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Digital In Arbeit

Wie wirken Medien auf Kinder?

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Gerade während der Ferien sammeln Kinder viele Erfahrungen mit Medien: vor allem mit dem Fernsehen und mit Büchern. Was lernen sie daraus für ihr Leben?

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Gerade während der Ferien sammeln Kinder viele Erfahrungen mit Medien: vor allem mit dem Fernsehen und mit Büchern. Was lernen sie daraus für ihr Leben?

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Massenmedien — insbesondere das Fernsehen — sind zu wichtigen Sozialisationsinstanzen geworden. Ihre Wirkung auf die Entwicklung unserer Kinder wird kaum noch bestritten. Allein durch die Tatsache des Fernsehens wird — unabhängig von bevorzugten Sendungen — das Familienleben und somit der Entwicklungshintergrund unserer Kinder beeinflußt. Ebenso wird das alltägliche Leben verändert: Es werden zum Beispiel soziale Aktivitäten eingeschränkt oder die Nutzung anderer Medien verringert.

Allgemeine Wirkungen haben aber auch die dargebotenen Inhalte insgesamt. US-amerikani-

sehe Untersuchungen zeigen, daß das Weltbild, das Kinder im Verlaufe ihrer Entwicklung erwerben, weniger von der Realität selbst als von ihrer Darstellung im Fernsehen geprägt wird. Auch können Tendenzen, die in Produktionen relativ allgemein ver--folgt werden, großen Einflußauf die Vorstellungen von Kindern ausüben. Zum Beispiel wurde nachgewiesen, daß Geschlechter-und andere Rollenbilder stereotypisiert werden.

Mahnend schreibt in diesem Zusammenhang der amerikanische Medienforscher Williams im Anschluß an eine Inhaltsanalyse vieler geläufiger Fernsehsendungen: „Wenn menschliche Interaktion im Fernsehen extrem verzerrt dargestellt wird, kann das nicht ohne Auswirkungen in der Zukunft bleiben.“

Aber natürlich hat das Fernsehen nicht nur negative Auswirkungen. Kinder lernen auch durch bestimmte Sendungen. Dieses Lernen erfolgt nicht nur im kognitiven Sinne als Aufnahme und Speicherung von Information, sondern auch in der Form der Bildung von Einstellungen. So konnte nachgewiesen werden, daß US-amerikanische Vorschulkinder, die zwei Jahre lang regelmäßig „Sesam-Straße“ sahen, positivere Einstellungen gegenüber Schwarzen und Kindern spanischer Abstammung entwickelten.

So gut bestätigt diese Einflüsse des Fernsehens auf Rezipienten allgemein und auf Kinder und Jugendliche im besonderen auch sind, so wenig vermögen wir genau Wirkungsmechanismen im einzelnen zu erklären.

Auf die Frage, was einzelne Sendungen beziehungsweise spezifische Inhalte und formale Kategorien ihrer Gestaltung bewirken, ist eine allgemeingültige Antwort derzeit nicht möglich. Die schier unüberschaubare Flut von Einzeluntersuchungen aus der Wirkungsforschung publizistikwissenschaftlicher, soziologischer und psychologischer Provenienz kann noch nicht in ein einheitliches, widerspruchsfreies theoretisches Gebäude integriert werden.

Das hat vielerlei Gründe: Menschliche Wahrnehmung ist nicht pures Betroffensein von äußeren Reizen, sondern deren aktive Verarbeitung in Abhängigkeit von einer je individuellen psychischen Struktur und der interindividuell verschiedenen Informati-

onsverarbeitungskapazität. Eine „Botschaft“ durch ein Massenmedium kann also nicht als solche, die sie „objektiv“ ist, Wirkung ausüben, sondern nur in der Form, in der sie im Individuum repräsentiert ist, von diesem Individuum interpretiert und bewertet wird. .

Einfache generelle Aussagen über die Wirkung von Massenmedien sind also nicht möglich. So ist es zum Beispiel ein vielfach bestätigter Befund, daß die Bemühungen des Bildungsfernsehens, intellektuelle Entwicklung zu fördern, vor allem jenen zugutekommen, die ohnehin überdurchschnittlich intelligent sind, und daß bei den intellektuell weniger leistungsfähigen Kindern, für die solche Sendungen im Rahmen kompensatorischer Erziehungsprogramme eigentlich gedacht waren, durch Uberforderung und daraus resultierende Demotiva-tion sogar das Gegenteil eintreten kann.

So wie menschliches Erleben und Verhalten insgesamt nicht nur von individuellen Merkmalen, sondern immer auch von situativen Bedingungen abhängen, werden auch die Aufnahme, Verarbeitung und Bewertung massenmedialer Botschaften durch die Situation mitdeterminiert. So können durch das Elternverhalten negative Auswirkungen des

Fernsehkonsums von Kindern verringert und positive gefördert werden, wenn einzelne Sendungen nicht nur bewußt ausgewählt, sondern gemeinsam gesehen, kommentiert, erklärt und diskutiert werden.

Dominiert zum Beispiel in einer sozialen Gruppe die Norm, daß es vor allem darauf ankommt, sich durchzusetzen, wird der Dallas-Bösewicht J. R. zu einem Vorbild

dafür, wie man Ziele erreicht; werden aber Normen akzeptiert, die egoistisches Verhalten negativ bewerten, wird die gleiche Rolle zu einem Modell dafür, wie man sich eigentlich nicht verhalten kann.

Massenmedien sind zwar eine wichtige, aber bei weitem nicht die einzige Einflußgröße auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Es würde zu weit führen zu versuchen, sie hier zu explizieren. Sie lassen sich zusammenfassen in Vererbung, durch Umwelt determinierte Lernprozesse allgemeiner Art und durch die Wechselwirkung zwischen beiden Klassen von Determinanten. Worauf es aber in unserem Zusammenhang ankommt, ist die Tatsache, daß einzelne Größen in diesem komplexen Wirkungsgefüge nicht unabhängig voneinander und additiv, sondern in Wechselwirkung miteinander Entwicklungsprozesse beeinflussen.

Wie sich also der Einfluß von Massenmedien allgemein oder einzelner Inhalte speziell für die

Entwicklung einer individuellen psychischen Struktur niederschlägt, hängt auch von der Gesamtheit der übrigen wirkenden Einflüsse ab.

Ein besonderes Problem in diesem Zusammenhang ist die Darstellung von Gewalt. Auch dazu sind ,die- vorliegenden Forschungsergebnisse nicht eindeutig und können es nach den vorausgehenden Überlegungen auch nicht sein. Doch sollte folgendes zu denken geben: Es gibt keinen Zweifel daran, daß in Alltagssendungen des Fernsehens sehr viel gewalttätiges Verhalten gezeigt wird; aggressives Verhalten oft ohne vorausgehenden Versuch zu anderen Formen der Problemlösung und ohne die Konsequenzen dieser Gewalt deutlich zu machen.

Wenn es zutrifft, daß die Beobachtung von Gewalt das Aggressionspotential beim Zuschauer steigert — und es gibt viele Hinweise dafür —, dann müssen Uber-legungen angestellt werden, wie diese negativen Auswirkungen begrenzt werden können.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Psychologie an der Universität Salzburg.

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