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Die träumenden Bundespräsidenten

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Österreich hat Glück mit seinen Bundespräsidenten. Glück insofern, als sie sich durchaus nicht ausschließlich als Männer der Praxis, des tätigen Lebens erwiesen haben, sondern zugleich in jenen Bezirkes des Daseins zu Hause waren, die\ nur der Traum erschließt.

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Österreich hat Glück mit seinen Bundespräsidenten. Glück insofern, als sie sich durchaus nicht ausschließlich als Männer der Praxis, des tätigen Lebens erwiesen haben, sondern zugleich in jenen Bezirkes des Daseins zu Hause waren, die\ nur der Traum erschließt.

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»Schon die Photographien verraten, was die Interessen dieser Männer kurzerhand bestätigen: der nach innen gewandte Blick, das in sich gekehrte Lächeln charakterisieren sie ebenso wie jenes andere Leben, das zu führen sie - heimlich oder offen - neben der Bürde ihrer Staatsgeschäfte verstanden.

Dabei waren sie durchaus keine blassen Nachgeborenen Platos, wie noch der General unter ihnen genügsam beweist, den, eingefleischter Junggeselle, der er war, sein täglicher Gang in eine renommierte Delikatessenhandlung auf dem Wiener Kohlmarkt geführt hat. Durch deren für damalige Verhältnisse wohlgefüllte Auslagen ist er denn allenthalben vom Staatsvolk besichtigt worden; und dort bin ich selbst ihm häufig begegnet.

Oder wie jener volkstümlichste aller Präsidenten der Zweiten Republik, den sein erlernter bürgerlicher Beruf auch als Staatsoberhaupt so wenig losgelassen hat, daß er es nicht verschmähte, die Gedichte von Freunden mit der Hand, Bleiletter für Bleiletter, zu setzen.

Sie alle, Juristen, Offiziere oder einfache Arbeiter, sie alle waren von der Würde und der Bedeutung ihres Amtes so sehr durchdrungen, daß nicht der Buchstabe der Geschäftsordnung sie faszinierte und verlockte, sondern einzig der Geist, die Menschen und die Gesellschaft, die sie hinter den Aktenber

gen oder durch die Verwaltungsverfahren hindurch erahnten, erspürten, erspähten.

Wohl deshalb haben sie ausnahmslos den enger umgrenzten Bezirk des ihnen Vorgeschriebenen, des ihnen vom Gesetz Auferlegten überschritten, um in Bereiche vorzustoßen, in denen nicht mehr allein das handfest Vorgegebene regiert, sondern das Erahnte neben dem Erträumten, das Erhoffte trotz allem Befürchteten in seine Rechte tritt.

Als Staatsmännern von Format ist ihnen die Vollendung des ihnen Abgeforderten allein im anderen Zustand, eben in der Entrückung vom Alltag, erst möglich erschienen.

Und sie wären schlechte Österreicher gewesen, dieser Verlockung nicht zu erliegen. Wie es denn andererseits durchaus dieser Nationaleigenschaft zuzuschreiben ist, wenn wir die Träume unserer Staatsoberhäupter niemals am eigenen Leib zu spüren bekommen haben.

Denn die Träume jenes unsäglichen Braunauers waren - auch wenn sie später geradewegs in die Reichskanzlei führten - doch eigentlich nur die Träume eines gescheiterten Künstlers. Die unserer Präsidenten dagegen waren und sind die Träume von höchst erfolgreichen und erfahrenen Politikern, die mit ihren Entwürfen vorwegnehmen, was sich im Alltag erst nach und nach abzuzeichnen beginnt.

Das hat man nicht immer entsprechend gewürdigt. Wohl, weil man die Funktion der ersten Diener unseres Staates allzusehr auf das Administrierbare eingeengt und nicht erkannt hat, wie viel Unaussprechbares, durch Reglement nicht Festzulegendes in ihren Dienst als Vorbild und Symbol der Nation mit eingeht.

Im gleichen Maß, in dem dieses Amt Würde und Persönlichkeit, Charisma, Integrität und Verläßlichkeit, aber auch persönlichen Mut, Kreativität und Phantasie erfordert, im gleichen Maß

verlangt es dem, der es auszufüllen hat, die Bereitschaft und die Fähigkeit ab, sich in höchst systematischer Weise mit dem noch nicht Bewußten, mit dem eben erst anhebenden Denken, Fühlen und Wollen auseinanderzusetzen, um es in den Horizont des von den Mitbürgern Wahrnehmbaren zu rücken.

Auf diese Herausforderung haben die einzelnen ‘Repräsentanten dieses Amtes unterschiedlich reagiert. Der Mitwelt ist Karl Renner als Gelehrter bekanntgeworden, der sich mit den schwierigsten Themen der Sozialpolitik und der Nationalökonomie herumgeschlagen hat. Dennoch wäre es falsch, einen rein ratioiden Aufklärer in ihm sehen zu wollen.

Was immer er an Wollen und Wünschen unerlöst mit sich herumgetragen hat, das hat er zu fassen, zu formen, zu artikulieren und in einer ansehnlichen Reihe gefühlvoller Lieder festzuhalten gesucht. Sie belegen lebendig, wie sehr dieser unerschütterliche Freund und’ Lehrer des Volkes um die Bedeutung gewußt hat, die das absichtslose Spiel und die Kreativität bei der Persönlichkeitsentwicklung entfalten.

Lange noch bevor man daran gegangen ist, die Unanschaulichkeit und Abstraktheit der modernen Naturwissen- : schäften kritisch zu erörtern, hat er den Wissensstand seiner Zeit nach dem Vorbild des römischen Dichters Lukrez

in einem Lehrepos von einigen Tausend handsamer Verse zu veranschaulichen und so seinen Zeitgenossen näherzubringen gesucht.

Ein ähnliches vorausblickendes, der Zeit vorauseilendes Denken läßt sich bei allen Amtsvorgängern des heutigen Bundespräsidenten nachweisen. Theodor Körner zum Beispiel, dieser ganz aus dem Geist altösterreichischen Beamtentums dienende General, hat in seinen freien Stunden strategische Konzepte zur Verteidigung unserer Heimat entworfen.

Sein Nachfolge/1, Adolf Schärf, sich kritisch mit der von ihm selbst erlebten und gestalteten Geschichte auseinandergesetzt; nicht nur, um Rechenschaft von seinem staatspolitischen Handeln abzulegen. Das wohl auch; sondern gleichermaßen in mahnender, lenkender, leitender, in die Zukunft weisender Absicht.

Und wenn Franz Jonas neben vielen anderen graphischen Arbeiten auch Entwürfe zu Briefmarken gezeichnet hat, so war er dabei weniger von der Absicht geleitet, sich selbst sein Können sichtbar zu verwirklichen, als vielmehr von dem Gedanken durchdrungen, mit diesen allgemein zugänglichen

Beispielen moderner kunstgewerblicher Ästhetik zur Bildung der Geschmackskultur beizutragen.

, Angesichts dieser gewaltigen Belastung, die auf dem Amt liegt, hätte es eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen dürfen, wenn die Träume unseres Bundespräsidenten Rudolf Kirchsch lä- ger in eine andere Richtung gegangen wären. Beruhigt erkennt man jedoch, sobald man sein 1980 erschienenes Buch („Der Friede beginnt im eigenen Haus“) aufschlägt, daß hier die große Tradition österreichischer Staatspolitik würdig fortgesetzt worden ist.

Jene Tradition, die auch dann den Einzelmenschen nicht aus dem Gesichtsfeld verliert, wenn sie sich um Zustand und Schicksal des Gemeinwesens besorgt. Das zeigt sich vor allem darin, mit welcher Entschiedenheit Bundespräsident Kirchschläger die Familie ins Zentrum seines Philosophierens gerückt und damit das kleinste gemein

same Vielfache der Gesellschaft umgrenzt hat, durch das deren tiefreichende Veränderungen in Bewegung geraten sind.

Weist schon ein solcher Ansatz über die heute gängigen Ansichten beträchtlich hinaus, die selbst die Familie von der Dynamik gesellschaftlichen Wandels ergriffen sehen wollen, so stößt sein Konzept von der Familie als einer Zelle des Friedens vollends in utopisch-kon- zeptive Bereiche vor. Denn was man der Familie heute bestenfalls zugestehen will, das ist die Rolle als Erprobungsfeld für Weltuntergänge.

Insofern man sie als einen Ort des Entstehens von Spannungen und Konflikten erkannt hat, mag dieser Ansicht noch eine gewisse Berechtigung eignen. Versteht man sie jedoch mit Bundespräsident Kirchschläger als eine Einrichtung, deren Angehörige dazu verhalten sind, ihre Spannungen in liebevoller Auseinandersetzung und unter ständiger Bedachtaufnahme auf den anderen auszutragen, dann wird sie zum Baustein, ja zum Symbol des Staatsganzen wie überhaupt der ganzen Völkerfamilie.

So sieht er beispielsweise in die gut funktionierende Gemeinde etwas von

der gemeinschaftsbildenden Kraft der Familie einströmen und damit „das Maß des Miteinander, zu dem der einzelne Mensch bereit ist“, deutlich in die Erscheinung treten. Anders als im Zusammenwirken der Länder vollzieht sich hier die Willensbildung aus den lebendigen Gegensätzen der Interessen einzelner.

Insofern ist die Gemeinde Für Rudolf Kirchschläger so etwas wie eine Wiege der Demokratie; darüber hinaus hat sie aber auch eminente staatspolitische Aufgaben zu erfüllen: sie hat zwischen der Basis und der politischen Führungsspitze der Länder wie des Bundes dadurch zu vermitteln, daß sie den Informationsfluß nach beiden Richtungen in Gang hält.

Dieses Bekenntnis zum Ausgleich der Gegensätze, zum Abbau der Verständigungsschwierigkeiten, ist nahezu

auf jeder Seite des Buches zu spüren. Ebenso eine ursprüngliche Liebe zu den Menschen, der unbeirrbare Glaube an die Aufklärbarkeit von Vorurteilen, Mißverständnissen oder Auffassungsunterschieden, sowie die Hoffnung auf die Zukunftsträchtigkeit grundlegender Gestaltungsformen der Gesellschaft.

Es ist die Botschaft eines Realpolitikers, der, von den großen Ideologien und Utopien der Geschichte enttäuscht, den Boden des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf seine Tragfähigkeit abklopft.

Daß Präsident Kirchschläger den sorgsam aufgetürmten Stufenbau seines Modells, der vom Frieden im eigenen Land bis hin zum Weltfrieden logisch und mit bewundernswürdiger Faktentreue fortschreitet, ausgerechnet auf die längst totgesagte bürgerliche Familie gründet, wird nur bei Unbelehrbaren Kopfschütteln hervorrufen. Politisch Denkende werden darin den Appell sehen, sich verstärkt um die Familie zu bemühen.

Ich gestehe es gerne ein, daß diese Friedensbotschaft zwischen den Reibflächen verschiedenster größerer oder kleinerer Konflikte, die auch heute wie-

der in aller Welt aufflackern, für mich eine hohe Leuchtkraft zu entfalten vermag. Vollends dann, wenn man sie als Umstülpung der Heraklitschen Mythologie des Krieges oder der Hegelschen Kosmologie der Negativität zu verstehen lernt, die unverkennbar, zumindest im Keim, darin enthalten sind.

Sie mag einstweilen noch über das heute Durchsetzbare kräftig hinausgreifen, sie mag manchen hoffnungslos realitätsfern erscheinen: doch gehört es zum Wesen und zur Funktion der Träume, unter dem Tagesbewußtsein weiterzuwirken und unsere wachen Gedanken mit einem feinen, fernen Glanz zu vergolden.

Anders bliebe der Mensch nichts als ein Stück Fleisch, das beim Herannahen von Gewittern zuckt.

DER FRIEDE BEGINNT IM EIGENEN HAUS (Gedanken über Österreich). Von Rudolf Kirchschläger. Molden-Verlag, Wien-München 1980. öS 248.-

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