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Politik mit Jeans

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Levi Strauss setzt in der Werbung neue Maßstäbe. Levi's Jeans sollen nicht nur für Freiheit, sondern seit neuestem auch für Menschenrechte stehen.

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Levi Strauss setzt in der Werbung neue Maßstäbe. Levi's Jeans sollen nicht nur für Freiheit, sondern seit neuestem auch für Menschenrechte stehen.

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Seit der Entwicklung der ersten Jeans im Jahr 1853, einer aus braunem Zelttuch geschneiderten Hose ohne Gürtelschlaufen und Gesäßtaschen, steht dieses Kleidungsstück für eine eigene Weltanschauung.

Sie war die unentbehrliche Berufskleidung der Goldsucher und Cowboys im Wilden Westen, wandelte sich vom Freizeit-outfit der GIs und Studenten hin zum Zeichen des politischen Protests der Beatniks, war Kultkleidung der „Flower-po-wer"-Generation und wird heute als universelle Alltagskleidung begehrt und gekauft wie eh und je. Was ebenso gleich geblieben ist, ist der Mythos. Jeans, das heißt Abenteuer, Individualität und vor allem Freiheit. Das Denim-Blau ist Teil des „American way of life". Und doch hat die Jeans oft viel weniger mit Freiheit und Unabhängigkeit zu tun, als die Träger wissen.

Steigender Konkurrenzdruck und damit die Notwendigkeit zur Billigproduktion führten nämlich zu einer Entwicklung, die - zumindest auf der Herstellerseite - nicht mehr ohne weiteres mit Zwanglosigkeit und Unabhängigkeit gleichgesetzt werden kann. Produziert wird heute vorwiegend in Ländern der Dritten Welt, unter Bedingungen, die den westlichen Begriff von „Umweltschutz" und sämtliche Forderungen nach Menschenrechten verhöhnen.

Levi Strauss, weltgrößter Bekleidungshersteller mit einem Jahresumsatz von 5,7 Milliarden US-Dollar, erkannte als erster der Branche die Zeichen der Zeit. Seit Mitte der achtziger Jahre, als Bob Haas, der Großenkel des Firmengründers, die Firma wieder in Familienbesitz übernahm, hat sich die Unternehmensphilosophie grundlegend geändert. Als eine der wenigen Firmen weltweit arbeitet Levi's nur unter Einhaltung von strengen firmeninternen Kooperationsbedingungen („terms of engagement"), die ausländische Produktionsländer und

-betriebe erfüllen müssen. Diese Firmenpolitik wurde erst möglich, als das Unternehmen wieder in Händen der Strauss-Familie war.

Wie ein Sprecher des Unternehmens der furche gegenüber erläuterte, wollen Aktionäre nur Geld sehen. Sie sind an sozialen und ethischen Maßnahmen bestenfalls dann interessiert, wenn dabei auch Profit abfällt. Damit erklärt sich auch, daß sich die Konkurrenz, etwa der mit rund drei Milliarden US-Dollar Jahresumsatz zweitgrößte Bekleidungshersteller, die VF(Vanity Fair)-Gruppe mit den Marken Lee und Wrangler, als börsennotierte Unternehmen diese Firmenphilosophie noch nicht zum Vorbild genommen hat. Sie beharrt, ergaben furche-Recherchen, weiter auf „konventionellen" Produktionsmethoden. ' Heuer zeigten sich erste Auswirkungen der neuen Linie: die Firma Strauss gab ihre gesamte chinesische Produktion auf, nachdem eine Studie über Gefängnis- und Kinderarbeit in China veröffentlicht worden war. Und das, obwohl nicht erwiesen war, daß ihre chinesischen Produktionspartner auch wirklich in Menschenrechtsverletzungen involviert waren. Der Verdacht, die Partnern hätten etwas mit getarnten Arbeitslagern zu tun, bleibt ebenso unbestätigt. Die Befürchtung wurde aber geäußert, es könne nicht ausgeschlossen werden.

Für die Regierung in Peking war das nicht nur ein Schlag ins Gesicht. Der Rückzug des amerikanischen Konzerns beschert ihr auch finanzielle Einbußen im Ausmaß von etwa 50 Millionen US-Dollar.

Der Produktionsabzug nahm allerdings - wider Erwarten der Firma Strauss - keinen Einfluß auf die Entscheidung der US-Regierung bei der jährlichen Verlängerung der Meistbegünstigungsklausel im Juni:

die Entscheidung fiel positiv aus.

Levi Strauss hatte sich vorher bereits aus anderen Ländern zurückgezogen: im Vorjahr beispielsweise aus Peru aufgrund der politischen Instabilität, da den Angestellten das Risiko einer Reise in ein solches Land nicht zumutbar sei.

Daß Levi Strauss mit seiner Politik einen Kostennachteil gegenüber der Konkurrenz in Kauf nehmen muß, ist klar. Nach Aussagen von

Vertretern der Firma ist der Preis aber zweitrangig. Die Hochpreispolitik erleichtert es, die entstehenden Zusatzkosten aufzufangen. Trotzdem bleibt der Kostendruck erheblich und muß durch mehr Effizienz in der Produktion bewältigt werden.

So wurden etwa schon Vereinbarungen mit Herstellern getroffen, einen höheren Preis zu bezahlen, wenn im Gegenzug nachteilige Arbeitsprozesse um weit- oder mitarbeiterfreundlicher gestaltet werden.

Als Beispiele werden die nach neuesten Erkenntnissen der Umwelttechnik ausgerichtete Wäscherei der europäischen Fertigung in Belgien oder die Errichtung einer Schule in Bangladesh genannt. Dort können Kinder bis 14 Jahre nun - wie auch bei einem ähnlichen Projekt in Indien — in die Schule gehen, anstatt wie früher in der Fabrik ausgebeutet zu werden.

Eine vergleichbare Firmenpolitik ist in der Bekleidungsbranche bisher unbekannt. So durfte Levi Strauss in den USA als einziger Anbieter wei-

ter Produkte aus Indien und Bangladesh verkaufen, als der Handel Waren aus diesen Ländern auf Druck der Konsumenten boykottierte.

Auffallend ist bei dieser Firmenpolitik vor allem, daß damit nicht geworben wird. So erfährt die Marketing-Kernzielgruppe, die 14- bis 19jährigen, kaum etwas über die Umstände der Produktion.

Helene Karmasin vom Institut für Motivforschung bestätigte gegenüber der furche die Vorreiterrolle der Firma Strauss. Deren Politik stelle den „neuesten und innovativ-sten Trend" dar. Levi's handle nämlich tatsächlich nach ihren Leitlinien und rede nicht nur davon. Und noch dazu posaunt die Firma ihr Engagement nicht einmal lautstark hinaus.

Ist diese Sensibilität für Bewegungen im sozio-kulturellen Umfeld, gepaart mit einem Verzicht auf eine großangelegte Werbeaktion, wirkliche Überzeugung oder eine besonders raffinierte Geschäftsstrategie? Das zu beurteilen sei schwierig, meint Motivforscherin Karmasin auf die entsprechende Frage der furche. Mit dieser Linie komme Levi's ohne Zweifel jedenfalls einem neuen Bedürfnis am Markt entgegen: der Rechenschaftspflicht. Der Konsument wird zukünftig besser darüber informiert sein wollen, unter welchen Bedingungen ein Produkt, das er kaufen soll, erzeugt wurde. Daß dabei auf die Mechanismen der traditionellen Werbung, also auf großangelegte Plakat- und Filmaktionen, gezielt verzichtet wird, paßt gut ins Bild. Es geht nämlich darum, im Konsumenten - der seine Verantwortung durchaus zu begreifen beginnt - durch Mundpropaganda allmählich ein entsprechendes sozial-elitäres Bewußtsein zu wecken.

Die persönliche Lebensgeschichte des derzeitigen Präsidenten, Bob Haas, spricht allerdings auch für den Ausdruck einer inneren Überzeugung. Haas mußte - als Kind einer jüdischen Familie - mit seinen Eltern aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die Vereinigten Staaten fliehen. Er zeichnet sich seither durch eine betont soziale Einstellung aus.

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