Trauma-Geschichte: Gespenster der Vergangenheit
Der Ukraine-Krieg ist die Folge einer tragischen Verstrickung, die in Russland leider nicht aufgelöst werden konnte.
Der Ukraine-Krieg ist die Folge einer tragischen Verstrickung, die in Russland leider nicht aufgelöst werden konnte.
Es begann auf breiter Front, am 22. Juni 1941: Das deutsche NS-Regime eröffnete den Krieg gegen eine offensichtlich überraschte Sowjetunion. Für den propagierten „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“ verfügte Nazideutschland über mehr als drei Millionen Soldaten. Viele von ihnen marschierten aufgeputscht durch Pervitin; eine Droge, die Energie und Wachheit steigert. Doch der erwartete „Blitzsieg“ blieb aus. Bereits Ende des Jahres hatte die Wehrmacht gewaltige, kaum zu kompensierende Verluste. Das Blatt wendete sich, und die Rote Armee begann nach Westen vorzurücken. Bis zur Kapitulation des Deutschen Reiches 1945 musste auch die Sowjetunion rund 25 Millionen Menschenleben beklagen.
Szenenwechsel: Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Was in Russland zunächst nur als „Spezialoperation“ bezeichnet werden durfte, wird vom Kreml als Fortsetzung des „Großen Vaterländischen Krieges“ verkauft. Laut dieser Erzählung befinde sich Russland abermals in großer Gefahr: In Kiew müsse man „drogensüchtige Nazis“ besiegen, die vom feindlichen „Westen“ an der Macht gehalten würden.
Fluch des Traumas
Das rote Band, das die beiden Ereignisse verbindet, ist offensichtlich. Die Familie des 1952 geborenen Wladimir Putin war unmittelbar von der deutschen Okkupation betroffen: Ein älterer Bruder verhungerte im belagerten Stalingrad; eine Großmutter wurde von den deutschen Besatzern ermordet. Der russische Präsident bekam die Kriegsgräuel also noch unmittelbar zu spüren. Und ist zeitlebens davon geprägt. Im Zuge seiner langen Amtszeit fühlte er sich offenbar zunehmend bedroht – insbesondere von den Gespenstern der Vergangenheit. Dass er sich schließlich selbst darangemacht hat, den Horror des Krieges in der Ukraine wieder zu entfachen, ist eine europäische Tragödie. Und exemplarisch für die weltpolitische Bedeutung von Trauma.
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