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Überlieferung und Entwicklung

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Als am Sonntag, dem 26. Jänner 1975, um halbvier Uhr morgens im Jesuitenkolleg in der Innsbrucker Sillgasse P. Josef Andreas Jungmann starb, ging einer der größten Theologen heim, die Österreich jemals hervorgebracht hat. Prof. Jung- mann galt unumstritten als der größte Liturgiewissenschaftler seiner Zeit.

Jungmann war noch ein Kind des alten Österreich. Er wurde in Sand im Taufertal (Sffctirol) am. 16. November 1889 geboren.

Der junge Mann entschloß sich, Weltpriester seiner Heimatdiözese Brixen zu werden. Er wollte Seelsorger sein. Auch sein frühes Interesse für die Liturgie kam nicht so sehr vom liturgischen Gesetz, von der Rubrizistik her, sondern von der Pastoral. Nach seiner Tätigkeit als Kooperator in Gossensaß trat Jungmann in den Jesuitenorden ein. Im Jahr 1925 finden wir ihn als Theologieprofessor der berühmten Jesuitenfakultät in Innsbruck. Seine Fächer sind Katechetik, Pädagogik und Liturgik. In den dreißiger Jahren sind seine Vorlesungen bereits international bekannt. Viele der heute dozierenden Professoren der Liturgiewissenschaft zählen damals zu seinen Schülern. Das 1936 erscheinende Buch „Die Frohbotschaft und unsere Glaubensverkündigung“ wird von vielen mit Begeisterung aufgenommen; von einigen wird es mißverstanden. Sowohl der biblische Ansatz schien verdächtig als auch die Kritik an der traditionellen Seelsorgepraxis. Da man eine Indizierung befürchtete, wurde das Buch der Verbreitung entzogen.

In der nationalsozialistischen Ära wurde die theologische Fakultät in Innsbruck gesperrt. In aller Stille arbeitete Jungmann in Wien an einem Werk, das für die allgemeine Verwirklichung der Liturgieerneuerung der Kirche bahnbrechend werden sollte. Es erschien nach dem Krieg unter dem Titel „Missarum Solemnia — eine genetische Erklärung der Römischen Messe“. Es erlebte fünf Auflagen in deutscher Sprache und sechs Übersetzungen.

Der Lehrstuhl Jungmanns in Innsbruck wird nun zum Zentrum aller, die an der Liturgie und ihrer Erneuerung interessiert sind. Neben seiner Lehrtätigkeit tritt Jungmann als wissenschaftlicher Schriftsteller und begehrter Redner auf liturgischen Kongressen und pastoralen Tagungen hervor. Seine große Stunde kommt zur Zeit des II. Vatikanischen Konzils. Er ist in einigen Kommissionen tätig, sowohl bei der Vorbereitung als auch während des Konzils und nachher, als es um die Verwirklichung ging. Mit Befriedigung kann der bescheidene Gelehrte in seinem Kommentar zur Liturgiekonstitution feststellen: „Das aggiornamento, das Johannes XXIII. vom Konzil gefordert hat, hat auf

-- -i-t-ii —J so men, wie sie sich aus den Verfügungen der Liturgiekonstitution ergeben haben.“

Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man die Meinung vertritt, daß Josef Andreas Jungmann eine neue Rich-

tung der Liturgiewissenschaft inaugurierte, ja sogar der gesamten Disziplin eine neue Wendung gegeben hat. Denn bei aller wissenschaftlichen Akribie, für die er berühmt war, lag seiner Forschungsarbeit und seiner Lehrtätigkeit immer das pastorale Anliegen zugrunde. Er war, wie ein Schüler von ihm sagte, immer ein „Anwalt der Volksliturgie“, „er wollte als Wissenschaftler der Seelsorge dienen“ (Croce). Er kannte keinen Widerspruch zwischen Liturgiewissenschaft und Liturgieerneuerung; er war immer im Gespräch mit Praktikern und Trägern der liturgischen Bewegung. Pius Parsch hatte er schon in seiner Theologen- i* . hol M!W atp *

zeit kennengelernt, mit den Benediktinern und Leitern der liturgischen Zentren pflegte er lebhaften Gedankenaustausch.

Für Jungmann charakteristisch ist die Weite seines Liturgiebegriffes. Liturgie ist „überall dort zu sehen, wo die Kirche als Volk Gottes betend vor Gott hintritt“. Damit wurde eine Auffassung überwunden, die noch in kirchenoffiziellen Dokumenten nicht lange vor dem II. Vatikanum vorzufinden war, daß nämlich der Ausdruck „Liturgie“ ausschließlich dem Gottesdienst Vorbehalten sei, der nach den vom Heiligen Stuhl approbierten Büchern gefeiert wird. Die Auffassung Jungmanns, der die Liturgie als eine Sache des ganzen Gottesvolkes verstand, setzte sich auch in der Liturgiekonstitution durch.

Bezeichnend für Jungmann ist auch sein Sinn für Geschichte. Er kennt keinen Historizismus in romantischer Sicht, jene Haltung die vielen Pionieren der Liturgieerneuerung zum Vorwurf gemacht wurde. Ihm geht es nicht um die „Wiederherstellung der Urkirche“, sondern um eine organische Entwicklung aus der stetigen Überlieferung. Somit hat er auch dazu beigetragen, die „Historiker“ und „Praktiker“ unter den Liturgiewissenschaftlern auf eine Linie zu bringen.

Eine weitere Eigenschaft, in der Jungmann als Wissenschaftler und Theologe vorbildlich war, ist sein Gefühl für die „Veränderungen, die sich im Kulturbild der Zeit allmählich vollzogen und die Zuhörer unter den Kanzeln, selbst die Jugend in den Schulstuben, zu wandeln begonnen haben“ (1936). Wenn ihm persönlich auch praktisches Geschick und Organisationstalent fehlte, so hatte er doch ständig den Menschen

Kontakt hatte und den er liebte. Er betrieb Wissenschaft nicht als Selbstzweck; er sah in seiner Arbeit einen Dienst, den er der Kirche in ihrer Verkündigung, in ihrem Gottesdienst zu leisten hatte. Von da her auch seine bescheidene, schlichte Art, zu verstehen.

Dennoch war seine wissenschaftliche Autorität unumstritten. Seine Ausführungen waren „ruhig, sachlich, von wissenschaftlicher Objektivität“ (Croce). Er war ein Garant dafür, daß es sich bei der liturgischen Erneuerung nicht um eine Modesache handelte, er lieferte dazu die historischen, pastoralen und theologischen Grundlagen.

Außer vielen im In- und Ausland erschienenen Zeitschriftenbeiträgen und Vorträgen seien hier einige seiner wichtigsten Veröffentlichungen in Buchform erwähnt: „Die Stellung Christi im liturgischen Gebet“ (1925), „Die lateinischen Bußriten“ (1932), „Die Frohbotschaft und unsere Glaubensverkündigung“ (1936), „Die liturgische Feier“ (1939), „Gewordene Liturgie“ (1941), „Missarum Solemnia“ (1. Auflage 1948), „Katechetik“ (1. Auflage 1953), „Der Gottesdienst der Kirche“ (1. Auflage 1955), „Liturgisches Erbe und pastorale Gegenwart“ (1. Auflage 1960). Von besonderer Bedeutung ist seine Einleitung und sein Kommentar zur Konstitution über die heilige Liturgie (Lexikon für Theologie und Kirche, Das 2. Vatikanische Konzil, Teil I) und sein „Nachkonziliarer Durchblick durch Missarum Solemnia“, das Büchlein „Messe im Gottesvolk“ (1970), das sein Einfühlungsvermögen bei aller Konsequenz des Wissenschaftlers und bei aller Vorsicht, die alten Menschen eignet, zeigt. Im Vorwort dieses kleinen Buches spricht er einen Wunsch aus, den man als Vermächtnis des großen österreichischen Theologen Josef Andreas Jungmann bezeichnen könnte: „Die Linie stetiger Überlieferung und organischer Entwicklung möge auch in den vom II. Vatikanum eingeleiteten Reformen erkannt, aber ebenso — gegenüber utopischen Reformwünschen und blinder Willkür — als unabdingbares Gesetz der Zukunft katholischen Gottesdienstes ten.“‘

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