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Der „Verein zur Pflege christlicher Theaterkultur” sucht neue Wege. Wie wird sein künftiges Programm aussehen? Welche Umrisse hat christliches Theater in unserer Zeit?

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Der „Verein zur Pflege christlicher Theaterkultur” sucht neue Wege. Wie wird sein künftiges Programm aussehen? Welche Umrisse hat christliches Theater in unserer Zeit?

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Abschied vom christlichen Theater” lautete das Motto einer Tagung des Bundes der deutschen Theatergemeinden in den späten sechziger Jahren, und dieser Titel mag symptomatisch ein Kapitel europäischer Theatergeschichte abgeschlossen haben.

Umso überraschender war es, daß schon ein Jahrzehnt später die Wiener Festwochen durch die Aufführung eines Dramas im

Kirchenraum bereichert wurden. Die leider viel zu früh verstorbene Burgschauspielerin Angelika Hauff hatte ihre Idee, die große Tradition des Kirchenschauspiels bewußt in unserer materialistischen Zeit fortzuführen, in die Tat umgesetzt. In repräsentativen Aufführungen sind bisher neben Calderons „Großem Welttheater” durchwegs Werke von Autoren des 20. Jahrhundert gespielt worden: Werke von Roman Brandstätter, Max Zweig, T. S. Eliot und Silja Walter. Bei den diesjährigen Festwochen wird Emmet Laverys „Die erste Legion” gespielt werden. Produzent dieser mit ersten Schauspielern besetzten Inszenierungen ist der ebenfalls von Angelika Hauff gegründete Verein mit dem etwas unglücklichen Namen „Verein zur Pflege christlicher Theaterkultur”.

Es ist nicht nur eine Marktlücke innerhalb des Theaterbetriebs, die, wie nüchterne Menschen behaupten, durch diese Arbeit gefüllt wird, sondern viel mehr und viel wesentlicher eine geistige Lücke im theatralischen Geschehen unserer Zeit. Und es kommt auch meines Erachtens weniger darauf an, einem sich zum Christentum bekennenden Publikum ein eigenes Theater zu bieten, als vielmehr die Lauen und Gleichgültigen auf christliches Gedankengut aufmerksam zu machen; nicht mit missionarischem Eifer -das würde nur berechtigtes Mißtrauen erwecken —, sondern mit einem Bekenntnis, das keine Kritik scheut, ja sie herausfordert, um aus starren Fronten wieder lebendige Begegnungen zu machen.

Religion und Christentum waren allzulange mit dem Begriff des Traditionellen identifiziert worden. Wenn man von christlichem Theater sprach, dachte man fast nur an mittelalterliche Mysterienspiele und ihre schwächlichen Nachahmungen in späterer Zeit, weshalb mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine radikale Wende eintrat, als Dichter vom Range Paul Clau-dels, Georges Bernanos', Francois Mauriacs oder Gabriel Marcels, eines T. S. Eliot oder Christopher Fry christliches Theater in einer völlig untraditionellen, fast revolutionären Form schufen und damit auch ein junges Publikum ansprachen. Aber seit der Wende um das Jahr 1968 sind die Werke der Genannten fast ausnahmslos aus den Spielplänen der europäischen Theater verschwunden. Seither herrschte ein Trend zum sogenannten politischen Theater, marxistische Tendenzen waren nicht abzuleugnen. Doch darf nicht übersehen werden, daß das starke soziale Engagement manches dieser Stücke so wie auch ein in den letzten Jahren häufiger Einsatz für den Frieden auf säkularisierte Weise Tatchristentum verkörperten.

Was schmerzlich fehlte und fehlt — und hier müßte heute die Arbeit eines Vereines wie des genannten einsetzen — ist jene geistige Grundhaltung, jene Offenheit für religiöse Probleme, in denen freilich Glaube nicht als verordnet, sondern als Geschenk, Hoffnung als Mut zum Leben und Liebe als Vertrauen in den Plan Gottes erkannt werden.

Neben der bisherigen alljährlichen Festaufführung eines bedeutenden Werkes in ansprechender Besetzung wäre es daher — vor allem um ein neues Publikum zu erreichen — dringend notwendig, auch während des Jahres in kleinerem Rahmen moderne, kritische Stücke aufzuführen, in denen Gegenwartsfragen mit christlichem Gedankengut konfrontiert werden. Dabei könnten auch Stücke nichtchristlicher Autoren, vor allem wenn sie literarisch anspruchsvoll sind, viel zur Erkenntnis beitragen — manchmal mehr als gutgemeinte „Lehrstücke”. (Schon 1959 erklärte der französische Dominikanerpater Mambfino bei einem internationalen Symposion, daß er Sartres „Geschlossene Gesellschaft” für das christliche Stück unseres Jahrhunderts halte). Trotzdem: der Mangel an Stücken mit religiösen Problemstellungen ist nicht abzuleugnen, und es muß eine der Hauptaufgaben der Mitarbeiter des Vereines sein, solche zu entdecken, ja, das Entstehen solcher Stücke anzuregen.

Neben den erwähnten Aufführungen im kleinen Rahmen, die durch Lesungen ergänzt werden können, sollten vor allem Symposien fruchtbaren Gedankenaustausch bringen; Verbindungen zu Personen und Institutionen mit ähnlichen Zielsetzungen im Ausland müssen geschaffen werden.

Zwei Probleme werden — meines Erachtens \— neben der praktischen Arbeit vor allem zu meistern sein: das Wirksamwerden des Vereins in Kreise hinein, die dem Christentum skeptisch oder lau gegenüberstehen, und — nicht weniger schwierig — die Uberwindung des Mißtrauens jener, die im guten Glauben, rechtgläubig zu sein, jede Selbstkritik, jedes kühne Experiment, jeden Bruch mit traditionellen Werten als Sakrileg empfinden.

Christliches Theater in unserer Zeit muß Sand im Getriebe einer Welt sein, die sich — im doppelten Sinne des Wortes — immer mechanischer vom Menschen zu entfernen scheint. Das bedeutet, daß heute weniger fromme Erbauungsspiele, als vielmehr Stücke kritischer Auseinandersetzung mit den Problemen unserer Gegenwart notwendig sind, will das Theater dazu beitragen, unserem zwischen Leistungszwang und Lethargie pendelnden und dadurch unsinnig gewordenen Leben durch die Frohe Botschaft wieder Sinn zu geben.

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