6874359-1978_38_20.jpg
Digital In Arbeit

Sankt Benedikt ist auch heute noch wirksam

19451960198020002020

Das Wort „Bildung“ ist unserer Welt zentral, wird sie doch auch einfach - wie weit rechtens oder nicht - als „Bildungswelt“, ihre Gesellschaft als „Bildungsgesellschaft“ bezeichnet. Wenn hier einiges zum Verhältnis der Benediktiner zu Schule und Erziehung gesagt werden soll, so muß auf Erörterung dessen, was Bildung (und Erziehung) ist, verzichtet werden. Dr. Pater Placidus J. Wolf OSB, Abt der Abtei Seckau, schildert die benediktinische Erziehungsdoktrin in Vergangenheit und Gegenwart.

19451960198020002020

Das Wort „Bildung“ ist unserer Welt zentral, wird sie doch auch einfach - wie weit rechtens oder nicht - als „Bildungswelt“, ihre Gesellschaft als „Bildungsgesellschaft“ bezeichnet. Wenn hier einiges zum Verhältnis der Benediktiner zu Schule und Erziehung gesagt werden soll, so muß auf Erörterung dessen, was Bildung (und Erziehung) ist, verzichtet werden. Dr. Pater Placidus J. Wolf OSB, Abt der Abtei Seckau, schildert die benediktinische Erziehungsdoktrin in Vergangenheit und Gegenwart.

Werbung
Werbung
Werbung

St. Benedikt ist nach 1500 Jahren noch immer wirksam. Seine Gemeinschaften sind die ältesten, die sich mit Erziehung und Bildung befassen. Er selbst setzt schon die Anfänge.

Wie war das mit Benedikt?

Geboren wurde er um 480, mitten in der Zeit der Völkerwanderung, als Sohn einer Familie des umbrischen Landadels in Norcia. Sein Vater sandte ihn zum Studium nach Rom. Rom war in ein Schattendasein gesunken. Seit ungefähr hundert Jahren war Ra-venna die Hauptstadt des weströmischen Reiches, 455 wurde die einst so stolze Herrin von den Vandalen geplündert. Ohne Ziel und Ambitionen war die Gesellschaft dekadenter als vorher, der Trägheit und den Spielen verfallen. Auf den Jüngling aus der herben Gebirgswelt der Abruzzen wirkte sie wie die heutige Wohlstandsgesellschaft auf manchen jungen Menschen der begüterten und gehobenen Schichten: sie erfüllte ihn mit Abscheu, und er tat fast das gleiche wie diese heute: er kehrte ihr und den Menschen den Rücken und floh - nicht gerade in den fernen Osten zu Drogen oder in Subkultur, sondern, wie es damals ein gewisser Modetrend sein mochte, in die wilde Einsamkeit. Wir können sein Verhalten aus den bekannten Erscheinungen unserer Zeit viel besser verstehen; es erscheint uns gar nicht mehr so unwahrscheinlich wie vor einigen Jahrzehnten.

Drei Jahre brauchte Benedikt in der Höhle des verlassenen Tales von Su-biaco, um sich von dem Schock zu erholen. Ungleich heutigen Altersgenossen verfiel • er nicht der Sucht und wurde zum Wrack, sondern stieg zu den Quellen der eigenen Tiefe hinunter und wurde als „Gottesmann“ neu geboren. An einem Ostertag wurde er, der die Zeit, und den die Zeit vergessen hatte, zufällig gefunden. Er kehrte zu den Menschen zurück. Bald wurde er von Mönchen als Leiter klösterlicher Gemeinschaften erbeten. Enttäuschungen, Fehlschläge und Verfolgung vertrieben ihn aus der Gegend. Auf dem Monte Cassino fand er seine gültige Form. Mit Männern, die seine Führung suchten, zivilisierten Römern und ungebildeten, aber willigen Goten errichtete er seine „Kommune“, das Kloster auf dem alten Kultberg mit den heidnischen Tempelruinen. Er gab ihm seine „Verfassung“ - die berühmte „regula“. Diese Gründung und ihr „Gesetz“ sollten für das Abendland von bleibender Fruchtbarkeit sein.

Die Männer bildeten so etwas wie eine Familie, einen kleinen sozialen Organismus, der Bestand gewann. Abgeschieden von der Welt zog er aber spontan Menschen an - solche, die sich der Gemeinschaft anschlössen, wie von selbst, aber berufen. Von Gott. Andere kamen auf Zeit: Pilger, Gäste. Die in sich geschlossene, geformte Gemeinschaft war offen für die Welt. Sie wußte sich dem Gesetz der Gastfreundschaft - antikes Erbe und Apostelmahnung - verpflichtet. Es kamen auch Eltern und übergaben dem Mönchsvater Knaben zur Erziehung. Solche, die später eintraten - aber wohl auch andere. Knaben unter dem Dach der Abtei begegnen uns in der Regel Benedikts mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie die „Gäste“, „die dem Kloster nie fehlen“. Die ganze Gemeinschaft sah auf ihre Zucht. Die Gruppe fing an, ein besonderer „Lehrkörper“, die Abtei eine „Schule“ zu werden. Beginn und Vorbild eines „Internates“.

Dies mochte für das Abendland neu sein - bei Benedikt finden wir literarisch kaum weitere Hinweise - war aber im Osten mindestens hundert Jahre früher Wirklichkeit. Naturgemäß empfahlen sich die Gemeinschaften religiöser Männer, die Familien und ersten Erziehungsstätten, wenn notwendig, zu ergänzen. Der Anspruch dazu kam von außen, von den Menschen in der Welt. Basilius, der große Kappadokier (330-379), dessen Schriften Benedikt gut kannte und den Mönchen zum Studium ans Herz legt, beleuchtet den Sachverhalt, die Beziehung des Klosters zu Erziehung und Jugend, wie sie ähnlich für Benedikt bestand. Er schreibt zu den anatoli-schen Klosterschulen im Osten:

„Wir halten jede Zeit, auch die des ersten Alters, für geeignet, die aufzunehmen, welche kommen (man nahm übrigens auch Mädchen auf). Solche hingegen, die noch unter den Eltern stehen, nehmen wir nur auf, wenn sie uns von diesen selbst und vor vielen Zeugen zugeführt werden, damit denen, die gerne etwas finden möchten, die Veranlassung genommen wird und anderen, die uns verlästern, der ungerechte Mund gestopft wird.“ (Von Balthasar, die großen Ordensregeln 120)

Wie Bildungsfragen in der Welt unserer Zeit allseits Interesse finden und in heftigster Diskussion sind, bewegen sie Herz und Hirn aller, die als Benediktiner mit Unterricht und Erziehung zu tun haben. Sie leben ja auch in der

gleichen Zeit. So wie Benedikt mit seiner Welt damals zu Rande gekommen ist und sein Wirken fruchtbar war, so versuchen es seine Nachfolger nach ihren Kräften heute, der Zeit und ihren Gegebenheiten zu entsprechen, nicht ohne sich an Benedikt zu orientieren. Seine Erscheinung und der geistige Gehalt seiner Regel ermöglichen und fordern dies.

Man hat das benediktinische Mönch-tum auf kürzeste Weise nur mit dem Wort Pax (Friede) gekennzeichnet. Es steht in großen Lettern über vielen Klosterportalen. Das Leben und die Dynamik, die dem Wort innewohnt, wird aber meist nicht genügend bewußt: Es ist der Gruß, den der Herr zum ersten Mal als Auferstandener verwendet. Er kündet den Anbruch des Reiches Gottes, wie er bei seiner Geburt von den Engeln auf Betlehems Fluren kundgemacht wurde: „Friede den Menschen auf Erden“. Welche Dynamik er entbindet, spricht der Menschensohn, der Gottmensch und Kyrios als Letztes vor seiner Himmelfahrt (Matth. 28,18-20, Mark 16,15) mit absoluter Klarheit aus. Es ist der Sendungsbefehl und Lehrauftrag an seine Jünger, an die Kirche, und damit alle Gläubigen in entsprechender Weise (es gibt hier keinen „Klerikalismus“): „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht hinaus und lehrt alle Völker ... und lehrt sie alles halten ...“

Als die zukünftigen Apostel dies vernahmen, haben sie sicher nicht an „Lehr“gegenstände wie Sprachen, Mathematik, Physik oder Soziologie gedacht. Potentiell und im Keime umfaßt das Wort aber alles, was Menschen ersinnen, umfaßt es Wissen und Fertigkeiten und das menschliche Verhalten, die unbegrenzte Fülle menschlicher Objekte ist so weit der Bereich der Wahrheit, geht über den „Kleinen Katechismus“ weit hinaus..

Darum am Anfang die Legitimation, die Christus als Herrn des Kosmos zu dem universalen Auftrag ermächtigt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde.“ Er ist derjenige, der den neuen Aon, den „neuen Himmel und die neue Erde“ aufrichtet. Alles, was des Geistes ist, hat darauf Bezug. In diesem Sinn ist Bildung „katholisch“ (- allumfassend), universal.

Diese Haltung allein entspricht auch dem Ernst der Zeit. Sie ist nicht rosaoptimistisch, aber zuversichtlich. Sie läßt Kulturpessimismus nicht zu, denn es sind die letzten - und wichtigsten -Worte bei Matthäus, die dies verwehren: „Ich bin bei euch bis an das Ende der Welt“ (28, 20).

Was betrüblich ist, ist nur unsere Enge und unser Kleinmut, die Enge und Kleinmut der Gläubigen, die das Kommen des Reiches, das in sich herrlich ist, in seiner Entfaltung verzögern und besonders schmerzhaft machen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung