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Satelliten-TV läßt warten

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Medien schaffen zwar Märkte, aber diese sollten nicht um jeden Preis erkauft werden. In der allgemeinen Satelliteneuphorie europaweit scheinen wichtige Umstände unbeachtet oder zumindest nicht durchdacht zu sein.

Das zum Teil mit gezielten Informationen gefütterte Publikum stellt sich das ganze recht einfach vor: Es genüge, einen Direktsatelliten in eine geostationäre Position 35.800 km hoch über dem Äquator zu stationieren, und schon sei ein tadelloser Empfang für ewige Zeiten und von allen, die einen Hörfunk-/Fernsehempfänger besitzen, zumindest landesweit, wenn nicht in ganz Mitteleuropa zu genießen.

Angesichts einer derart optimistischen Betrachtungsweise erscheint die nüchterne Inaugenscheinnahme bestimmter Einzelheiten mehr als angebracht. An allererster Stelle steht der enorme Risikofaktor. Erst im Frühherbst 1982 ist die vielgepriesene, mit doppelter Nutzlast (ein Seefunkplus ein wissenschaftlicher Satellit) im Wert von 1,89 Milliarden Schilling beladene „Ariane“-Ra- kete (Startkosten zusätzlich 420 Millionen öS), wie zuvor schon einmal, ins Meer gestürzt; eine Treibstoff pumpe versagte.

WäreTler Start gelungen, so hätten die beiden Satelliten eine Lebensdauer von sieben bis zehn Jahren vor sich. Nach maximal zehn Jahren wären sie „ausgebrannt“, das heißt: sie hätten gerade genügend Treibstoff an Bord

(der sonst zu Stabilisierungszwecken gebraucht wird), um den Platz für den Nachfolger freizumachen. Wären die abgestürzten „Marecs B“ und „Sirio 2“ Direkt- Programmsatelliten, müßten sie sich bis dahin bereits amortisiert haben. Andernfalls wäre das risikoreiche Unterfangen ein Verlustgeschäft.

Aber auch wenn alles gut gegangen wäre, hätten zwei äußerst wichtige Hörer-/Zuschauergrup- pen die von unseren angenommenen Direktsatelliten ausgestrahlten je 4 TV- und 16 Hörfunkprogramme (Durchschnittskapazität der geplanten „Direct Broadcast Satellites“) nicht empfangen können.

Alle beweglichen und tragbaren Empfänger, wie Auto- und Koffer- bzw. Taschenradios wie auch tragbare Fernseher, sind vom Satellitenfunk — technisch bedingt — von vorneherein ausgeschlossen. Dies wären ungefähr 82% aller Autofahrer unterwegs sowie einige Millionen Besitzer tragbarer Fernseher neben Millionen jugendlicher Hörer, die naturgemäß tragbare Empfänger bevorzugen.

Weil die erforderliche Empfangsantenne beträchtliche Dimensionen aufweist (ein bis vier Meter Durchmesser) und genauestem auf den Richtstrahler des Satelliten ausgerichtet sein muß, kommen nur fest installierte Heimgeräte als Zielobjekte (dies

auch für die Werbewirtschaft) in Frage. Jene müssen zusätzlich mit aufwendigen Frequenz-Umsetzern und speziellen Verstärkern ausgestattet sein, so daß man leicht auf 17.500 Schilling Mehrkosten bei Individualempfang kommt.

Bei Gemeinschaftsantennen und flächendeckenden Kabelanlagen vermindert sich natürlich der Kostenfaktor, aber die Reichweite und dadurch die Einschaltquote bleiben wesentlich unter der des alten „Dampfradios“.

Voraussichtlich wird der erste Direkt-Programmsatellit, ob deutsch-französisch oder RTL- Luxemburg, frühestens 1985/86 seinen Standort am Himmel eingenommen und zuerst mit Testsendungen begonnen haben. Nach weiteren zwei Jahren kann an die Ausstrahlung regelmäßiger Programme gedacht werden. Alles in allem kann nach vorsichtiger Berechnung vor 1988/89 mit keinem regulären Satellitenbetrieb gerechnet werden.

Auch die hochgelobte Qualität von Satellitensendungen ist noch nicht einwandfrei erwiesen. An Bildschärfe beispielsweise lassen die bisher zugänglichen Übertragungen, etwa aus Amerika, trotz hochentwickelter Apparatur zu wünschen übrig. Beim Farbton ist es nicht anders.

Der Absturz der „Ariane“, die am 10. September 1982 außer ei

nem nicht unbedeutenden Investitionsvolumen von rund 2,3 Milliarden öS auch viele Hoffnungen mit in die Tiefe des Ozeans riß, konnte natürlich nicht vorausgesehen werden. Aber es ist unverständlich, warum man ausschließlich auf „Ariane“ gesetzt und nicht zwei Eisen ins Feuer gelegt hatte. \

Der folgenschwere Unfall in Kourou, 14 Minuten nach Abheben, war ein schwerer Rückschlag für die europäische Raumfahrt. Die Vermarktung dieser von der Europäischen Weltraumbehörde geförderten Trägerrakete wird nach dem erneuten mißglückten Schuß nicht gerade leicht werden. Dabei handelt es sich hierbei um einen fixen Auftragsumfang von bisher 3,5 Milliarden Francs für 24 abzuschießende Satelliten.

„Ariane“ steht in scharfer Konkurrenz auch mit dem US-Raum- transporter, der im November 1982 bereits erfolgreich kommerziell genutzt wurde. Die Stärke des „Space-Shuttle“ bilden allerdings hauptsächlich schwerere Lasten und niedrigere Laufbahnen als die für Direktsatelliten und Nachrichtentrabanten notwendigen Nutzlasten im Bereich von ca. 2000 kg bzw. Orbitpositionen von rund 36.000 km über dem Äquator.

Man hielt früher der ,.Ariane“ noch zugute, daß man die abgeworfene erste Stufe bergen und

wiederverwenden könne. Mittlerweile beschäftigen ganz andere Probleme die Techniker. Ihre Verfechter haben stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Zwangsläufig illusorisch geworden sind auch jene Satellitenpläne des Berliner Magistrats, ab 1985 rund 70 Fernsehprogramme über eine noch zu errichtende Satelliten- Empfangsanlage in das entstehende Kabelnetz der ehemaligen Reichshauptstadt einzuspeisen.

Dies erscheint nunmehr in Anbetracht der „Ariane“-Panne und der damit verbundenen Verzögerung des deutsch-französischen „TV-Sat“-Projektes (3,64 Milliarden Schilling) und nicht zuletzt der bewußten Verschleppungstaktik beim luxemburgischen- RTL-Satellitenvorhaben (3,150 Mrd. öS) im Bund mit deutschen Verlegern mehr als zweifelhaft.

Die größten deutschen Verlagshäuser, wie Springer, Bertelsmann und WAZ-Essen haben ohnehin schon im März 1981 ihr Desinteresse daran bekundet. Das private schweizerische „Tel-Sat“ Projekt („La Suisse“ in Genf ist treibende Kraft) — Kapitalbedarf ca. 3,5 Mrd. öS — harrt seit zwei Jahren noch immer der staatlichen Konzessionierung.

Alle Kostenangaben sind reine Investitionskosten. Die ebenfalls in die Milliarden gehenden jährlichen Betriebskosten, wie Programmgestaltung, Unterhalt der Sende-Studioanlagen, Wartung, Ersatz, usw. sind dabei nicht mit ins Kalkül gezogen worden. Somit werden ausnahmslos alle Projekte auf Steuergelder angewiesen sein, auch bei rein kommerziellem Betrieb…

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