6819868-1973_29_06.jpg
Digital In Arbeit

Nicht nur Trotzkisten

19451960198020002020

Seit der militärischen Niederlage der Deutschen und Italiener in den Jahren 1944 und 1945 malten die kommunistischen und sozialistischen Parteien immer wieder das Gespenst „Faschismus“ an die Wand. Oft wurden ideologische Gegner, die sich der totalitären Ansprüchen des Weltkommunismus nicht beugen woll ten, als Faschisten bezeichnet. Vor allem konservative Politikei erhielten dieses schmückende Beiwort.

19451960198020002020

Seit der militärischen Niederlage der Deutschen und Italiener in den Jahren 1944 und 1945 malten die kommunistischen und sozialistischen Parteien immer wieder das Gespenst „Faschismus“ an die Wand. Oft wurden ideologische Gegner, die sich der totalitären Ansprüchen des Weltkommunismus nicht beugen woll ten, als Faschisten bezeichnet. Vor allem konservative Politikei erhielten dieses schmückende Beiwort.

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist bekannt, daß in der italienischen Republik eine nicht zu unterschätzende neofaschistische Partei existiert. Besonders in Sizilien und in anderen südlichen Landstrichen hat sie eine erhebliche Anhängerschaft. Dagegen wurden die geringsten Signale, die auf eine Renaissance der nationalsozialistischen

Organisation an der Bundesrepublik hindeuteten, von der internationalen Öffentlichkeit mit großer Unruhe verfolgt. Die vorübergehenden relativen Wahlerfolge der NPD wurden von der Presse der Nachbarländer weidlich ausgeschlachtet. Es ist verständlich, daß alle Anzeichen einer solchen nationalsozialistischen Restauration jenseits des Rheins, vor allem in Frankreich, Mißbehagen hervorriefen. Die Erinnerung an die Zeiten der Besatzung und der Resistance sind im politischen Denken der V. Republik doch noch sehr lebendig, mag auch die jüngere Generation diese Ereignisse lediglich als einen Bestandteil der nationalen Geschichte ansehen. Bei dieser französischen Suche nach faschistischen Spättrieben in den Nachbarstaaten wurde oft vergessen, daß der Faschismus im eigenen Land /war keine ernstzunehmende Gefahr darstellt, wohl aber zur Bedrohung der inneren Sicherheit und des Bürgerfriedens dimstande sein könnte.

Ein Aufmarsch faschistischer Rollkommandos am 21. Juni 1973 im Studentenviertel Quartier Latin erinnerte unwillkürlich an ähnliche Bilder in deutschen und österreichischen Städten vor 1933. Militärisch ausgebildet wie die Linksextremen, Sturzhelme auf dem Kopf und Eisenstangen schwingend, eilten die Verteidiger des Abendlandes zur ersten Großveranstaltung nach den Legislativwahlen. Schon während des Wahlkampfes im März durften die Fernsehzuschauer einen ihrer Rekken bewundern. Wie weiland Hagen in der Nibelungensage, hatte er ein schwarzes Band malerisch um ein Auge gebunden. Es war der ehemalige poujadistisohe Abgeordnete Jean-Marie Le Pen, der im Oktober 1972 die „Nationale Front“ gegründet hatte, um die extrem« Rechte neu zu gruppieren. Diese war bisher vollkommen zerklüftet gewesen und nach Tradition des französischen Faschismus in noch mehr Sekten und Zirkel zerfallen als die extreme Linke.

Der französische Faschismus kann auf eine historische Genesis zurückblicken. Wenn auch zahlenmäßig gering, gewährten die diversen Zellen der extremen Rechten sowohl ideologisch als auch organisatorisch der französischen Innenpolitik viele; oft fragwürdige Impulse. Die Neigung zum Komplott oder das Anzetteln von Verschwörungen ist diesen Leuten bis auf den heutigen Tag geblie-'ben. So gab es bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg die Geheimorganisation „Kapuze“. Sie umfaßte ungefähr 15.000 Reserveoffiziere, die riesige Waffenlager unterhielten. Beim Putsch der Armee und der weißen Siedler im Mai 1958 spielten diese Kreise eine gewisse Rolle bei den Vorbereitungen für die Machtübernahme General de Gaulies. Der Gründer der V. Republik distanzierte sich allerdings stets von diesem problematischen Anhang.

Die blutige Auseinandersetzung in Algerien förderte die faschistischen Tendenzen einzelner Offiziere und Theoretiker des subversiven Kriegs. Der denkende Kopf der Geheimarmee Susini versuchte — wie schon erlebt — die Vermählung der beiden großen Ideologien: des Sozialismus und des Nationalismus.

Zur Auslösung der Maiereignisse von 1968 trug auch die winzige rechtsextremistische Gruppe „Occident“ bei. Unter dem keltischen Kreuz proklamierte „Occident“ höchst nationalsozialistische Theorien. Als unerreichtes Vorbild galt dabei die italienische neofaschistische Partei, das MSI. Die spanische Falange, obwohl nach links tendierend, wurde als Bruderpartei respektiert.

Als „Occident“ nach dem Mai 1968 von der Regierung aufgelöst worden war, entstand ihm eine Nachfolge in der turbulenten Gruppe „Neue Ordnung“. Diese konnte im Juni 1973 ungefähr 3000 bis 4000 aktive Mitstreiter zählen. Zudem erfreute sich „L'Ordre Nouveau“ der bedingungslosen Unterstützung der Wochenzeitschrift „Minute“.

Trotz der Initiative von Le Pen weigerten sich viele Zirkel der Rechten, insbesondere die Royalisten und einzelne Nachfolger der „Action Francaise“, der „Nationalen Front“ beizutreten. Auch der aktivste Teil der extremen Rechten, eben die „Neue Ordnung'“, wurde schließlich dem „Führer“ Le Pen untreu.

Zugleich mit der trotzkistisch-kommunistischen Liga verbot die Regierung Ende Juni 1973 die „Neue Ordnung“. Sicherlich wird nun die faschistische Rechte in den nächsten Wochen ein neues Firmenschild finden. Ein Strich wurde ihr allerdings durch die Rechnung gemacht. Die „Neue Ordnung“ hat nämlich in der Provence ein verlassenes Dorf aufgekauft, um dort ein nationalistisches Zentrum aufzubauen. Daraus wurde nun nichts und eine ähnliche Chance dürfte siqh nicht allzu rasch bieten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung