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Für Wiederaufbau unserer Umwelt

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Die Grünen gewinnen. Alemannische Schrullen oder Signal für eine politische Wende? Jedenfalls ist dafür gesorgt, daß Umweltfragen weiter die Politik beherrschen werden.

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Die Grünen gewinnen. Alemannische Schrullen oder Signal für eine politische Wende? Jedenfalls ist dafür gesorgt, daß Umweltfragen weiter die Politik beherrschen werden.

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Waldsterben beschäftigt noch gar nicht so lange die Medien: Im Frühjahr 1981 findet man die ersten Berichte von einer umfassenden Gefährdung des deutschen Waldes. Auch im Riesengebirge, wo heute bereits in weiten Landstrichen der Wald abgestorben ist, gab es Anfang der siebziger Jahre noch keinerlei Schäden.

Und heute hat man das Wort Waldsterben bereits bis zum Überdruß gehört. Vor den jeweils neuesten Katastrophenmeldungen verschließt man die Ohren. Der einzelne fühlt sich hilflos. Was kann denn er schon zur Eindämmung der Katastrophe tun? Die da oben, die Politiker sollten endlich erwachen!

Ja, dank der jüngsten Wahlergebnisse scheinen sie auch endlich zu reagieren. Zumindest auf das Waldsterben. Die jüngste SP-Klausur in Villach kam zu einigen Ergebnissen: Ab April 1985 bleifreies Benzin an Tankstellen in allen größeren Städten Österreichs; ab Oktober nur mehr bleifreies Normalbenzin; Steuerbegünstigungen für die Anschaffung von Katalysatoren zur Reinigung von Autoabgasen; Verschärfung der Abgasbestimmungen nach dem Dampfkesselemissionsgesetz; regelmäßig Zündungs- und Vergaserkontrolle bei Autos.

Keine Frage: Daß wir uns endlich zu solchen Maßnahmen aufraffen, ist sehr begrüßenswert. Aber wird das reichen?

Das Waldsterben ist mittlerweile als Problem erkannt. Und langsam rollen nun auch Gegenmaßnahmen an. Leider wird allerdings vielfach so getan, als wäre Umweltschutz gleichbedeutend mit Kampf gegen die Verödung unserer Wälder. So einfach liegen die Dinge nun aber wieder auch nicht. Denn mindestens ebenso gefährlich ist die sich abzeichnende Grundwasserverseuchung (in Baden bei Wien ist das Trinkwasser durch chlorierte Kohlenwasserstoffe weit über die zulässigen Grenzwerte belastet), die Bedrohung der Ackerböden, ja die allgemein steigende Giftbelastung aller lebender Organismen. Kürzlich wurde Formaldehyd, ein Grundstoff vieler Kunststoffe als krebsfördernd erkannt.

Jetzt kann man natürlich endlos darüber streiten, wie gefährlich all das wirklich ist, wie unmittelbar wir bedroht sind, ob das alles auch wissenschaftlich abgesichert ist. Nur, wird uns das helfen, unsere Probleme zu lösen? Schon vor zehn Jahren war der Durchschnittsamerikaner so stark mit DDT belastet, daß er nach US-Nahrungsmittelkodex für menschlichen Genuß ungeeignet, weil zu giftig war.

Wir müssen wirklich ernsthaft umdenken, denn wir haben Jahrzehnte lang beinahe beliebig Stoffe produziert, ohne auf ihre langfristigen Nebenwirkungen zu achten. Hauptsache sie erwiesen sich als zweckmäßig für den jeweils zu deckenden- Bedarf. Erst wenn ein Produkt eindeutig als Umweltsünder entlarvt wurde, mußte seine Produktion eingestellt werden — und selbst dann ließ man sich Zeit.

Haben wir in der Vergangenheit also in Richtung Vergiftung übertrieben, so stehen wir jetzt vor einer Periode, in der wir im Zweifel in Richtung Vorsicht übertreiben sollten: Lieber zu viel Filter als zu wenig, lieber zu wenig Straßenverkehr als zu viel, lieber zu wenig

Kunstdünger und Vertilgungsmittel als zu viel.

So naheliegend eine solche Reaktion auch wäre, werden wir ertt dann zu einer solchen Politik gelangen, wenn wir eine geistige Wende vollziehen. Um zu verdeutlichen, worum es geht, sei der Chefredakteur der „AZ", Manfred Scheuch, zitiert: „Nicht die kleinbürgerliche Angst vor dem technischen Fortschritt führt zur Lösung der Zukunftsprobleme! Es ist vielmehr der Einsatz der Erkenntnisse des menschlichen Geistes, der die Chance birgt, wirklich jenen Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit zu tun, von dem die Väter des Marxismus geträumt haben."

Hier ist ein Kernproblem angesprochen. Wir handeln in Wirtschaft und Gesellschaft so, als könnten wir das Reich der Freiheit heraufführen, als könnten wir durch unsere Forschung und Technik alle Grenzen beseitigen, die uns als Menschen im Wege stehen. Diese Vorstellung hat sich als Illusion erwiesen. Wir können Grenzen nicht aufheben, bestenfalls können wir sie verschieben, um dann umso härter — weil unvermutet — gegen sie zu stoßen. Das sollte uns spätestens das Waldsterben gelehrt haben: Wir konnten zwar die Grenzen unserer Bewegungsfreiheit durch den Verkehr, die Grenzen unserer Produktionsmöglichkeiten durch die Industrie eine Zeitlang verschieben. Jetzt holen sie uns wieder ein.

Daher betreiben die „Grünen" -soweit sie seriös argumentieren — nicht, wie der Generalsekretär der Industriellenvereinigung Herbert Krejci kürzlich meinte, eine „Mehrung der Illusionen", weil sie eben auf Sachfragen keine Sachantworten gäben. Diese hätte nämlich nur die Wirtschaft.

An dieser Front spielt sich die heutige Auseinandersetzung ab. Wo zeigt sich da ein Ausweg?

Zunächst einmal ist Krejci zuzustimmen: Es gibt tatsächlich Sachzwänge — und das Reich der Freiheit, von dem die Marxisten geträumt haben, bleibt eine unerfüllbare Utopie! Allerdings liegen die Sachzwänge ganz woanders, als sie Krejzi ortet. Die wahren Sachzwänge sind: Wir brauchen saubere Luft, um zu atmen, sauberes Wasser, unvergiftete Böden, Wälder, die für die Erhaltung unseres Klimas sorgen, einen Lebensstil, der uns nervlich nicht aufreibt

Das sind die eigentlichen Sachzwänge. Auf lange Sicht könnten wir ohne diese Kapitalien nicht leben. Im Vergleich dazu spielen die wirtschaftlichen Spielregeln eine geradezu untergeordnete Rolle. Sie haben sich so anzupassen, daß sie für die Erhaltung dieses Kapitals sorgen.

Wer nun denkt, ich sei endgültig in ein wirtschaftsfeindliches Fahrwasser geraten, irrt. Denn die eben erwähnten Forderungen sind im Grunde genommen eminent wirtschaftliche Forderungen. Wirtschaften heißt nämlich mit gegebenen Kapitalien sorgsam umgehen. Nachhaltige Wirtschaft erhält, ja mehrt die Substanz.

Leider haben wir in der Vergangenheit Wasser, Luft, Boden, Landschaft nicht als Kapital, sondern als freies Gut betrachtet. Und allein durch diesen Fehler in der Theorie konnte es geschehen, daß wir bedenkenlos die Substanz verwirtschaftet haben, von der unsere Existenz — und unser Produzieren abhing.

Es wäre falsch, diesen Fehler nur der Wirtschaft anzulasten. Wir alle haben ja munter darauf losgelebt und an die Machbarkeit des Glücks geglaubt. Rauchende Schlote waren für uns alle Fortschrittssymbole — es ist noch gar nicht so lange her. Nur heute sollten wir es besserwissen.

Der Wirtschaft ist dann ein Vorwurf zu machen, wenn sie sich gegen das Lernen aus den bitteren Erfahrungen unserer Tage zu Wehr setzt. Leider geschieht das immer noch zu oft: Alarmierende Meldungen werden als Schwarzseherei abgetan, als wissenschaftlich nicht ausreichend begründet ignoriert. Wächst die Evidenz, verweist man auf bedrohte Arbeitsplätze, mangelnde Rentabilität. Warum müssen Umweltschützer der E-Wirtschaft im mühsamen Kleinkrieg den Einbau halbwegs entsprechender Filteranlagen abringen?

Könnte man in Politik und Wirtschaft nicht auch ganz anders an die Probleme herangehen — nicht immer nur zähneknirschend reagieren? Wäre es nicht an der Zeit eine neue Offensive für unser Uberleben zu starten? Für alle Beteiligten war es nach dem Zweiten Weltkrieg selbstverständlich, die durch den Krieg zerstörten Kapitalien wieder aufzubauen. Da war es keine Frage, daß alle Opfer zu bringen haben würden, daß dem Wiederaufbau oberste Priorität zukam.

Sind wir heute nicht in einer ähnlichen Situation? Wir stehen vor den Trümmern unseres Umweltkapitals. Wäre es nicht an der Zeit, alle Kräfte zu ihrem Wiederaufbau zu mobilisieren. Und erinnern wir uns doch: Wiederaufbauphasen sind Phasen wirtschaftlicher Blüte — etwas, was man von der heutigen Wirtschaftslage ja nicht gerade behaupten kann.

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