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Digital In Arbeit

Die Gratwanderung

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„Wir warnen vor der unangemessenen, ungehemmten Sucht nach Reichtum und Macht, vor wirtschaftlichem Liberalismus und mammonistischem Kapitalismus, deren Verderben die jetzige Zeit mehr denn eine frühere christliche Zeit erlebt.“'

„Bei dem Aufbau der modernen industriellen Arbeitswelt sind zwei Systeme hervorgetreten, die eindeutig abzulehnen sind. Es sind dies der liberale Kapitalismus und der Kommunismus.“

Dreimal veröffentlichten Österreichs katholische Bischöfe seit 1918 Sozialhirtenbriefe: 1925 (daraus stammt das erste Zitat), 1956 (daraus das zweite) und 1961. Für 15. Mai 1990 - ein Jahr vor der 100-Jahr-Feier der ersten Sozialenzyklika, „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII. - ist das Erscheinen eines neuen Briefes vorgesehen.

Bisher wurde der Fahrplan dieses Hirtenwortes, für dessen Erstellung der Linzer Diözesanbi-schof Maximilian Aichern die Verantwortung trägt, exakt eingehalten. Am 9. und 10. November 1987 tagten in St. Pölten ein kleines Aktionsteam (A) und ein etwa 50köpfiges Beraterteam (B). Anschließend erstellte A einen Grundtext, der dieses Wochenende (4./5. Juni) in St. Pölten mit B diskutiert und nach einer redaktionellen Überarbeitung durch A im Juli in großer Auflage publiziert werden soll — zwecks eifriger Auseinandersetzung mit dem Thema an der „Basis“.

Das Thema Arbeit steht im Zentrum des vorläufig rund 30seiti-gen, in neun Abschnitte gegliederten Papiers. Jeder Abschnitt besteht aus drei Teilen: Analyse der Situation; Aussagen der katholischen Soziallehre dazu; Fragen,die auf eine Annäherung von Ideal und Realität abzielen.

„Statt der Fragen sollten in der Endfassung womöglich Antworten dortstehen“, wünscht sich Alois Riedlsperger, Jesuitenpater und Direktor der Katholischen Sozialakademie in Wien. Er gehört mit dem Wiener Weihbischof Helmut Krätzl, dem St. Pöltener Pastoralamtsleiter Florian Zim-mel und dem Grazer Sozialethi-ker Valentin Zsifkovits dem Aktionsteam an.

Unmittelbares Muster für die Idee, diesen Hirtenbrief in einem breiten Diskussionsprozeß zu entwickeln, war das Vorgehen der US-amerikanischen Bischöfe bei ihrem in der Letztfassung 1986 publizierten Sozialhirtenbrief. Aber schon in „Octogesima adveniens“ von Papst Paul VI. (1971) heißt es, es sei „im Gespräch mit den anderen christlichen Brüdern und allen Menschen guten Willens darüber zu befinden, welche Schritte zu tun und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Reformen herbeizuführen, die sich als wirklich geboten erweisen und zudem oft unaufschiebbar sind“.

Natürlich stößt ein solches Vorhaben auch auf Kritik. Soll sich die Kirche das überhaupt antun? Kann dabei außer allgemeinen Phrasen etwas herauskommen? Was ist, wenn sich die Bischöfe den mit der „Basis“ erarbeiteten Text nicht zu eigen machen können, oder wenn sich diese „Basis“ im von den Bischöfen unterzeichneten Schlußdokument mit ihren Ideen gar nicht mehr wiederfindet? Werden sich denn außer ein paar „Berufskatholiken“ die richtigen Leute am Entstehungsprozeß beteiligen?

Einer der schon wesentliche Anregungen seitens der Wirtschaft bereithält, ist der ehemalige Finanzminister und FUR-CHE-Mitherausgeber Wolfgang Schmitz, der unter anderem kritisiert: „Die Selbstbeschränkung der bisherigen kirchlichen Soziallehre auf die Humanisierung der Arbeitswelt, vielleicht unter dem Gesichtswinkel des 19. Jahrhunderts, hat unter anderem zur Folge, daß die Person des Unternehmers und die Funktion des Ge-* winns eines Unternehmens in der kirchlichen Soziallehre nicht vorkommen.“

Im Grundtext lauten die neun Kapitelüberschriften: Arbeit in christlicher Sicht, Mensch in der Erwerbsarbeit, Familie, Sozialstaat, Arbeitslosigkeit, Frauenarbeit, Landwirtschaft, Internationale Verflechtung und Zukunft. Da sollte jeder Katholik ein Thema finden, zu dem er etwas beitragen kann.

Denn es soll, so Riedlsperger, „keine Alibidiskussion“ geben und ein Text entstehen, „der aneckt“ und vor allem „die soziale Gewissensbildung vorantreibt“. Das letzte Wort haben aber die Bischöfe, denn es geht ja um einen Hirtenbrief und nicht um einen „Herdenbrief“.

„Die anglikanische Kirche ist primär eine soziale Organisation und keine religiöse.“ Dieser Satz, jüngst in der köstlichen britischen TV-Serie „Ja, Premierminister“ gefallen, deutet auch eine Gefahr für die katholische Kirche an: vor sozialer Geschäftigkeit das Religiöse zu übersehen. Das ist freilich kein Grund, schon gar nicht nach der jüngsten Sozialenzyklika, den drängenden sozialen Fragen auszuweichen.

Orientierungshilfen sind nötig. Die Gratwanderung zwischen Unverbindlichem und allzu simplen „Kochrezepten“ (Man führe die 35-Stunden-Woche ein...) muß aber erst gelingen.

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