo von Hofmannsthal zählte.

Josef Redlich, der durch seine staatsrechtlichen und historischen Forschungen weltweite Anerkennung gefunden hatte, wandte nach der Auflösung des alten Reiches der Heimat enttäuscht den Rücken und wirkte von 1926 bis 1934 als Professor an der Harvard University in den USA. Paul und Irene Hellmann zogen sich immer mehr von der österreichischen Kulturszene zurück, bis dann der

Anschluß Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland zur völligen Zerstörung ihres Wirkens führte.

Paul Hellmann starb 1939, Irene Hellmann flüchtete in die Niederlande, von wo sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in das Konzentrationslager Auschwitz verschickt wurde, aus dem sie nicht mehr zurückkehrte.

Die Freundschaft Josef Redlichs und Irene Hellmanns mit Hugo von Hofmannsthal ist in ihrem veröffentlichten Briefwechsel dokumentiert.

sitze hier in der Günthergasse wie im Traum; als ich gestern um 8 Uhr Abend vor seinem Haus stand, läuteten die Abendglocken und dann kam der Mond in den alten Garten. Und oben saß eine arme, kleine Jammergestalt -Gerty -, deren Leben mit diesem Tag zu Ende ist! - Raimund, sehr gefaßt, mir nicht ganz erklärlich die arme Christiane kam heute um 3 Uhr mit dem Kind. - Und alles geht weiter,.u. in dem.JJa.us, das ich immer betreten habe wie-. eine, Kirche, stehen Menschen herum, die niemals darin waren. -Ich wollte schon nach Franz“ Tod kommen, wagte aber nicht, Hugo zu stören, hätte ihn ja auch nicht mehr gesehen. Nun ist's alles gleich; alles unwichtig um uns herum. In der Zeitung vom Dienstag steht vorn sein Tod, auf einer späteren Seite zeigt er den Tod seines Kindes an. -

Hat es je eine furchtbarere Tragödie gegeben?! - Uber ihn zu sprechen, wie er gewesen, was er in meinem Leben gewesen, soll heute nicht angetastet werden. In dem Brief, den er mir nach Fritzens Tod schrieb, steht drin: „Uber den Tod eines Menschen kann ich nicht klagen. Viel näher ist mir zu klagen, daß die Menschen von ihrem Leben einen so erbärmlichen Gebrauch machen. Wenn ich Ihnen den Schluß vom Welttheater lese, werden Sie verstehen, was ich meine. Sie verstehen es aber ohnedies. Wühlen Sie sich nicht in den Schmerz hinein, das ist unfromm und gottlos; wenn Ihr Bruder allein hätte sterben müssen, das wäre ein unerträglicher Gedanke.

Aber wir folgen ihm alle, aber zunächst haben wir noch zu leben, und das so gut und richtig als möglich.“ Soll ich ihn nun nur mehr aus seinen Briefen, seinen Werken reden hören? -

Mein liebster Josef, es fallt mir schwer aufs Herz, daß dieser dunkle Schatten in die Zeit fällt, in diese kurze Zeit Deines Verweilens in Europa. Aber Du hast ihn doch noch so herrlich gesehen, hast seinen einzig schönen Brief vom 18. Juni. Ich fahre Freitag mit Paul nach Aussee zurück. Paul hat auch so viel durch seinen Tod verloren, und ist so rührend gut zu mir in diesen Tagen. - Und was weiter sein wird? Ich weiß es noch nicht. - Ich will versuchen, „gut und richtig zu leben.“ Sei mit Trudi umarmt und kehre gesund heim, mein liebster Josef

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