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Europa und Jugend -zwischen Angst und Hoffnung

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Katholikentage wollen aktuell sein, aber sie suchen mehr als eine Aktualität des Augenblicks, die sich überholt wie die Mode. Sie wollen Grunderfahrungen der Zeit aufgreifen. Die Grunderfahrungen des heutigen Menschen, mit der sich der 85. Deutsche Katholikentag vom 13. bis 17. September in Freiburg/Br. auseinandersetzen wird, ist die Not mit der Zukunft, die Angst um das Überleben der Menschheit in Menschlichkeit. Der Katholikentag will die Situation des Menschen ansprechen, der am Scheideweg zwischen Angst und Hoffnung steht, mit den Stichworten „ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Richtung für Freiburg angegeben.

Symptome dieser Grunderfahrung sind Angst, Resignation, Rückzug aus Gesellschaft und Kirche, mangelnder Mut zu dauerhafter Bindung, mangelnder Mut zum Kind. In dieselbe Richtung weisen Beobachtungen wie Flucht in die Idylle des kleinen privaten Glücks, müder Pragmatismus des bloßen Weiterwursteins, romantische Bewegungen „Zurück zur Natur“, Sehnsucht nach religiös-mystischer Versenkung, Gebrauch von Drogen, Zunahme von Terror und Gewalt. Es ist ein Sinndefizit im Entstehen, das sich für die Hoffnung und damit für den Menschen auf die Dauer tödlich auswirken kann.

Äußerlich wurde die Wende des Fortschrittsglaubens bewirkt durch die Einsicht in die „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome), in die Begrenztheit der Rohstoffquellen, die Nahrungsmittelverknappung, in die Gefahr der Umweltzerstörung und des Zusammenbruchs des gesamten ökonomisch-technischen Systems. Doch ein wenig grundsätzlicher betrachtet, rührt die Krise der Hoffnung daher, daß der Mensch seit Beginn des technischen Zeitalters den großangelegten Versuch unternommen hat, die Welt für seine Wünsche und Interessen eigenmächtig in Dienst zu nehmen, Glück und Zukunft in eigener Regie zu planen.

Spätestens heute aber müssen wir einsehen, daß diesem grandiosen Versuch Grenzen gesetzt sind: Der Tod läßt sich nicht beseitigen; Reformen und Revolutionen vermochten das Glück nicht zu garantieren; Friede und Gerechtigkeit, Nahrung und Arbeit für alle; die Verwirklichung dieser Ideale ist keineswegs nähergerückt. Aber nicht weniger als die Grenzen der Machbarkeit ist die selbstgeplante und selbstgemachte Zukunft zu einem Schreckgespenst geworden. Das bloß von ihm organisierte Glück verdammt den Menschen letztlich zur Einsamkeit, verwehrt ihm den Zugang zu dem, was größer ist als er. Das ausweglose Eingesperrtsein in den Riesenapparat der Gesellschaft und der Wirtschaft - hierfür ist gerade die junge Generation sensibel - läßt leer, versperrt Sinn und Zukunft. Eine total verplante Zukunft ist eine bereits im vorhinein verbrauchte und verbarrikadierte Zukunft

Für Freiburg bieten sich drei Felder besonders an, in denen exemplarisch Befähigung zur Zukunft aus dem Glauben eingeübt werden kann. Ort und Zeitpunkt des 85. Katholikentages weisen auf Europa. Das immer drängendere Hervortreten gesellschaftlicher Grundsatzfragen ist in der anhaltenden Debatte über die Grundwerte unübersehbar geworden; diese Debatte muß weitergeführt, auf ihre Konsequenzen hinbedacht werden. Die Not um die Zukunft, wie sie in der Gesellschaft insgesamt zu beobachten ist, trifft besonders hart die junge Generation; ihre Zukunft darf nicht allein ihre Sache bleiben. Europa, junge Generation, gesellschaftliche Grundsatzfragen - diese Schwerpunkte sollen nicht nur Thematik und Verlauf des Katholikentages prägen. Sie sind auch eine besondere Einladung: an die Jugend, an Katholiken aus unseren westlichen und östlichen Nachbarländern, an alle, die sich den Auftrag der Kirche für die Gesellschaft zu eigen machen.

Fast scheint es, als seien sie hierzulande in Vergessenheit geraten, die großen Namen des „Renouveau catholique“ wie Bloy, Peguy...

Daß der Name Peguy und das, wofür er einsteht, in Wien, wo sein Werk in den fünfziger und seohzi-ger Jahren Betreuung für den ganzen deutschen Sprachraum gefunden hatte, noch Funken schlägt, hat sich kürzlich erwiesen: Eine „unorganisierte Gruppe katholischer Laien“ hat sich zusammengefunden und einen Charles Peguy-Lite-raturpreis geschaffen, dessen Aufgabe es ist, das Verständnis für die „Arme Kirche“ im Sinn Peguys, eine Kirche an der Seite der Entrechteten und Verzweifelten, zu vertiefen.

Erster Träger des mit 35.000 Schilling dotierten Preises ist der deutsche Schriftstellter Hans Joachim Seil für sein 1976 im Claas-sen-Verlag erschienenes Werk „Der rote Priester“. Seil schildert darin in Form einer „literarischen Collage“ das Wirken eines spanischen Priesters unter andalusi-schen Bergarbeitern zu Beginn der sechziger Jahre und zeichnet in dieser „unchronologischen Vergegenwärtigung eines beispielhaften Lebens“ das Modell für Unausweichliches an Fragen von heute für jeden Christen.

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