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Geben und nehmen

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Vor 20 Jahren widmete Papst Paul VI. seine Enzyklika „Populorum Pro- gressio“ den Entwicklungen in der Dritten Welt. Der Beitrag ist ein Referatsauszug der Tagung aus diesem Anlaß.

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Vor 20 Jahren widmete Papst Paul VI. seine Enzyklika „Populorum Pro- gressio“ den Entwicklungen in der Dritten Welt. Der Beitrag ist ein Referatsauszug der Tagung aus diesem Anlaß.

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In den vergangenen zwanzig

Jahren haben die offiziellen Einrichtungen der katholischen Kirche Österreichs der Dritten Welt mindestens 4,5 Milliarden Schilling zur Verfügung gestellt. Davon lassen sich etwa 48 Prozent der Pastoral- oder Missionshilfe zuweisen, 42 Prozent der Entwicklungsförderung, acht Prozent der Katastrophenhilfe und zwei Prozent der Bildung und Information in Österreich. Diese 4,5 Milliarden Schilling gingen zum weitaus überwiegenden Teil in Projekte in der Dritten Welt, darin sind aber auch jene Mittel enthalten, die in Österreich für die Förderung und Betreuung von Studenten aus Entwicklungsländern, für Aus-

bildung und Einsatz von Entwicklungshelfern und für Bildungsarbeit aufgewendet wurden.

In den vergangenen zwanzig Jahren waren jährlich im Durchschnitt zwischen 750 und 650 österreichische Ordensleute und Weltpriester im Dienst der Weltkirche in Afrika, Asien und Lateinamerika tätig. Rund 2.000 Entwicklungshelfer kirchlicher Entsendeorganisationen haben den Menschen in der Dritten Welt mehrere Jahre ihres Lebens gewidmet, österreichische Bischöfe, Weltpriester, Ordensleute und Laienvertreter kirchlicher Organisationen haben Partner in den Entwicklungsländern besucht und so die Möglichkeit einer direkten Einsicht in die dortigen pastoralen und Entwicklungs-Probleme gehabt.

Fast 1.500 Studenten aus der Dritten Welt haben Unterstützun-

gen kirchlicher Organisationen für ihr Studium in Österreich erhalten. Bischöfe, Weltpriester und Ordensleute aus der Dritten Welt haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten Österreich besucht und bei den kirchlichen Organisationen Kontakt und Hilfe gesucht.

Was steckt nun hinter diesen trockenen Zahlen? Was hat diese Zusammenarbeit wem gebracht?

In Ermangelung systematischer Studien über die Wirkung unserer Arbeit versuche ich, aufgrund persönlicher Erfahrungen folgendes Bild zu skizzieren: Bis in die jüngste Vergangenheit haben wir eine sehr eurozentrierte Form der Pastoralarbeit und Entwicklung in die Dritte Welt exportiert.

Wir haben uns meist zuwenig überlegt, wie in der jeweils konkreten Kultur und unter den gegebenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen Pastoralarbeit, Entwicklungsförderung und politische Teilnahme aussehen müßten, um von den Betroffenen selbst angenommen und eigenverantwortlich getragen zu werden. Wir haben uns zu oft der Illusion hingegeben, daß wir, die Europäer, wüßten, was gut für die Menschen in Ubersee sei.

Gerade im wichtigen Bereich der Bewußtseinsbildung, wo das religiöse, materielle und politische Element zusammenfließen, und wo dem lokalen Personal eine führende Rolle zukommt, haben wir erst in den letzten Jahren verstärkte Anstrengungen unternommen. Die Beispiele Brasilien und die Philippinen zeigen aber, welche Bedeutung der umfassenden Bewußtseinsbildung der Armen für die Entwicklung in Kirche und Gesellschaft zukommt.

Unsere Zusammenarbeit war weiters auf die materielle und personale Hilfe in den Entwicklungsländern selbst orientiert, getragen von der Illusion, daß wir mit möglichst viel Geld und einigen Hundert Österreichern die Situation in der Dritten Welt zum Besseren verändern könnten. Wir haben uns zuwenig Gedanken dar-

über gemacht, wie die Entwicklung in der Dritten Welt mit unserer eigenen Entwicklung zusammenhängt. In Österreich haben Information und Bildungsarbeit über die Dritte Welt und die Nord-Süd-Zusammenhänge bis in die achtziger Jahre absolut und im Vergleich mit den katholischen Hilfswerken anderer Länder nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Das Eintreten für Veränderungen bei uns, die den Entwicklungsländern mehr Entwicklungschancen einräumen würden, wurde erst in jüngster Zeit als entwicklungspolitische Notwendigkeit erkannt.

Immer mehr Partner aus Ubersee weisen uns darauf hin, daß in bestimmten Fällen das Eintreten für die Wahrung der Rechte der Armen und Unterdrückten sowohl in den Entwicklungsländern als auch in Österreich wichtiger ist als die Finanzierung eines traditionellen Pastoral- oder Entwicklungsprojektes. Erst Ende der siebziger Jahre haben wir begonnen, den Faktor Mensch bewußt in den Vordergrund zu rük- ken, verstärkt den Dialog mit Partnern zu suchen, die sich um die Verwirklichung einer autonomen, aus der eigenen Tradition kommenden Entwicklung bemüht haben.

Zusammenfassend kann man sagen, daß wir uns zuwenig in die Lage derer versetzt haben, denen wir unsere Hilfe angedeihen ließen, weil wir nicht in einen ernst haften Dialog mit ihnen eingetreten sind.

In den letzten Jahren hat bei vielen von uns ein Umdenkprozeß eingesetzt. Wenn wir Überlegungen über die Rolle der österreichischen Kirche der neunziger Jahre in den Nord-Süd-Beziehungen anstellen, so müssen wir vor allem in Theorie und Praxis ein neues Verständnis von Weltkirche und von globaler Entwicklung finden.

Schon jetzt leben rund 60 Prozent der Katholiken in der südlichen Hemisphäre, im dritten Jahrtausend werden die wichtigsten Impulse und Inspirationen für die Gesamtkirche aus der Kirche der Dritten Welt kommen. Wir werden also lernen müssen, wie wir in Österreich Weltkirche verwirklichen können. Das darf keineswegs eine Vernachlässigung der kirchlichen Arbeit in Österreich selbst bedeuten, aber wir dürfen auch als Kirche nicht so weiterleben, als hätten wir ein Recht, zu einem priviligierten und allein richtungsweisenden Teil der Weltkirche zu gehören.

Wir müssen die alte Beziehung durch eine neue Beziehung der „Communio“ ersetzen. „Commu- nio“ bedeutet Gegenseitigkeit und damit wechselseitige Beziehungen, die das Teilen sowohl von theologischen Ideen als auch von pastoralen Erfahrungen ermöglichen. Neue und intensivere Formen der Kommunikation mit Vertretern der Kirche in der Dritten Welt müssen gefunden werden. Das inhaltliche, theologische und pastorale Gespräch als Grundlage für die Zusammenarbeit muß gesucht werden. Es geht vielmehr um einen Dialog, in dem wir Gebende und Nehmende zugleich sind.

Es muß uns bewußt werden, daß eine Lösung der globalen Entwicklungsproblematik auch der globalen Lösungsansätze bedarf, und wir dürfen uns als Kirche dieser Logik nicht entziehen.

Der Autor ist Geschäftsführer der Koordi- nierungsstelle der Österreichischen Bi- schofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission.

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