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Deutsche Einigung und Kalter Krieg

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Die ideologische Auseinandersetzung zwischen Ost und West vollzieht sich tagtäglich. Die Frage nach den historischen Wurzeln dieses Konflikts bleibt daher interessant.

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Die ideologische Auseinandersetzung zwischen Ost und West vollzieht sich tagtäglich. Die Frage nach den historischen Wurzeln dieses Konflikts bleibt daher interessant.

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Josef Foschepoth, früher am Deutschen Historischen Institut in London tätig, hat in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Sammelbandes „Kalter Krieg und Deutsche Frage“ die gegenseitige Bedingtheit dieser zwei historischen Phänomene überzeugend dargestellt. Er meint, es lasse „sich eine Geschichte des Kalten Krieges ohne Berücksichtigung der Deutschen Frage ebenso wenig schreiben wie eine Geschichte der Deutschen Frage ohne Berücksichtigung ihres internationalen Bedingungszusammenhanges, mithin des Kalten Krieges“.

Dieser Sammelband und ein zweiter zur „Britischen Besatzungspolitik in Deutschland“, den Foschepoth gemeinsam mit dem Innsbrucker Ordinarius für Zeitgeschichte, Rolf Steininger, herausgegeben hat, werden wahrscheinlich Ausgangspunkt zukünftiger Forschung sein.

Dabei wird in dreifacher Weise die Geschichtsschreibung zur deutschen Nachkriegsgeschichte auf neue Beine gestellt:

• Die seit einiger Zeit beinahe sterilen Glaubens- und Grabenkämpfe der amerikanischen „Cold War“-Historiographie werden hier größtenteils ignoriert. Die Frage, ob der sowjetische Expansionismus oder der nach neuen Märkten strebende amerikanische Kapitalismus für den „Ausbruch“ des Kalten Krieges verantwortlich seien, ist dabei weniger relevant.

• Eine allgegenwärtige Thematik, wenn auch manchmal unausgesprochen, ist die bedeutende britische Rolle im ausbrechenden Kalten Krieg (und in seinem frühen Stadium). Dies hängt wohl auch damit zusammen, daß die erste Welle der Kalten-Kriegs-Geschichtsschreibung im Spiegel der zuerst geöffneten Washingtoner Akten geschrieben wurde.

Besonders der im Foschepoth-Band vertretene Brite Victor Rothwell hat wiederholt auf das merkwürdige historische Vakuum“ des britischen Beitrags zur i Entstehung des Kalten Krieges hingewiesen. Lothar Kettenacker zeigt auf, wie die Briten schon während des Krieges weit gründlicher als die Amerikaner für die Zeit der Okkupation geplant hatten.

Während die Amerikaner an der Jahreswende 1945/1946 noch mit ihrem Rückzug in den Isolationismus nach dem kriegerischen Engagement in Ubersee liebäugelten, waren es die Beamten des britischen Außenministeriums, geführt von Minister Ernest Bevin, die die amerikanischen Kollegen immer wieder vor der sowjetischen Gefahr warnten. Es dauerte beinahe zwei Jahre, bis die amerikanische Administration und das Volk diese Rufe ernst nahmen.

Wie verschiedene Autoren feststellen, gelang es den Briten im Jahre 1946 nur unter gewaltigen Anstrengungen, ihre norddeutsche Zone — die auch die bevölkerungsreichste und mit dem Ruhrgebiet wirtschaftlich bedeutendste war — vor dem politischen und wirtschaftlichen Chaos zu bewahren.

Dabei ist der innenpolitische Hintergrund des Inselstaates im Auge zu behalten: Das wegen der Kriegsanstrengung schwer verschuldete Großbritannien pumpte allein 1946 über hundert Millionen Pfund in seine Besatzungszone und bewahrte dadurch viele Deutsche vor dem Hungertod. Etwas zynisch sprach Schatzkanzler Hugh Dalton von britischen Reparationen an Deutschland.

Auch Rolf Steininger besteht schon längere Zeit darauf, die Briten seien „Vordenker“ der westlichen Politik gewesen und keineswegs nur Juniorpartner der USA. Erst mit Harry S. Trumans Rede vor dem Kongreß im März 1947, in der die „Eindämmungsdoktrin“ verkündet wurde, übernahmen die Amerikaner jene Verantwortung, die sie ob ihrer überragenden wirtschaftlichen und politischen Macht schon 1945 hätten ausführen sollen.

Vor den hier erwähnten Autoren hatte bereits Lord Bullock im dritten Band seiner umfassenden Bevin-Biographie auf die westliche Führungsrolle der Briten zwischen 1945 und 1947 hingewiesen. Erst nachdem die Briten ab 1947 selbst von amerikanischer Wirtschaftshilfe abhängig geworden waren, mußten State Department und Pentagon in Washington die britischen Positionen in Europa und im Mittleren Osten übernehmen.

• Die Bücher zeigen auch eingehend, wie vielfältig und vielschichtig Besatzungsplanung und Besatzungsalltag im viergeteilten besiegten Deutschland waren. Hier öffnen sich für den Rezensenten, wie dies oft bei Sammelbänden der Fall ist, die größten Schwierigkeiten. Wie soll man allen Autoren und Meinungen gerecht werden? Stellvertretend sollen nur die wichtigsten Themenkreise angeschnitten werden:

In der praktischen Ausführung der Besatzung gerieten in und um Deutschland nicht nur Sowjets und Amerikaner aneinander, wie man aus der herkömmlichen Historiographie glauben könnte.

In vielen Entscheidungen und ihren Durchführungen waren die Franzosen für die Anglo-Amerikaner ein ebenso unangenehmer Partner wie die Sowjets, war doch ihr Sicherheitsbedürfnis gegenüber zukünftiger deutscher Aggression ähnlich übertrieben wie das der Russen.

Jedoch auch zwischen Briten und Amerikanern gab es zahlreiche Reibungspunkte (zum Beispiel in der Reparationsfrage oder bei der Berlin-Blockade).

Die Frage, welcher Schritt nun derjenige war, der die Teilung Deutschlands besiegelte, muß aber auch nach Durchsicht dieser Beiträge ungeklärt bleiben. Es gab nämlich eine ganze Reihe wichtiger Weichenstellungen, an deren Ende die Teilung nicht mehr rückgängig zu machen war.

War schon 1946 die Zusammenlegung der britischen und der amerikanischen Zone zur „Bi-zone“ entscheidend? Waren es die Erignisse im ersten Halbjahr 1948, als die Sowjets aus dem alliierten Kontrollrat auszogen und damit die Zusammenarbeit aufkündigten, die Währungsreform oder die Berlin-Blockade?

War erst die Ablehnung von Josef Stalins Angebot zu einem wiedervereinigten und neutralisierten Deutschland im März und April 1952 die große „vertane Chance“ der deutschen Nachkriegsentwicklung?

Rolf Steininger ist zum Haupt-proponenten dieser These geworden. Aber Steininger steht vor dem Hauptproblem jedes Historikers, wenn es um das Nachvollziehen sowjetischer Motivationen geht: die Archive im Kreml bleiben nach wie vor verschlossen. Steiningers Beweiskette muß daher in der Hauptfrage brüchig bleiben: Haben die Sowjets das Angebot zur deutschen Wiedervereinigung auch ernst gemeint?

Andererseits ist Steininger überzeugend, wenn er akribisch genau nachvollzieht, wie Kanzler Konrad Adenauer die Diskussion um ein mögliches „Ausloten“ der diplomatischen Initiative der Sowjets nie aufkommen ließ. Neuere amerikanische und britische Dokumente zeigen, daß der Westen das Uberprüfen der Ernsthaftigkeit der Stalin-Initiative nicht beeinsprucht hätte.

Der argumentierfreudige Steininger steht auch im Mittelpunkt der Kontroverse in der Sozialisie-rungsdebatte. Während Horst Lademacher hinter den britischen Verstaatlichungsabsichten der Ruhrindustrien in erster Linie ideologische Motive der Labour-Regierung sieht, behaupten Steininger und Wolf gang Rudzio, es seien sicherheitspolitische Uber-legungen maßgebend gewesen: das Ruhrgebiet sollte nie wieder die wirtschaftliche Ausgangsbasis für eine deutsche militärische Aggression werden.

Andererseits wollten die Briten das Ruhrgebiet dem sowjetischen Zugriff vorenthalten. Die Wiederankurbelung der Ruhrindustrie war aber auch für den gesamten europäischen Wiederaufbau unerläßlich.

In den vorliegenden Büchern bestechen aber auch die Fallstudien zum Thema Wiederaufbau. Ian Turner geht dieser Frage am Beispiel der Volkswagenwerke nach und Alan Kramer in einer Hamburger Regionalstudie. Dabei wird klar aufgezeigt, wie die großen Fragen der internationalen Politik auf den wirtschaftlichen Neubeginn jeder deutschen Region bedeutende Auswirkungen hatten, also sozusagen der Kalte Krieg im kleinen.

Es ist nur zu wünschen, der Trend zu solchen Regional- und Lokalstudien möge sich fortsetzen. In ihrer künftigen Summe werden sie ein weitaus differen-zierteres Bild der Ereignisse des Kalten Krieges liefern.

Was aber all diesen Büchern fehlt, ist der Vergleich mit Österreich. Daran zeigen die deutschen Forscher offenbar kein Interesse.

Der Autor studiert amerikanische Geschichte und Internationale Politik an der Harvard-Universität.

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