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„Wir haben Fehler gemacht"

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Hungersnot in Afrika. Ein Endlosthema ist wieder in die Zeitungen gerückt, es liegen ..Rekordzahlen" vor. 30 Millionen Menschen sind unmittelbar vom Tod bedroht. Eine Dürre von bisher ungekanntem Ausmaß erstreckt sich über den ganzen Kontjnent südlich der Sahara, von Äthiopien bis Südafrika. Berichte von verbrannten Ernten, ausgetrockneten Flüssen, darbenden Menschen. Eine Naturkatastrophe greift um sich.

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Hungersnot in Afrika. Ein Endlosthema ist wieder in die Zeitungen gerückt, es liegen ..Rekordzahlen" vor. 30 Millionen Menschen sind unmittelbar vom Tod bedroht. Eine Dürre von bisher ungekanntem Ausmaß erstreckt sich über den ganzen Kontjnent südlich der Sahara, von Äthiopien bis Südafrika. Berichte von verbrannten Ernten, ausgetrockneten Flüssen, darbenden Menschen. Eine Naturkatastrophe greift um sich.

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Gerade ihre gewaltigen Szenarien sind es aber, die den Blick auf tiefere Ursachen des Sterbens in Afrika verstellen könnten. Am Beispiel von Somalia zeigt sich, wie über die Eskalation des Hungers das öffentliche Interesse auch auf andere Faktoren des Elends, etwa den Bürgerkrieg, gelenkt wird. Weitgehend unbeachtet bleibt indes, was Entwicklungshilfe-Experten die „äußere Diktatur" der Weltwirtschaft nennen: Fallende Rohstoffpreise, eine immer drückendere Schuldenlast und zweifelhafte „Strukturanpassungsprogramme" des Internationalen Währungsfonds sind Komponenten im Elend, denen das Spektakuläre und Anschauliche einer Naturkatastrophe abgehen.

Es ist eine Folge der Kolonialzeit, daß Schwarzafrikas Exporte noch heute zu 90 Prozent aus Rohstoffen bestehen. 1987 erreichten die Preise dafür den Tiefststand seit dem Zwei-

ten Weltkrieg. Für die betroffenen Staaten bedeutete das, auf den Zeitraum 1981 bis 1990 umgerechnet, einen Einnahmeverlust von 150 Milliarden US-Dollar-die Entwicklungshilfe belief sich im gleichen Zeitraum auf rund 105 Milliarden Dollar. Innerhalb von zehn Jahren hat sich damit der Wert der afrikanischen Waren auf dem Weltmarkt nahezu halbiert, während die Preise der Güter, die die afrikanischen Staaten importieren müssen, gestiegen sind.

Daß landwirtschaftliche Exportgüter wie Kaffee, Kakao, Baumwolle und Mais weit mehr Wasser als traditionelle Anbausorten, etwa Hirse oder Sorghum, brauchen, riesige Bewässerungsanlagen den Grundwasserspiegel immer weiter sinken lassen, sei nur nebenbei bemerkt.

Verfehlte Kreditpolitik

Das koloniale Wirtschaftssystem, auch Verschwendung und Korruption durch reiche Oberschichten in den einzelnen Ländern, vor allem aber die Politik der hohen Zinsen treiben Schwarzafrika in eine immer gigantischere Auslandsverschuldung. Während der letzten 20 Jahre ist sie auf das zwanzigfache, auf derzeit mehr als 160 Milliarden Dollar gestiegen. Schwarzafrika ist nicht bloß verschuldet, sondern überschuldet: Die real vorhandenen und potentiell mobilisierbaren Wirtschaftskräfte reichen nicht mehr aus, die fälligen Zins- und Tilgungsleistungen aufzubringen.

Entwicklungshilfeexperten sind sich einig: Hier hilft nur noch Ent-

schuldung. „Darlehen, die nur zur Begleichung von Wucherzinsen und überhöhten Dollarkursen aufgenommen wurden, müssen gestrichen werden", so Roland Angerer, Pressereferent des Österreichischen Informationsdienstes für Entwicklungspolitik (ÖIE). Außerdem müßten Betrugsgelder und Fluchtkapital zur Entwicklung der Länder rückgeführt werden. Die Zahlung der restlichen Schulden eines Landes dürfe schließlich „einen fixen Teil der jährlichen Exporterlöse nicht übersteigen".

Die internationale Finanz setzt da anders an: „Schuldenerlaß ist moralisch verständlich, aber in der Realität besonders fatal", so Stephan Kinnemann, stellvertretender Direktor der Deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau. Seien sie nicht an gewisse Bedingungen geknüpft, gäben Schuldenstreichungen den Menschen in den Entwicklungsländern „keine Hoffnung auf eine Veränderung". Die erforderlichen Bedingungen stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) mit seinen Strukturanpassungsprogrammen. Sie umfassen eine Vielfalt von wirtschaftlichen Sanierungs- und Reformmaßnahmen im Schuldnerland mit dem Ziel, die Zahlungsfähigkeit gegenüber dem Ausland wiederherzustellen.

Die Logik dieses Gedankens verdeckt die Tatsache, daß in vielen Fällen Schulden durch eine verfehlte Kreditvergabepolitik der Geber entstanden sind: Es wurde zu schnell zu viel Geld ausgeliehen. Zur Verantwortung gezogen werden allein die Nehmer. Für

Roland Angerer sind die IWF-Programme schlicht „wirtschaftlich, sozial und ökologisch unsinnig". Nicht nur, daß sie die Kürzung von Staatsausgaben vorsehen und damit zu einer Verteuerung von Grundnahrungsmitteln, zu sinkenden Löhnen, Arbeitslosigkeit und der Gefährdung des Bildungs- und Gesundheitssystems führen - in zwölf von insgesamt 33 afrikanischen Ländern mit Strukturanpassungsprogrammen sanken die Realeinkommen um 50 Prozent, in den ärmsten Ländern wurden laut UNICEF die Ausgaben im Gesundheitsbereich um mindestens ein Viertel reduziert.

Hauptkritikpunkt an den IWF-Programmen ist der Zwang zum Export eben jener Güter, die die letzten öko-

logischen Reserven in den Ländern aufbrauchen und am Weltmarkt immer weniger Gewinn erzielen. Ermuntert von IWF und Weltbank etwa hat die Regierung Zimbabwes mit einer überlebensnotwendigen Tradition gebrochen und einen für Notzeiten aufgesparten Maisvorrat von knapp drei Millionen Tonnen verkauft. Mit dieser Menge wären selbst zwei Mißernten nacheinander zu überstehen gewesen. Statt dessen gingen Hunderttausende von Tonnen ins Ausland, zuletzt im vergangenen Herbst, als eine Mißernte bereits zurücklag, 400.000 Tonnen nach Sambia. Heute herrscht auch in Zimbabwe Hunger. Die Berater der Weltbank räumen achselzuckend ein: „Da haben wir wohl einen Fehler gemacht".

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