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Liebeserklärung an einen Dichter

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Ich sitze am offnen Fenster, durch das Kühlung hereinweht, da die Hauswand im Schatten liegt, blicke über die besonnten Wipfel der im Rondell stehenden Linden hinaus auf einen fernen bläulichen Höhenzug, halte mein Lieblingsbuch in den Händen, höre ein Geschnatter und ein Putt-putt-Rufen vom Ententeich her, blät-tre vor und zurück, höre das Plätschern des Zulaufs, lese bald hier einen Satz, einen Abschnitt, bald da, liege am Fluß, wo die Mücken summen, halte die Füße ins Wasser und fühle den Wind im Haar - strömendes Wasser, denke ich, strömendes Wasser, wehender Geist.

Irgendwann in den fünfziger Jahren muß es gewesen sein, als ich in einer Anthologie amerikanischer Erzähler erstmals den Namen William Goyen las und die Sätze, die ich noch auswendig weiß, so wie die Theologen den Anfang des Johannesevangeliums wissen oder wie Gräci-sten die ersten Verse der Odyssee aufsagen können. So hab ich's im Ohr: „Hab letzte Nacht wieder geträumt, ich hätt den armen Raymon Emmons gesehn, die ganze Nacht durch gesehn wie am hellichten Tag. Und Tränen waren in seinen glasigen Augen, und sein Gesicht wollt wegschmelzen.”

Siedend überlief's mich da, schon beim Lesen des ersten Satzes dieser Erzählung mit dem Titel: „Geist und Fleisch, Wasser und Erde.” - So muß es Curtius zumut gewesen sein, als er in der Halle eines Hotels irgendwo in den USA, in einer Zeitschrift blätternd, auf Goyens Namen stieß, der über einem Fortsetzungsabdruck stand - als er las und weiterlas und, schon süchtig, nach mehr und immer mehr verlangte. Curtius hatte Goyen damals für das deutsche Publikum entdeckt und aus dem Englischen ins

Deutsche übertragen. 1950-es ist die damalige Ausgabe, die ich in den Händen halte - war dann Goyens Erstlingsroman „Haus aus Hauch” erschienen, dem zwei Bände mit Erzählungen folgten: „Zamour” und „Der weiße Hahn” und zwei weitere Romane: „Savata” und „Im fernsten Land”, ich habe sie alle gelesen.

Wr as nicht folgte, war der Nobelpreis für Literatur - soll ich sagen: zum Glück, weil er den Poeten in die Gesellschaft von Henryk Sienkiewicz versetzt hätte? -Goyen lag quer und liegt immer noch sperrig auf den gängigen Marktwegen, ein erratischer Block im literarischen Flachland, unbehauen, unge-glättet, und das Werk ist wie der Autor selbst ebenso Kuhur- wie Naturereignis aus „Geist und Fleisch, Wasser und Erde”.

Die Mücken umsummen mich in sengender Hitze am toten Flußarm, wo ich mit meinem Floß vor Anker liege, zwischen Binsen am Rand eines Froschlaichfeldes, umgeben von bald nahen, bald ferneren glucksenden Lauten, die entstehen, wenn aus schwarzen Tiefen Blasen aufsteigen, die zerplatzend einen Geruch freisetzen, den du nicht benennen kannst, und der immer wiederkehrende sir-rende Laut der blitzblauen Libelle hat die Zeit aufgehoben, und die lange Dauer dieses Sommernachmittags mit seinen sirrenden, summenden, glucksenden Lauten hat dich unsterblich gemacht wie der Duft der Linden, der mir zuströmt durch das geöffnete Fenster her.

Eines der großen vereinigenden Symbole, eines der Urbilder, einer der Archetypen in „Haus aus Hauch” ist der Fluß, an dessen Ufer das Städtchen Charity liegt und von dem ich lese: „Jedes fließt in jedes und trägt alle Leben, das eigene und die anderen, mit sich und in sich, und alles ist ein Murmeln und Flüstern von Dingen, die ineinander übergehen, einander zeugen und suchen und erreichen und zurückgehen und sterben.”

Schwimmend tauche ich mit dem Knaben in die Tiefe des Flusses, der Tod wie Leben, Erlösung, Lust und Reinigung bedeutet, in Strudeln zieht's mich hinab, und kathaitisch wirkt die Lektüre dieses Buches auf den Leser, der sich von ihm tragen und entführen, verschlingen und ans Ufer schleudern läßt, und du brauchst lange Zeit, um zu sichten, zu ordnen, zu bergen, was du in der Tiefe gefunden und mit ans Ufer gebracht hast.

Das Städtchen Charity, nein, Trini-ty in Texas, wo der Roman spielt und wo Goyen nach 1915 seine Kindheit verlebte, entgrenzt sich wie das Ich des Erzählers und wird zum Raum der Welt, von der eine Karte zeugt, die im Elternhaus des Kindes an der Wand hängt, vor der das Kind träumt von Weite und Zukunft - und dann ist Zukunft da und wird Vergangenes erinnert und heimgeholt, kehrt das Verlorene zurück und geht abermals fort, ruhen und schwingen die Menschen wie die Dinge im Hauch des Erzählers wie im wehenden Wind, tauchen sie auf und gehen sie unter in einem kosmischen Atemstrom.

Und da Goyens Sprache ins Mythische reichtund dem Urgrund nah ist, darin die Gestalten versinken und daraus sie auferstehn, ist mir sein Werk unerschöpflich und gestaltet es sich um und um in meiner Wahrnehmung, sooft ich es lese in der Zeit meines Lebens, die mit den Flüssen dahinzieht, mitunter mäandernd, stagnierend in toten Armen und dann wieder strömend, an Wäldern und Städtchen vorbei, von denen eines Charity heißt.

Dreimal schon habe ich diesen Roman gelesen, jetzt lese ich ihn wieder, und wieder verstehe, begreife, ahne ich anderes, das er birgt, trägt mir der Fluß neue glucksende Laute, neue Gerüche, Faßdauben, Muscheln und Körbe zu und seine saugenden, spülenden, waschenden Wasser, in denen Hitze und Kühlung ist.

Ich weiß: selbst wenn ich bei guter Gesundheit wäre und reisen könnte, wie's mir beliebt - vor die Wahl gestellt, zur Buchmesse zu fahren, einmal mehr, oder Goyen zu lesen, hätte ich mich schon entschieden: für Goyen.

Und denen, die noch immer das Jahrhundertwerk von einsamer Größe und höchstem dichterischen Rang suchen, könnte ich sagen: Es ist längst da! - Denn „da war es, auf dem kleinen aufsteigenden Landstück, und wartete auf mich. Durch den Nebel, der zwischen uns lag, schien es so, als wenn das Haus aus dem zartesten Gewebe von Atem gebaut wäre und als ob ich es hingehaucht hätte - und als ob ich es wegblasen könnte mit meinem Hauch.”

Und einmal - bei einem Essen in der Dubliner Royal Academy Hall -stiftete Goyen eine Gesprächsgemeinschaft, die ihre Teilnehmer, die beide mit der irischen Küche nichts anzufangen wußten, aus den Niederungen des gelangweilten Bankettgeplauders riß. Ich weiß nicht mehr, welcher Zufall es fügte, aber der stille alte Herr mir gegenüber redete plötzlich, als Goyens Name fiel, mit Wärme und Leidenschaft, und wir entdeckten einander, daß wir, er wie ich, ganz unabhängig voneinander schon vor Jahrzehnten Goyen ins Herz geschlossen hatten, und wir fanden's seltsam, daß man erst nach Dublin reisen müsse, um festzustellen, daß man wahlverwandt sei.

Beim Abschied machten wir uns namentlich miteinander bekannt. Mein Gegenüber war Gustav Rene Hocke. (Er hatte während des ganzen Essens nur über Goyen gesprochen -kein Wort über sein eigenes Werk.)

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