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Straße - Schiene - Himmel

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DASS DIE FAHRT AUS DER STADT zum Flugplatz meist länger dauert als der eigentliche Flug, ist ein Gemeinplatz, den sicherlich der weitgereiste Tourist mit milder Überheblichkeit den staunenden Daheimgebliebenen schon einmal vorgesetzt hat. Und daß der Flug Wien— München mit dem bequemen Morgenkurs der AUA wirklich nur ein Katzensprung ist, ist kein sensationeller Reportagen-„Aufhänger“. Auch der Regen, der in München-Riem natürlich ebenso dicht wie In Wien-Schwechat fiel, wird mit ähnlicher Gelassenheit ertragen.

Ungewöhnlich wird es erst auf der Theresienwiese, vor den Toren der Isarstadt. Dort, wo sonst allein die eherne Bavaria den Lorbeerkranz in die Luft reckt, wo im Herbst gewaltige Mengen Bieres die Heiterkeit unserer Nachbarn auf Touren bringen, dort eben erhebt sich — in dreißig Metern Höhe freilich nur — eine Weltraumstation: Nur eine der Sensationen der Münchner Internationalen Verkehrsausstellung, die am 25. Juni 1965 festlich eröffnet wurde. In der Sonderschau „Der Mensch und der Weltraum“ sind alle in der Weltraumforschung aktiven Nationen vertreten, selbstverständlich auch die Sowjetunion, deren Akademie der Wissenschaften sich bereits im Oktober 1964 bereit erklärt hat, einzelne Exponate zur Verfügung zu stellen. Besonders attraktiv sind die gezeigten Raketen der USA: eine Atlas, eine Agena, schließlich der Mariner II, verschiedene Raumfahrzeuge und Satelliten — in Originalgröße!

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DIE RIESIGE AUSSTELLUNG, die vom 25. Juni bis 3. Oktober 1965 geöffnet ist, bietet zum erstenmal die Gelegenheit einer Ubersicht und fachmännischen Darstellung der Entwicklung des Verkehrs in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie umfaßt im weitesten Sinn alle Geb'ete des Verkehrs: auf Schiene und Straße, zu Wasser und in der Luft, ferner das Nachrichtenwesen, Rundfunk und Fernsehen, die Energieversorgung, den Welttourismus und die Weltraumfahrt.

Die Initiatoren der großen Schau, deren Schirmherr Bundespräsident Heinrich. Lübke ist, hatten sich vor allem drei Ziele und Aufgaben gestellt:

• die Verständigung der Völker in Ost und West über die weder durch Meere noch durch Landes- und Zollschranken auf die Dauer begrenzbaren Möglichkeiten des Verkehrs,

• einen weltoffenen Treffpunkt für alle Fachleute des Verkehrs und Nachrichtenwesens sowie der Verkehrswirtschaft und aller ihrer Organisationen in Ost und West hier in München zu schaffen, der ihnen ermöglicht, nicht nur persönliche Kontakte zu knüpfen, sondern auch

ihre Erfahrungen auszutauschen und neue Geschäftsverbindungen anzubahnen,

• die moderne Verkehrs- und Nachrichtentechnik, die Anfänge der Weltraumfahrt und den Welttourismus international vergleichbar für Fachleute und Laien darzustellen; dies deshalb, weil mehr als irgendein anderes wirtschaftliches Element Verkehr und Nachrichtenwesen zu internationaler Zusammenarbeit beitragen. Die Bewahrung des einzelnen vor den Gefahren des Verkehrs und das reibungslose Ineinandergreifen aller Räder dieses kaum mehr überschaubaren Zusammenspiels von Verkehr, Nachrichtenwesen und Tourismus muß im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen.

Die Ausstellung gliedert sich in folgende Gruppen: Aluminium im Verkehr — Auto und Zubehör — Bergbahnen — Binnenschiffahrt —• Chemie und Kunststoffe im Verkehr — Eisen und Stahl im Verkehr —< Energieversorgung — Europäische Privateisenbahnen und regionale Kraftverkehrsdienste — Individual-verkehrsmittel — Jugendverkehrsgarten — Luftfahrt — öffentlicher Nahverkehr — Post- und Fernmeldewesen '— Raumfahrt — Rundfunk und Fernsehen >— Schienenverkehr — Seeverkehr — Speditionswesen — Stadtverkehr — Straßenverkehr — Tourismus — Verkehrssicherheit, Verkehrserziehung, Lärmbekämpfung und Verkehrswissenschaft — Zweirad.

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DAS INTERESSE ZUR TEILNAHME an dieser ersten Weltverkehrsausstellung in München ist nicht nur im eigenen Lande, sondern in allen Industrieländern sehr groß. 36 Länder aus vier Erdteilen sind durch Exponate vertreten. Mehr als 100 Länder beteiligen sich über internationale Gremien und Institutionen.

Zu den besonderen Attraktionen der Münchner Weltausstellung gehören unter anderem ein supermodernes Luftkissenfahrzeug, das über den Boden gleitet, ein Ozeandampfer in Originalgröße und Walt Disneys Rundkino, das „Circarama“, der Schweizer Bundesbahnen mit seiner um 360 Grad führenden Leinwand. Ferner werden die Weltraumstation, Raketen und Satelliten zu sehen sein, die schnellsten Fahrzeuge der

Straße, Überschallflugzeuge und Radarstationen. Die Besucher können vom Münchner Messepark auf der Theresienwiese aus direkt mit New York telephonieren. Sie stehen, wenn sie wollen, im Scheinwerferlicht vor den in eigenen Studios aufgebauten Fernsehkameras und sind Zuschauer bei den modernen Hexereien der Deutschen Bundespost, die die Briefe wie von Geisterhand vollelektrisch verteilen läßt, was dem österreichischen General-

postdirektor Dr. Schaginger immerhin den Verlust einer Wette einbrachte.

Der hundert Meter hohe IVA-Turm kann mit einer zweistöckigen Plexiglaskabine, die sich bei der Fahrt nach oben und unten dreimal um den Turm dreht, jeweils von 720 Passagieren in der Stunde befahren werden. Die Direktion der IVA erwartet mit Recht einen Ansturm auf diese Attraktion, die den Blick nicht nur auf die Weltaus-

Stellung und die bayerische Landeshauptstadt, sondern im Süden auch auf die Alpenkette vom Watzmann bis zur Zugspitze freigibt. Eine Seilbahn führt vom Südteil der Theresienwiese zur Theresienhöhe hinauf. Etwa drei Kilometer weit kann der Besucher mit einer modernen Einschienenbahn durchs Gelände fahren.

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FÜR DEN EISENBAHNFREUND bereitet die Deutsche Bundesbahn eine Schau von einmaliger Größe vor. Sie belegt allein ein Gelände von etwa 47.000 Quadratmetern und mußte zum Beispiel mehr als 3000 Meter Gleise auf dem Ausstellungsgelände verlegen. Auf ihnen geben sich mehr als 100 Lokomotiven,

Triebwagen, Güter- und Reisezugwagen sowie Oberbaumaschinen neuester Bauart ein Stelldichein. Eine Reihe der auszustellenden Fahrzeuge und Maschinen wird mit Prototypen gerade noch bis zu Beginn der IVA fertiggestellt. Der Präsident der Deutschen Bundesbahn, Professor Dr. Heinz Moria Oeftering, kündigt inzwischen für die Ausstellungszeit einen Probebetrieb zwischen Augsburg und München mit zukunftsträchtigen Lokomotiven an,

die eine Geschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde erreichen. Auf einem etwa 400 Meter langen Gleis am südlichen Rand des Ausstellungsfreigeländes werden die Besucher selbst Triebfahrzeuge unter fachkundiger Aufsicht fahren können.

In einer umfangreichen Fachschau hat sich die Deutsche Bundespost vorgenommen, den Besuchern einen „Blick hinter die Kulissen“ zu bieten und ihnen zu zeigen, wie eine „moderne, unsichtbare Post“ funktioniert. Interessant für Laien und Fachleute werden vor allem auch die technischen Einrichtungen des Fernmeldedienstes sein. Sie reichen

auf der Ausstellung vom einfachen Ferngespräch in alle Welt bis zu den Weltraumsatelliten. Die Deutsche Bundesdruckerei stellt eine Vierfarben-Briefmarken-Rotationsdruckmaschine für Ätztiefdruck auf, auf der alle Sondermarken der IVA gedruckt werden.

DIE VÖLKERVERBINDENDE AUFGABE der Straße kommt in

einer weiteren Sonderschau zur Darstellung. In großen Modellen werden Straßen der Zukunft, die zum Teil schon im Bau sind, gezeigt. Die Untertunnelung der Alpen, gewaltige Brückenbauten, die berühmte „Vogelfluglinie“ vom Nordkap nach Sizilien, die „Europastraße“ von London über den Kanal zum Goldenen Horn, verschiedene Kanal-Straßenprojekte — all dies soll in dieser Schau gezeigt werden. An der Darstellung der Alpenübergänge mit und ohne Tunnel sind neben Deutschland besonders Frankreich, Italien, Österreich und die Schweiz beteiligt. Italien zeigt auch ein Modell der berühmten Autostrada del Sole und das Projekt eines Tunnels vom Festland nach Sizilien. Das größte Straßenbauprogramm der Welt haben zweifellos die USA. Vielspurige Autobahnen, die zum Teil mit Brücken und Tunnels durch eine Großstadt führen, sind für Europa bisher nur Zukunftsmusik. Musterbeispiele einer großzügigen Straßenplanung sind der Trans-canadian Highway vom Atlantik zum Pazifik und die Panamericana von Alaska nach Feuerland. Auch Japan wird mit ähnlich gewaltigen Beispielen im Straßen- und Brückenbau vertreten sein.

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ZU EINER REISE UM DIE WELT LÄDT DER „Welttourismus“ ein, an dem sich die führenden Fremdenverkehrsländer aus Europa und Ubersee in reizvollen Einzelschauen beteiligen. Hier vor allem gilt auch das Leitwort des deutschen Regierungskommissars der Weltverkehrsausstellung, Präsident Dr. Ludwig Heßdörfer. Er sagte bei Übernahme seines Amtes: „Es ist die gemeinsame Aufgabe des In- und Auslandes, dieser ersten Weltausstellung des Verkehrs auch einen geistigen Inhalt zu geben, dessen Wirkung über die Ausstellungsdauer hinaus erhalten bieibt. Der Verkehr soll nicht nur auseinander und in die Ferne führen, sondern in erster Linie die Menschen einander näher bringen.“

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SELBSTVERSTÄNDLICH IST AUCH Österreich auf der Schau vertreten: mit seinen Seilbahnen etwa,

aber ebenso als Mitglied der Europäischen Organisation für Weltraumforschung, in der internationalen Föderation der Spediteurorganisationen wie im Weltpostverein. Sogar im umfangreichen Rahmenprogramm: eine Post- und eine Polizeikapelle werden in musikalischem Wettstreit versuchen, auch auf diesem Gebiet für Österreich Lorbeeren zu ernten.

Vor ganz kurzer Zeit wurde noch gehämmert, gebohrt, geschweißt, der neugierige „Adabei“ stolperte über Kabel und Traversen. „Wir werden fertig, da habe ich keine Angst“, versicherte der Pressechef der IVA dem skeptisch blickenden Eindringling.

Natürlich wurden sie fertig, die Leute von der IVA. Denn Organisation ist dort alles: perfektioniertes, von den „Preußen“ übernommenes Erbe. Das großzügige Pressezentrum freilich war eines der ersten Gebäude, das fertiggestellt wurde. Ein Pressezentrum mit allen Fi-

nessen. Nicht ohne Stolz wird es dem Berufskollegen präsentiert: ein Glanzstück für sich.

SO WIRD DIE STADT AN DER ISAR für einen Sommer zur Weltausstellungsstadt. Nichts wurde vergessen: Sogar an die Kinder und Schüler wurde gedacht. Mit viel Liebe wurde eine „Kinderstadt der Zukunft“ aufgebaut, in der die kleinen Besucher alles selbst betätigen können. Verbilligte Eintrittskarten für Schüler und Studenten werden — so hoffen die IVA-Manager — München nicht nur zu einem Treffpunkt der Verkehrsstrategen, sondern auch der Jugend aus aller Welt werden lassen.

Münchens zuerst eher skeptische Bevölkerung liegt im Weltausstellungsfieber ...

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