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Madiiavelli plus Marx

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„Alle menschlichen Dinge sind im Fluß, sie müssen steigen und fallen, und zu vielem, toozu die Vernunft nicht rät, zwingt die Notwendigkeit.“ Niccold Machiavelli, Discorsi 116

Italiens Demokraten können sich vor Neuwahlen nicht mehr retten. Italiens Kommunistische Partei wird in diesen Wahlen entweder zur größten Partei des Landes werden; oder, wenn sie dieses Ziel auch verfehlen sollte, doch so gestärkt aus dem Walhlgang hervorgehen, daß keine Regierung in Horn an der KPI und den von ihr kontrollierten Gewerkschaften mehr vorbeisehen kann.

Das Abendland trägt deshalb Trauer. Und mit Recht muß man fürchten, daß die Entwicklung in Italien eine Eigengesetzlichkeit erreichen könnte, die für Südeuropa im besonderen, für das demokratische Europa im allgemeinen Folgerungen haben müßte.

Es ist ja so, daß Lateineuropa — wie Alfons Dalma den romanischen Ländern nachweist — eine offensichtlich prägende politische Kraft besitzt. Mit einer gewissen Inkubationszeit wurden und werden dort Weichen gestellt, die für die gesamte europäische Entwicklung immer prägend waren:

In Italien Ist die Renaissance erwachsen und Machiavelli hat das erste geschlossene — nicht-religiöse — politische System erfunden, auf dem der fürstliche Absolutismus in den awei folgenden Jahrhunderten in ganz Europa fußte. Die französische Revolution hat ungeheure Erschütterungen ausgelöst, die den Feudalismus zu Ende brachten. Italien war der erste mit Gewalt geschaffene Nationalstaat und beflügelte die nationalistischen Bewegungen in Europa bis weit in das 20. Jahrhundert. Italien war auch das Land, in dem der Faschismus zuerst seinen Siageszug antrat —> und jenes Land, das sich seiner zuerst wieder entledigte. Und Spanien? Es nahm im Bürgerkrieg die Frontbildung des Zweiten Weltkrieges vorweg.

Nun, man könnte argumentieren, daß Italien eben jetzt durch die mögliche Hinwendung zu einem nationalen, westeuropäischen, stark syndikalistischen Kommunismus wieder ein Signal setzt; zumindest aber für Frankreich, Spanien, Portugal und auch Griechenland. Aber es ist doch auch nicht zu übersehen, daß dieses Italien 1976 ein ganz eigenartiger Sonderfall ist, der die Lokalisierung der Wirkung möglich macht. Vor allem gibt es — im Unterschied auch zu allen anderen genannten Ländern — in Italien nämlich eine schwache, geteilte Sozialistische Partei; und das ist ja das eigentliche Dilemma der Demokratie in Rom und Mailand, Turin und Neapel. Und dort, wo sich sozialistische Kommunepolitik möglicherweise bewähren könnte, herrschen heute schon die Kommunisten. Auch ohne Programme commun — wie es in Frankreich realisiert Ist — bilden Sozialisten und Kommunisten in der italienischen Regionalpolitik Gemeinschaften — immer zu Lasten der Sozialisten (während in Frankreich ein umgekehrter Prozeß sichtbar wird).

Nun läßt es sich leicht in Wien

oder Bonn (wie kürzlich der deutsche Bundeskanzler Schmidt) • über Italiens Situation diskutieren. Wenn Europa überhaupt etwas zu den italienischen Wahlen beitragen kann, dann in einem klaren Bekenntnis aller westeuropäischer Demokraten und demokratischen Parteien zu ihren Schwesterorganisationen in Italien. Aus dieser Konsequenz heraus schiene ein Einsatz der Sozialistischen Internationale in Italien lohnender als fernab in Nahost. Und auch die Christidemokraten nördlich der Alpen sollten sich einmal am Schopf nehmen und rekapitulieren, wie sie ihrer (gelegentlich belächelten) Schwester DC (noch) helfen könnten. Vielleicht kann ein moralischer Appell der europäischen Demokraten an die italienischen Wähler doch noch einen gewissen mäßigenden Einfluß haben — wenngleich diese Wirkung eher unwahrscheinlich zu sein scheint.

Aber man muß sich anderseits klar sein, daß zeitgerechte Uber-legungen am Platz sind, was zu tun ist, wenn Italiens KP im Palazzo Ohigi sitzt. Die NATO hat ja schon am Fall Portugal gelernt, daß gewisse neue Entscheidungsmechanismen und Informationsebenen notwendig sein können. Die EG, deren wichtiger Partner Italien ist, könnte dem römischen Regierungsveto entgehen, wenn man den Prozeß der Parlamentarisierung endlich forcieren würde. Da müßten dann KP-Ahge-ordnete erkennen, wie winzig klein sie in der europäischen Szenerie nach wie vor nämlich sind. Und dann müßten die demokratischen Regierungen in Europa und in den USA lernen, einer Koalitionsregierung in Italien eben flexibel zu begegnen, und man studiere da die Praxis der Sowjets, die schon lange zwischen „fortschrittlichen“ und „reaktionären“ Politikern in Koalitionsregierungen unterscheiden können — und die Handhabung von Zuckerbrot und Peitsche trefflich gelernt haben. Das Land des Stiefels wird auch in Zukunft vor allem ein Bittsteller sein; das gilt es ja zu bedenken.

Italien ist jedenfalls kein Sonderfall, was die Pigmentierung der KP betrifft. Links getrimmte Medien loben zwar heute jede Schwalbe, die da nicht Moskaus Loblied singt, übersehen aber völlig, daß an der KPI-Basis rauhe Winterkälte herrscht: und daß dort die Sowjetunion immer — und nach wie vor — als Paradies der Werktätigen gilt.

Italiens KP wird — wie überall — nämlich die Strategie der Machtergreifung nach der „Kategorie der Totalität“ — wie das Georg Lukäcs genannt hat — betreiben; für sie repräsentiert den bürgerlichen Staat wie den stato der Renaissance ja nur eine Clique von ausbeutenden Herrschenden — die man durch die eigene Clique ersetzen muß.

Machiavelli plus Marx — das kann eine fatal-gefährliche Mischung ergeben. Wenn man nicht vorbereitet ist.

An Italien vollzieht sich heute ein fatales Geschick — nach dreißig Jahren demokratischer Korruption und sozialer Disproportion, Schlechte Politik alber schafft ein „vielköpfiges Ungeheuer“, wie Dante Alighieri sagte. Man darf getrost feststellen, daß in Italien dreißig Jahre lang eben eine nicht gerade gute Politik gemacht wurde...

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