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Fußballweltmeisterschaft umstritten wie nie zuvor

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Argentinien ist zwar das größte Reiseland im Süden Lateinamerikas, wenn auch nur 3 Prozent der Besucher aus den USA und Europa kommen. Es ist auch eine der Nationen, in denen Fußball eine Volksleidenschaft ist. Der Weltmeistertitel wäre eine beispiellose Bestätigung nationaler Gefühle. (Die Chancen dafür scheinen freilich gering zu sein, da zwei Monate vor den Spielen die Zusammenstellung der Mannschaft noch immer nicht feststeht.) Aber weder Touristik noch Sport sind die Motive, die die Regierung veranlaßt ha-' ben, so schwere Opfer auf sich zu nehmen, um die Veranstaltung über die Bühne zu bringen.

Wie der für Sport und Reiseverkehr zuständige Staatssekretär General Ar-turo Enrique Barbieri erklärte, will Argentinien „das wahre Bild zeigen, das das Land hat, damit die Besucher es in seiner Realität sehen, ohne die Entstellungen, mit denen es bestimmte Kreise in einigen Teilen der Welt darstellen“. Das Hauptmotiv für die Veranstaltung der WM ist demnach das Prestige. Es ist angeschlagen durch die Tätigkeit der Terroristen und der Antiterrori-sten, also vor allem der innerhalb der Sicherheitstruppen gebildeten abtrünnigen rechtsradikalen „AAA“. Die erwarteten 35.000 ausländischen Besucher werden allerdings mit diesen politischen Vorgängen kaum konfrontiert werden.

Dagegen dürfte das Bild eines modernen und fortschrittlichen Staates durch eine gute Organisation gefördert werden. In vielen Teilen Lateinamerikas sieht man die modernsten Hochhäuser neben verfallenen Buden. Der Sprung vom Veralteten zum Modernsten geht übergangslos vor sich. Ein Beispiel hiefür mag die Weltmeisterschaft hefern. Heute sind die Bürgersteige auch in den belebtesten Straßen

von Buenos Aires zersplittert und durchfurcht. Die nächste ausländische Großstadt ist Montevideo, Flugzeuge dorthin brauchen 25 bis 40 Minuten, ein Brief eine Woche und ein Telefongespräch fünf bis acht Stunden Wartezeit. Mit einem Schlag soll zumindest für die Fußballweltmeisterschaft diese Infrastruktur durch sensationelle Anstrengungen überwunden werden. Die Flughäfen - vor allem in Ezeiza - werden erweitert, ausgezeichnete Chausseen gebaut, Mikrowellen sollen 23 Provinzen verbinden, ein modernes Netz automatischer Telefone wird errichtet, Hotels erster Klasse gebaut und das Farbfernsehen eingeführt. Vor allem werden die Fußballstadien in Buenos Aires, Mar del Plata, Rosario, Cördoba und Mendoza neu konstruiert oder unter großen Aufwendungen erweitert. Wieviel das kostet, weiß bisher niemand. Und darüber, ob diese Opfer sich lohnen, gehen die Ansichten weit auseinander.

In dieser Hinsicht ist zwischen dem argentinischen Schatzsekretär Dr. Juan E, Alemann und den Direktoren der für die Fußballweltmeisterschaft geschaffenen Behörde („Ente Autär-quico Mundial 78“) eine Auseinandersetzung im Gange, die für alle an der WM interessierten Personen beachtenswert ist. Der Schatzsekretär sagte in einem Interview, daß die Bauten inflationär seien und keine wirtschaftlichen Leistungen brächten. Gäbe es1 keine Fußballweltmeisterschaft, hätte Argentinien weniger Defizit, weniger Geldemission und weniger Inflation. Er bezifferte die Gesamtausgaben auf 700 Millionen Dollar und meinte, daß die Flughäfen und Straßen bleibende Werte darstellten, daß aber vor allem die Riesen-Stadien, die niemals mehr gefüllt werden könnten, überaus hohe Unterhaltskosten verursachten und „weiße Elefanten“ bleiben würden.

Dr. Alemann meinte weiter, daß das Farbfernsehen noch gut einige Jahre Zeit gehabt hätte und daß es paradox wäre, gleichzeitig Wasser verseuchen zu lassen. (Damit spielte er auf die Versorgung in dem bonaerenser Vorort Quilmes an, in dem die Bevölkerung

Sodawasser trinken muß, weil das Trinkwasser ungenießbar ist.)

Die Organisatoren der WM, General Antonio Luis Merlo und Conteradmi-ral Carlos Alberto Lacosto, reagierten bitter. Zunächst bestritten sie, daß die Gesamtaufwendungen 700 Millionen Dollar erreichen würden, eine Zahl, die von der Zeitung „Clarin“ vor einigen Monaten ins Gespräch gebracht wurde. Sie sprachen von insgesamt 400 Millionen Dollar, die aber in die verschiedensten Etats und keineswegs nur in die Sparte „WM“ einzugliedern wären. Die reinen Spesen würden nur etwa 30 Millionen Dollar betragen, die durch Kartenverkauf, Werbeeinnahmen und ähnliches gedeckt würden.

Vor allem erklärten sie, daß der Beschluß, die Weltmeisterschaften in Argentinien abzuhalten, zuletzt von der Militärregierung 1976 bestätigt worden sei und dies eine politische Entscheidung darstelle, die von jedem Beamten

zu respektieren sei. Nun ist Argentinien das einzige Land in der Welt, dessen Inflation auch in dem jetzt begonnenen Jahr 100 Prozent übersteigen wird. Es ist also nur zu begreiflich, daß der für das Bremsen der Staatsausgaben verantwortliche Schatzsekretär sich von der Verantwortung distanziert, wenn die Notenpresse in Gang gesetzt wird um das Defizit zu finanzieren. Anderseits ist es zwei Monate vor Beginn der Weltmeisterschaft zu spät, dagegen aufzutreten.

Die Frage, ob die Veranstaltung der WM die Wirtschaftskraft Argentiniens übersteigt, tritt hinter eine andere zurück: Reicht die Organisationskraft, um mit den Problemen der Unterbringung und Versorgung fertig zu werden und damit zu vermeiden, daß nicht auch das Prestigeergebnis defizitär bleibt?

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