6800125-1971_30_04.jpg
Digital In Arbeit

ÖVP: Programm und neue Köpfe

19451960198020002020

Es ist kein Geheimnis, daß die vorzeitigen Neuwahlen, genauer, die Wahlen am kommenden 10. Oktober, für die ÖVP ein früher, nach Ansicht vieler ein zu früher Termin sind und daß daher die erst am 4. Juni gewählte neue Parteiführung von Anfang an bestrebt war, Bundeskanzler Kreisky keinen plausiblen Grund zu einem „eleganten“ Absprung zu geben. Diese „Furcht“ der ÖVP vor Neuwahlen hatte aber auch zahlreiche Gründe, die nichts mit einer Angstpsychose zu tun haben. Eine Partei, die auf mehr als zwei Millionen Wähler rechnen kann, hat Neuwahlen zu keiner Zeit sonderlich zu fürchten, und man sollte den propagandistischen Behauptungen und ironischen Glossen der gegnerischen Parteien zu diesem Thema keinen allzuhohen Aussagewert beimessen. Der jetzt beginnende Wahlkampf bedeutet für die Volkspartei auch eine große Chance. Das gilt selbstverständlich immer und für alle Parteien. Aber die Volkspartei startet zu diesem Wahlkampf von „weiter hinten“, und sie müßte sich daher besonders anstrengen. Gerade darin liegt aber die Chance: im Wahlkampf könnte sie ihren Regenerationsprozeß beschleunigen.

19451960198020002020

Es ist kein Geheimnis, daß die vorzeitigen Neuwahlen, genauer, die Wahlen am kommenden 10. Oktober, für die ÖVP ein früher, nach Ansicht vieler ein zu früher Termin sind und daß daher die erst am 4. Juni gewählte neue Parteiführung von Anfang an bestrebt war, Bundeskanzler Kreisky keinen plausiblen Grund zu einem „eleganten“ Absprung zu geben. Diese „Furcht“ der ÖVP vor Neuwahlen hatte aber auch zahlreiche Gründe, die nichts mit einer Angstpsychose zu tun haben. Eine Partei, die auf mehr als zwei Millionen Wähler rechnen kann, hat Neuwahlen zu keiner Zeit sonderlich zu fürchten, und man sollte den propagandistischen Behauptungen und ironischen Glossen der gegnerischen Parteien zu diesem Thema keinen allzuhohen Aussagewert beimessen. Der jetzt beginnende Wahlkampf bedeutet für die Volkspartei auch eine große Chance. Das gilt selbstverständlich immer und für alle Parteien. Aber die Volkspartei startet zu diesem Wahlkampf von „weiter hinten“, und sie müßte sich daher besonders anstrengen. Gerade darin liegt aber die Chance: im Wahlkampf könnte sie ihren Regenerationsprozeß beschleunigen.

Werbung
Werbung
Werbung

Sicher ist nur, daß die ÖVP heute vor einem Wahlkampf steht, in dem sie sich erstmalig als Oppositionspartei bewähren muß. Oppositionspartei heißt zunächst: mehr Manövrierraum nicht nur in der Kritik, sondern auch im Programm. Diese größere Manövrierfähigkeit ist aber zugleich auch ein erschwerendes Moment. Denn sie muß extrem genützt werden. Nur so kann eine Oppositionspartei mit der Regierungspartei, die ungleich mehr propagandistische Möglichkeiten hat, einigermaßen gleichziehen. Und nur so kann sie überzeugend angreifen.

Und das bedeutet: besseres Programm, bessere Kandidaten. Auf die Art, „wie es schon immer war“, wird es nicht gehen. Unkonventionelle Vorgangsweise wäre das Minimal- erfordemiis für einen Erfolg.

Wie steht es also mit dem Programm und wie steht es mit den Kandidaten? Das Wahlprogramm wird, wie man hört, in den kommenden Hitzewochen in der Kärntnerstraße ausgebrütet werden, wobei es wenig wahrscheinlich ist, daß dazu die bisherigen Anstrengungen auf programmatischem Gebiet mehr als eine gewisse Orientierungshilfe bieten können. Es wird am 10. September dem Bundesparteirat vorgelegt und gleichzeitig veröffentlicht werden.

Was Programme betrifft, war die ÖVP immer schon im allerbesten Falle eine suchende Partei. In einer Zeit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Umdenkens und technischer Umstürze ist das zuwenig, denn „die anderen“ bieten fertige Lösungen an, und es gibt nur wenige unter den Wählern, die imstande sind, ge- konnt-formulierte Schlagworte auf ihren tatsächlichen Wert zu prüfen. Das Grundsatzprogramm, das in dieser erfahrungsgemäß nicht diskussionsfreudigen Partei erst vor kurzem zur Diskussion gestellt wurde, war von ihren Urhebern vor allem als Anreiz zu einem Lernprozeß für den eigenen Gebrauch, für die Funktionäre der Partei gedacht: eine Diskussion bis Weihnachten, dann ein Programmparteitag im Frühjahr 1972, Diskussion und noch mehr Diskussion, und dann, in Form von „Andockmanövern“ stufenweiser Übergang zu den Arbeitsprogrammen, aus denen, in reduzierter, kontrastreicher Gestalt, das Wahlprogramm hervorgehen sollte.

Dieser Aufmarschplan dürfte inzwischen anders aussehen.

Zu einer ähnlich imponierenden Demonstration „modernen“, „fortschrittlichen“ Reformwillens, wie dies seinerzeit der SPÖ, besser gesagt, den „1400 Fachleuten“ des Parteivorsitzenden Dr. Bruno Kreisky gelang, wird es seitens der ÖVP diesmal nicht kommen, dazu reicht einfach die Zeit nicht mehr, man hätte damit zumindest gleich nach der Wahl vom 1. März 1970 beginnen sollen. Es wäre aber dann immer noch nur eine Nachahmung. Wird der ÖVP etwas Neues, Überraschendes, Aufrüttelndes einfallen, wenigstens auf einzelnen Teilgebieten, und sei es auch nur in der Form der Präsentation? Diese Frage ist offen.

Kandidaten: nicht viel Neues

Nicht mehr so offen, sondern zumindest teilweise beantwortet ist die andere Frage, die nach den Kandidaten. Hier ist die Vorgangsweise durch das Parteistatut vorgezeichnet. Zuständig für die Kandidatenaufstellung sind die Landesorganisationen, die Parteileitung kann nur durch Bitten Einfluß zu nehmen versuchen. Die Bitte richtet sich jeweils an die Landesparteiobmänner, sie mögen auf den Bedarf des Parlamentsklubs an Betreuern wichtiger Sachgebiete Rücksicht nehmen. Gegenwärtig gibt es akuten Mangel an Abgeordneten, die auf den Gebieten Recht, Soziales und Wirtschaft einem Dr. Hauser, einem Dr. Musil an der Seite stehen könnten. Man hört nur von wenigen ÖVP-Abgeordneten, die sich nicht mehr zur Wiederwahl stellen wollen (eine Altersklausel kennt die ÖVP nicht). So weiß man nur, daß in Wien Machunze und Titze nicht mehr kandidieren, außerdem erklärten die Abgeordneten Fritz, Leißer, Mayr, Scherrer und Vollmann, daß sie aus Altersgründen aus dem Nationalrat ausscheiden. Einige andere Namen (Frauscher, Frodl, Karl Hofstetter und Kinzl) wurden in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt. Der prominenteste Politiker auf der ÖVP-Seite, der aus der aktiven Politik ausscheiden will, ist der bisherige Bundesparteiobmann Vizekanzler a. D. Dr. Hermann Withalm. Obwohl es im Wirtschaftsbund starke Bemühungen gibt, Withalm zur nochmaligen Kandidatur zu bewegen, ist es noch ungewiß, ob er, dessen überlegene Leistungen als Parlamentarier stets unbestritten waren, zur Stätte seiner politischen Glanzperiode zurückkehren wird.

Schleinzer als Kanzlerkandidat

Die neue Nationalratswahlordnung bringt übrigens wesentliche Änderungen mit sich. Die Zahl der Mandatare erhöht sich von 165 auf 183. Das bedeutet, auf das Wahlergebnis vom 1. März 1970 umgerechnet, statt wie bisher 81:78:6 ein Mandatsverhältnis von 90:83:10. Es kommen also auf jeden Fall mehr Abgeordnete in den Nationalrat. Die verminderte Zahl der Wahlkreise bedeutet zugleich weniger „Listenführer“. Daraus können Rivalitäten entstehen,

bedeutend ist jedoch diese Frage nicht.

Der Spitzen- und zugleich Kanzlerkandidat der ÖVP ist Bundes- parteiobmann Dr. Karl Schleinzer. Dies wurde nach einem Vorstoß des eigenwilligen Landeshauptmannes der Steiermark, Krainer, der den Präsidentschaftskandidaten UNO- Botschafter Waldheim als Kanzlerkandidaten vorschlug, und nach einer mißverständlichen Erklärung des Generalsekretärs Kohlmaier vor Journalisten von dem Parteivorstand aber dennoch geklärt: Im Falle der Übernahme von Regierungsverantwortung werde die ÖVP Bundesparteiobmann Schleinzer für die Spitzenposition Vorschlägen. Das bedeutet also weder „Kanzlerkandidaten“ nach Bonner CDU-Muster, noch Schattenkabinett wie in England, sondern Schleinzer an der Spitze eines regierungsfähigen Teams. Diese Frage scheint damit endgültig beigelegt zu sein.

Alles in allem ist das aber vorerst ein Mindestmaß an Voraussetzungen, welche die Volkspartei erfüllen muß, will sie für „schwankende“ Wähler attraktiv werden. Viel mehr ist aber nicht zu erwarten, denn die Parteiführung ist noch zu neu und kann in der „ohnehin heiklen Frage der Kandidaturen“, wie es ein hoher Funktionär der Kämtnerstraße sagte, nicht initiativ werden, nicht einmal so weit, wie seinerzeit Generalsekretär Withalm mit seinem viel propagierten „Bundespräzipuum“ (wonach die Bundesparteileitung fünf Experten an aussichtsreicher Stelle kandidieren kann). Der „Quali- tätsschub“ fand aber schon vor der Wahl 1970 statt, gleichzeitig mit dem Generationenwechsel, fügte der zitierte Funktionär entschuldigend hinzu.

„Abwürgen“ wird sich die ÖVP den Wahlkampf allerdings nicht lassen wollen. Ein Wahlkampfabkommen will sie also nur dann akzeptieren, wenn es ihr Gelegenheit zur Alternativdemonstration läßt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung