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Polen: Zittern vor dem Papst-Besuch

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Nie wieder eine solche Tragödie”, tönte es aus den autsprechern. Ein Arbeiterveteran des Posener Aufstandes von 1956 entzündete am Denkmal für die Opfer die „heilige Flamme”, ein Militärorchester stimmte die Nationalhymne an, und ein Appell des Gedächtniskomitees verkündete: „Wir rufen zur Uberwindung der Gegensätze, zur nationalen Verständigung... Wir sind überzeugt, daß alles Positive aus der Zeit nach dem August (1980) fortgesetzt wird...”

Doch eben daran glauben heute die wenigsten — nicht einmal in Posen, der einzigen Großstadt Polens, wo in den Monaten seit dem Kriegsrecht relative Ruhe, ja ein ungeschriebenes Stillhalteabkommen zwischen lokalen Machthabern, Erzbischof und einigen Arbeiterführern entstanden war. Ihr Einfall, allen unkontrollierten Gefühlsausbrüchen am vergangenen Sonntag durch eine offizielle Feier zum Jahrestag des Aufstandes vorzubeugen, erwies sich als nutzlos; einen Tag später schon, am 28. Juni, mußte die Staatsmacht vor dem Denkmal ihrer ersten großen Niederlage Wasserwerfer auffahren lassen, um Tausende von Demonstranten zu vertreiben, die voll Zorn und Trauer nach der verfemten Solidarnosc riefen.

Fast zur gleichen Stunde versuchte Außenminister und Politbüro-Mitglied Josef Czyrek in Warschau, den päpstlichen Sondernuntius Luigi Poggi zu überzeugen, wie heilsam es wäre, wenn Seine Heiligkeit selber den zweiten, natürlich „herzlich willkommenen” Besuch in Polen vom 26. August auf einen späteren Zeitpunkt verschieben würde — wenn nicht aufs nächste Jahr, so doch wenigstens bis zur Heiligsprechung des Auschwitz-Märtyrers Kolbe. Würde sie, die am 10. Oktober erfolgen soll, in Polen statt in Rom zelebriert, könnte man sie zum Siegel eines Versöhnungsaktes werden lassen. Wenn, ja wenn ein konkreter praktizierbarer, nicht bloß aus Worten und Selbsttäuschungen bestehender Verständigungsansatz gefunden werden könnte.

Doch wer sich gegenwärtig in Warschau umhört, entdeckt beim Mann auf der Straße, im kommunistischen Zentralkomitee, im bischöflichen Palast, beim aktiven wie beim resignierten Politiker oder Journalisten überall fast nur verzweifelte Bitterkeit, bestenfalls ratloses, banges Abwarten auf „irgendeine”, „mit der Zeit” kommende Lösung, gemischt mit unbestimmter Hoffnung oder Furcht, daß das fadenscheinige Gleichgewicht des Schreckens, in dem sich bislang Volk und Füh* rung in Schach halten, schon bald zerbrechen könnte.

Die Ohnmacht General Jaruzelskis, seiner durch Spaliere stummen Hasses patrouillierenden Uniformierten, aber auch seiner gemäßigten zivilen Mitarbeiter (von denen mancher jetzt in den Urlaub flüchtet) ist im Wachsen. Noch trösten sie sich damit, die Zeit zu gewinnen, die ihnen in Wirklichkeit verlorengeht. Zumal seit den Mai-Unruhen nicht nur die Nation, sondern auch die Sowjetunion am Geduldsfaden zerrt; sie hat die nach dem 13. Dezember wieder langsam angeknüpften kulturellen und touristischen Kontakte von neuem unterbrochen. Auch an Leichnamen könne man sich infizieren, soll eine böse Erklärung gelautet haben ...

Der Warschauer Sowjetbotschafter Aristow, dessen Wahrnehmungsfähigkeit immer schon durch ideologische Kurzsichtigkeit getrübt war, läßt seine Diplomaten über das Mindestmaß der offiziellen Kontakte hinaus Beziehungen nur zu einer Partei-Lobby pflegen, die sich teils aus zynischen Opportunisten, teils aus fanatischen Sektierern zusammensetzt. Sie gruppiert sich um die Zeitschrift Rzeczywistosc, gebärdet sich neo-stalinistisch, aber auch pseudo-nationalistisch und erfreut sich der, wenn auch nicht eindeutigen Sympathie des Militärrats- und Politbüro-Mitglieds Olszowski.

Mit seiner Hilfe beherrscht sie das Fernsehen und große Teile von Presse und Rundfunk durch einen Agitationsstil, der den Verstand und die Gefühle der Menschen täglich beleidigt, die Glaubwürdigkeit aller Verständigungsthesen kompromittiert, ja unverkennbar eine Konfrontation (und daraus folgende sowjetische Direktintervention) zu provozieren sucht.

Diese an sich kleine, aber radikale Lobby bezieht ihre Kraft aus der hoffnungslosen ideologischen, aber auch faktischen Schwäche und Regierungsunfähigkeit der Partei und aus dem zögernden Verhalten des Militärrats.

Statt den Scharfmachern das Handwerk zu legen oder sie durch mutige Kompromiß-Vorschläge zu entwaffnen, sucht der Militärrat seine Zuflucht — auf dem Fußballplatz: So mußte jetzt das Fernsehen seinen gesamten Jahresetat an Westdevisen verpulvern, um zum erstenmal alle Weltmeisterschafts-Ubertragun-gen senden zu können. Die Polen sollen von den Straßen und vom Nachdenken abgelenkt werden.

Solche Wirkung wäre freilich vom Schauspiel eines zweiten Papstbesuches in Polen nicht zu erwarten. Selbst wenn der polnische Pontifex dabei schweigen würde (was nicht seine Art ist), könnte seine bloße Anwesenheit unabsehbare Folgen haben. Die Befürchtungen reichen von einer „Aufwiegelung des Widerstandes” (wie Parteikreise formulieren) bis zur „Legitimierung der Militärherrschaft” (wie Krakauer Pfarrpriester besorgt nach Rom schrieben).

Primas Glemp, bis Anfang Juni noch selbst zur Verschiebung nei-gend,hat sich durch einen Brief aus Rom überzeugen lassen, daß der Besuch schon im August „die Einheit der Polen und die Gemeinsamkeit zwischen den Nationen stärkt”. Das erklärte die Bischofskonferenz am 8. Juni zur Bestürzung der Regierung, die sich plötzlich fast vor vollendete Tatsachen gestellt sah. Höflich abwiegelnd reagierte sie am 13. Juni: Uber Termin und Programm müsse man erst einmal reden, damit der Besuch „positiv für die Stabilität des Staates” werden könnte.

Uberraschend mischte sich am 19. Juni die Moskauer Prawda mit der Behauptung ein, Präsident Reagan habe den Papst zu einer Polen-Reise angestiftet. Das ver-anlaßte den Vatikan - der solcherlei Dummheiten zu ignorieren pflegt — am 23. Juni zu einem offiziellen Dementi.

Am nächsten Tag befaßte sich in Warschau die gemeinsame Kommission von Kirche und Staat mit der heiklen Frage. Schon fürchteten prominente Katholiken, der Wink aus Moskau würde nun eine brüske Absage hervorrufen. Hinter verschlossenen Türen stießen die Argumente auch hart aufeinander, doch „die Gespräche werden fortgesetzt”, ließ man am Ende lakonisch verlauten.

Für Jaruzelski ist jetzt eine Absage wie eine Zusage an den Papst gleichermaßen riskant. Primas Glemp jedoch meint, daß er den General nicht unter Zeitdruck setzt, ihm vielmehr eine Gelegenheit verschafft, endlich den Durchbruch zur „gesellschaftlichen Ubereinkunft” zu wagen.

Polens Bisehöfe sehen die Risiken, aber schärfer noch die nahezu hoffnungslose Lage ihres Landes. Papst Wojtyla ist für sie nicht der Diplomat aus dem Vatikan. „Wir brauchen ihn”, sagte Primas Glemp am vorletzten Sonntag, „damit er uns hoffen lehrt...”

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