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Zu hohe Erwartungen
Die Europäische Gemeinschaft (EG) will eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Beim EG-Gipfel von Maastricht am 9. und 10. Dezember geht es um die Politische Union sowie um die Wirtschafts- und Währungsunion.
Die Europäische Gemeinschaft (EG) will eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Beim EG-Gipfel von Maastricht am 9. und 10. Dezember geht es um die Politische Union sowie um die Wirtschafts- und Währungsunion.
Von den zwölf Mitgliedern wurde Einheit und Fortschritt demonstriert und von außen und innen wurden hohe Erwartungen an die EG herangetragen. Die Hoffnungen auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wurden immer höher geschraubt.
Kernstück von Konzepten über eine europäische Architektur sollte ein „kollektives Sicherheitssystem" sein. In einem derartigen System müßten alle Mitglieder einem Staat zu Hilfe kommen, wenn er bedroht oder angegriffen wird, und ihn mit militärischen Mitteln verteidigen. Ein solches System sollte nach dem Prinzip der drei Musketiere funktionieren: „Alle füreinen, einer für alle!" S icherheit wäre für alle Staaten unteilbar.
Der Krieg in Jugoslawien entpuppte sich plötzlich - für die meisten Beteiligten und Beobachter unerwartet - als Testfall für all diese Anforderungen. Die Zwölf reagierten auf den Krieg rat- und machtlos, als sie als friedensstiftende Ordnungsmacht auftreten sollten.
Der Grund dafür war nicht so sehr die „falsche Analyse" der EG, die davon ausging, daß die Einheit und territoriale Integrität des Gesamtstaates zu erhalten sei. Selbst wenn sich die EG früher zur Erkenntnis durchgerungen hätte, daß Jugoslawien dazu verurteilt ist, zu zerfallen, hätte damit der Krieg nicht verhindert werden können.
Die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens bedeutet für Serbien im Umkehrschluß in jedem Fall die Errichtung eines serbischen Staates. Und dieser sollte dann einem Großserbien möglichst nahe kommen. Auch wirtschaftliche Sanktionen hätten nicht mehr zu einer Verhaltensänderung Serbiens führen können. Die Bereitschaft zu gewaltsamen Ausbruchsversuchen wäre im Gegenteil dadurch erhöht worden. Schon um die Jahrhundertwende reagierte Serbien mit Terror- und Gewaltaktionen gegen Österreich auf eine Importsperre für serbische Produkte.
Der Krieg in Jugoslawien zeigte vielmehr, daß nicht jeder Staat dieselben Interessen hat, einen Krieg zu verhindern oder Aggression abzuwehren. Interpretationsunterschiede über die Kriegsursachen und Krisenlösungen sind unvermeidlich. Unklarheiten ergeben sich auch hinsichtlich einer präzisen Aufgabenstellung einer immer wieder geforderten Ein-greiftruppe. Es wurde deutlich, daß Sicherheit teilbar ist und daß sie nicht kollektiv, sondern selektiv gesehen wird. Nicht einmal Slowenien und Kroatien konnten sich dazu durchringen, sich gegenseitig militärisch zu unterstützen, obwohl sie die gleichen Ziele verfolgen.
Nicht die EG hat in der Jugoslawienkrise versagt, sondern die unrealistischen Erwartungen, die an sie herangetragen wurden und die sie selbst an sich gestellt hat, sind enttäuscht worden. Die Annahme, daß der europäische Integrationsprozeß automatisch dazu führen würde, daß auch alle Staaten die gleichen Sicherheitsinteressen hätten, hat sich als falsch erwiesen. Integration ohne Schranken gibt es nicht.
Die Lehre für die EG aus der Jugoslawienkrise sollte sein, daß eine einheitliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik unwahrscheinlich ist. Der Versuch, eine gemeinsame Verteidigungspolitik einzufordern, kann die Integration in anderen Bereichen blockieren. Eine zweite Lehre ist, daß Integration dann an Grenzen stößt, wenn nationale Interessen nicht berücksichtigt oder gar unterdrückt werden.
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