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Infiltration statt Britische Ängste

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Mit Skepsis verfolgten die Westmächte die österreichisch-sowjetischen Verhandlungen im Frühjahr 1955. Gewarnt wurde auch vor dem Enthusiasmus Bruno Kreiskys.

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Mit Skepsis verfolgten die Westmächte die österreichisch-sowjetischen Verhandlungen im Frühjahr 1955. Gewarnt wurde auch vor dem Enthusiasmus Bruno Kreiskys.

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Nach der Öffnung der britischen Akten im Jänner 1986 läßt sich zum ersten Mal ein festes Urteil über die Reaktionen der Westmächte zu den sowjetischen und österreichischen diplomatischen Initiativen des Jahres 1955 bilden.

Bei einer ersten Durchsicht drängt sich als Haupteindruck

auf: die Briten beobachteten die bilateralen sowjetisch-österreichischen Aktivitäten von Februar bis April 1955 mit großem Unbehagen und mit beträchtlicher Skepsis.

Das mag auch damit zusammenhängen, daß die Westmächte wenig mitzureden hatten und den Österreichern für ihre Verhandlungen mit den Sowjets nur gute Ratschläge und Warnungen geben konnten. Obwohl die Österreicher die Briten über den Großteil der Verhandlungen auf dem

laufenden hielten, sagte man ihnen etwa über Sondierungen zur Neutralisierung nicht alles.

Im folgenden sollen die britischen Akten zu drei Themenkreisen selbst zur Sprache kommen: a Die beträchtliche britische Verwirrung über die berühmte Rede des sowjetischen Außenministers Wjatscheslaw Molotow vom 8. Februar 1955, deren Inhalt zum Teil auch von österreichischen Politikern geteilt wurde; a die große Bestürzung, die es ob der Einladung einer österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau zu überwinden galt; a die Skepsis, mit der man auf eine mögliche Neutralisierung Österreichs reagierte. ,

Aus einem Brief des britischen Hochkommissars und Botschafters in Österreich, Sir Geoffrey Wallinger, nach London geht hervor, daß die Österreicher noch vor Jahresbeginn 1955 diplomatisch überaus aktiv wurden.

Wallinger berichtet von einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Julius Raab und dem sowjetischen Hochkommissar Iwan Iljit-schow, dem Raab bei dieser Gelegenheit die Hauptforderung Österreichs klarzumachen ver-

suchte - den Abzug der Besatzungstruppen:

„Seine (Raabs) Regierung sei bereit zu verhandeln, wo, wann und wie immer sich eine Gelegenheit biete. Eine Art von Neutralitätserklärung wäre dabei als Denkmöglichkeit nicht ausgeschlossen, und auch nicht ein gestaffelter Abzug. Die Grundbedingung aber war, daß Österreich denA bzug aller fremden Truppen innerhalb eines festgesetzten Zeitraumes verlangte“ (siehe Faksimile).

Uberraschend daran ist für den Historiker, daß Raab selbst schon Ende 1954 die Neutralität ins Spiel gebracht hat.

Am 8. Februar 1955 hielt der sowjetische Außenminister Molotow wie bereits erwähnt eine mehrstündige Rede vor dem Obersten Sowjet, die sich mit grundsätzlichen Fragen der sowjetischen Außenpolitik beschäftigte. Für Österreich war dabei entscheidend, daß er die österreichische nicht klar genug von der deutschen Frage trennte. Und das fiel auch den geübten Beobachtern im britischen Außenministerium sofort auf.

Geoffrey Harrison, der für Österreich verantwortliche Unterstaatssekretär, notierte noch am selben Tag:,J.n seiner Rede am 8. Februar war Herr Molotow unnachgiebiger denn je über den Abschluß eines österreichischen Staatsvertrages.“

Österreichs Außenminister Leopold Figl schien denselben Schluß gezogen zu haben, obwohl Molotow festgestellt hatte, daß die Besatzungstruppen vor dem Abschluß eines deutschen Friedensvertrages abgezogen werden könnten. Seit der Berliner Außenministerkonferenz im Jänner/Februar 1954 war es aber gerade diese Junktimierung gewesen, die den Stolperstein zu einer Neueröffnung der österreichischen Staatsvertragsverhandlungen bildete.

Am 10. Februar 1955 berichtete der britische Hochkommissar Wallinger von einem Gespräch

mit Figl nach London: „JFigl... war weiterhin davon überzeugt, daß die Erwähnung vom Truppenabzug lediglich Propaganda war und im Kreml die Hoffnung noch nicht aufgegeben worden ist, aus Österreich und Deutschland ein Niemandsland zu machen. Er war sich sicher, daß die Neutralisierung von Westdeutschland weiterhin die Vorbedingung für jeden Vorstoß der Sowjets in der österreichischen Frage war.“

Auch das State Department (das US-Außenministerium) in Washington scheint keine Wende in der sowjetischen Österreichpolitik erkannt zu haben, wie ein Telegramm nach London zeigt: ,Mo-lotows Rede bietet keinen Grund, sich für den österreichischen Vertrag vermehrte Hoffnungen zu machen. Dies könnte unter anderem dazu beitragen, die Österreicher von Wunschvorstellungen abzubringen.“

Am 26. Februar 1955 beorderte Molotow den österreichischen Botschafter in Moskau, Norbert

Bischoff, zu sich. Er gab ihm die „positive Wende“ klar zu verstehen: eine Lösung des österreichischen Problems war nicht länger von einem deutschen Friedensvertragsabschluß abhängig.

Der britische Hochkommissar Wallinger meinte dazu trocken: „JEs schaut also aus, als ob der Preis steigt, denn die Russen bereit sind zu zahlen, um die deutsche Wiederbewaffnung zu verhindern.“

Die meisten Experten im Foreign Office (dem britischen Außenamt) fürchteten, die Sowjets machten in der österreichfrage nur deshalb Zugeständnisse, um eine Vier-Mächte-Konferenz zu erzwingen. Der Hintergedanke der Sowjets bestand darin, bei dieser Gelegenheit die Deutschlandfrage auf die Tagesordnung zu setzen. Damit sollte in letzter Minute der bundesdeutsche Beitritt zur Nato - in den Pariser Verträgen Ende 1954 vereinbart - torpediert werden.

Fürtlas Frühjahr 1955 ist dies eine logische Interpretation der Ereignisse. Denn seit 1950 hatten die Westmächte um einen Modus gerungen, die Deutschen wiederzu-bewaffnen. Dieser Modus wurde nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im direkten deutschen Nato-Beitritt gefunden.

Ebensolange hatten die Sowjets versucht, diese westlichen militärischen Integrationspläne zu zerstören, indem sie wiederholt den Deutschen mit einer Wiedervereinigung die Neutralisierung schmackhaft machen wollten.

Weder die Westmächte noch der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer machten aber einen Versuch, über eine Wiedervereinigung unter sowjetischen Bedingungen auf der diplomatischen Ebene zu verhandeln. Die gutinformierten Zeitgenossen sahen also die sowjetischen Initiativen in der Österreichpolitik eng verknüpft mit der deutschen Wiederbewaffnung.

Im britischen Foreign Office argumentierte man: „Es könnte sein, daß die sowjetische Regierung auf die Karte der österreichischen Frage gesetzt hat, um Gespräche über Deutschland nach der Ratifizierung der Pariser Verträge in Gang zu bringen. Sie könnte die Hoffnung hegen, eine Österreichkonferenz könnte zu einer Konferenz über Deutschland führen, bei der dann die Implementierung (Erfüllung) der Pariser Verträge sabotiert werden könnte.“

Es könnte aber auch sein, so lautete die zweite Interpretationsvariante im Foreign Office, daß die ganze Bewegung in der sowjetischen Österreichpolitik überhaupt nur ein Manöver sei, die Staatsvertragsverhandlungen wieder einmal zu verzögern.

Das Ergebnis der andauernden Okkupation Österreichs würde dann dem Westen mit seiner deutschen Wiederbewaffnungspolitik in die Schuhe geschoben werden. Nach beinahe neun Jahre lang dauernden Verhandlungen war eine solche Argumentation keineswegs abwegig.

In der Zwischenzeit war es März 1955 geworden, und die Österreicher hatten ihre bilateralen Kontakte über ihren Botschafter Bi-

schoff in Moskau intensiviert. Wie Bundeskanzler Raab im oben erwähnten Gespräch mit dem sowjetischen Hochkommissar Iljit-schow angedeutet hatte, verfolgte man ein klares Ziel — das Ende der Besatzung -, ohne sich von Fragen der internationalen Politik zu übertriebener Vorsicht anhalten zu lassen. Gerade dies wollten die Briten nicht gerne wahrhaben.

Am 24. März 1955 lud die sowjetische Regierung die Österreicher ein, zu Verhandlungen nach Moskau zu kommen. Die Briten waren nicht gerade begeistert von solch engen bilateralen Kontakten.

Der britische Hochkommissar in Wien, Wallinger, sprach den Kern der britischen Befürchtungen unumwunden aus: .Molotow wird zweifelsohne versuchen, die österreichische Regierung zu einem solchen Ausmaß an Neutralisierung zu verpflichten, daß der sowjetische Block die Chance bekommt, mit Infiltration das zu erreichen, was mit der Okkupation verfehlt wurde.“

Es war Wallinger aber klar, daß Bundeskanzler Raab die Einladung kaum ausschlagen konnte und man ihn deshalb auch gar nicht davon abbringen sollte. Was aber sei zu tun? Man mußte die Österreicher vor sich selber retten: „JDie Österreicher sind schon aufs Glatteis geraten, und man sollte sie nicht länger alleine dem Druck und den Verlockungen der Sowjets ausgesetzt lassen.“

Selbst der britische Außenminister Anthony Eden sah Gefahren in einer Moskaureise, in der sich die Österreicher auf ihr eigenes diplomatisches Geschick zu

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