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Zur Metaphysik des Sonnenbrandes

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Bei Bräune hat man um 1900 noch an eine Krankheit (Angina, und Diphtherie) gedacht; und ich, doch da steh' ich wohl ziemlich allein, ich denke auch heute noch an eine Krankheit:

Im Hinblick über die anfang-und endlos die Kontinente säumenden Badestrände, wo kaum noch jemand im Wasser plantscht, vom Schwimmen schon gleich zu schweigen, kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, daß die abendländische Menschheit nichts weiter mehr weiß, als die letzten Reste von Hirn aus dem Kopfe sich schmelzen zu lassen: dem Sonnenbrand nicht mehr nur außen, auch innen sich aussetzend, bis zur Gehirnerweichung. Ich will mich gewiß nicht zum Maß aller Dinge, schon gar nicht zum Thermometer machen, allein, es röche mir höchst verdächtig nach Masochismus, wenn ich, sofern nicht gezwungen dazu, meinen Körper länger, als grade zum Abtrocknen nötig, der Sonne preisgäbe; brutzeln kann ich noch, mehr als mir lieb sein wird, in der Hölle.

Zur Zeit, noch „daheim, am sichern Schreibtisch sitzend", bei draußen siebenunddreißig Grad im Schatten und Gott allein weiß (und ich will's gar nicht wissen) wieviel in der Sonne, ich grüble also dahinter her, von wo dieser Kult der Bräune denn komme, wo hin er wohl führe. Ein Kult ist's gewiß und nicht bloß eine Mode, die wäre schon längst im Sande verweht, und wenn doch wieder auferstanden, dann immer doch bloß für die eine und andre Saison. Den ersten Beweis dafür, daß das ein Kult ist, liefern die so genannten Kosmetik-Institute, wo die nicht scheinende Sonne von künstlichen Strahlen ersetzt und die Sonnenbräune somit also bloß imitiert wird; und zu Hause kann man die etwa noch fehlende Bräune sich selbst anschminken.

Kurz, die gebräunte Haut, ob sozusagen Naturschnitzel oder paniert, ist nicht eine unvermeidliche Nebenerscheinung des Badens im Freien, sondern ein Selbstzweck, und als solcher auch ein Symbol, doch wofür?

Gewiß nicht, wie eben schon angedeutet, für das, was Naturverbundenheit wäre im engeren Sinn, zumal der Mensch die Natur ja erst aufsucht, sobald er sie mittels der Technik sich komfortabel gemacht hat: der Campingplatz ist eine Art mobiles Hotel; und die schönste Aussicht des Gipfelstürmers ist die auf ein Bier im Schutzhaus. Und wenn gerade die Faulenzer heute so aussehn wie einstens die Schwerstarbeiter im Feld und am Bau, so darf man aus dieser Freizeit-Farbe doch sicherlich nicht auf verdrängte Wünsche nach härterer, einer dem Ursprung noch näheren Tätigkeit, als das Tippen von Briefen ist, schließen, im Gegenteil: braun gilt für sportlich, und ist es auch, insofern nämlich auch, als es so unerotisch, ja antierotisch ist, und erotisch so desillusionierend wirkt wie der ganze Sport.

Braun ist in diesem Fall keine Farbe der individuellen Wahl, nein, man trägt eben Braun, und es ist ein Symbol, das Symbol für die tiefste, die alles umfassende, alles erfassende Sehnsucht zurück zur Natur: für das Unbehagen in der Kultur. Es ist, im Grunde, die Uniform dessen, was der gründlichste Zug dieser Zeit: der Entgeistung; es ist die äußere Ansicht der inneren- Absicht, nun endlich der alten Sprachen, der Philosophie und der Künste doch wieder ledig zu werden, es ist das Signal des Verzichts auf Geschichte, somit auf Geschichtlichkeit, also auf Fortschritt.

Wir blättern zurück im Schopenhauer, welcher, von Konrad Lorenz darin bestätigt, die weißen Menschen die Haustiere der Natur nennt, sie sieht als früher wild lebende, aber inzwischen domestizierte Wesen. Er sagt, in der unübertroffen wahren „Metaphysik der Geschlechtsliebe", seine Meinung, „daß dem Menschen die weiße Hautfarbe nicht natürlich ist, sondern er von Natur schwarze oder braune Haut hat, wie unsere Stammväter, die Hindu; daß folglich nie ein weißer Mensch ursprünglich aus dem Schooße der Natur hervorgegangen ist, und es also keine weiße Rasse giebt, so viel auch von ihr geredet wird, sondern jeder weiße Mensch ein abgeblichener ist", und auch dieses ist wesentlich wahr.

Ein Selbstmord mittels natürlicher Todesstrahlen: der Sonnenstrahlen. Ach nein, nicht Hautkrebs, karzinogen ist das ganze Leben und war's auch schon immer. Verblödung hingegen steht außer Zweifel: selbst der notorische Denker, der Mensch, in dem es ständig von selber denkt, kann unter der Sonne nicht denken, und wenn schon, dann bloß auf einem infolge der lastenden Hitze gedrückten Niveau. Man lege die Peripatetiker in den Sand von Caorle: man fände da nicht eine Spur von Entelechie.

Kulturen und Schöpfungen der Kultur sind nie unterm senkrecht stechenden Sonnenlicht, stets in (teils durch die Natur, teils von Menschenhand) gemäßigten Zonen entstanden. Es ist die Kultur ab ovo schon von „des Gedankens Blässe angekränkelt", und jedes Produkt der Kultur ist ab ovo schon „abgeblichen", das zahlen wir unvermeidlicher Weise für einen Echnaton, für einen Mozart und einen Franziskus, und für einen König David und für einen Nietzsche, für Buddha und für Spinoza, für Alexander, für Galilei; und zweifellos am gesündesten ist, nach Egon Friedeil, die Amöbe.

„Daß", weiter mit Schopenhauer, „die weiße Gesichtsfarbe eine Ausartung und unnatürlich sei, bezeugt der Ekel und Widerwille, den, bei einigen Völkern des in-nern Afrika's, der erste Anblick derselben erregt hat: sie erscheint diesen Völkern als eine krankhafte Verkümmerung"; und wir fühlen und denken mit diesen Völkern, und wollen, als wie von Scham und Reue ergriffen, nun Buße tun für unsre einstige Keckheit, den Urwald zugunsten der Urbs verlassen zu haben; und weil es so lange gedauert hat, weiß zu werden, soll das Zurückfärben ra-schest und hastigst geschehn.

Allein, die von unserem Philosophen namhaft gemachten Jahrtausende unseres Weißbleichens und zugleich der Entwicklung unserer intellektuellen Kräfte sowie der Erfindung und Ausbildung all unserer Künste, diese Jahrtausende rebellieren instinktiv: die Haut rötet sich bald, ist im doppelten Wortsinn entzündet, der Körper schält sich, stößt die erst angesengten, die angekohlten Partikel ab, und ein um so zarteres Weiß tritt darunter hervor; dies alles von Schmerzen und Fieber begleitet. Doch die nunmehr dünnere Haut wird erbarmungslos weiter dem Angriff der Strahlen ausgesetzt, wenn auch gewissermaßen narkotisiert von Cremes und von Lotions, an denen das einzig Gesunde der Preis ist: sie decken die tieferen Schäden bloß zu, übertünchen zugleich die etwaigen Reste von schlechtem Gewissen.

Nun, was geschieht? Der Sonne hüllenlos preisgegeben, vertrocknet der Körper, wird ausgedörrt, von außen nach innen buchstäblich verwüstet. Er wird dadurch hart und widerspenstig; er fühlt sich, gleichsam des Flaumes beraubt, nur mehr stumpf und spröde, geradezu abweisend an; der Mensch als ein Ganzes wirkt unnahbar, wenn nicht gleich abstoßend. Denn der Körper, genauer die Oberfläche des Körpers, ist nun kein Ausdrucksmittel der Seele mehr. Die Regungen und Bewegungen unseres Herzens werden, bekanntlich, mittels des Blutes bis in die Haut übertragen, um in derselben als holdes Erröten, als jähes Erblassen, als bläuliche Kälte, als Schwarz des Zornes sich sichtbar-lichst abzubilden und darzustellen. Dies alles ist aber vertan und dahin, wenn der Mensch in die Bräune verschweißt ist wie neuerdings allerlei Dinge in Klarsichtfolie; so, daß dann nichts mehr, wie man zu sagen pflegt, unter die Haut geht; wie denn auch umgekehrt von dieser puritanisch-hygienischen Hülle nichts aus der draußeren Welt reflektiert wird, der Leib also nicht mehr sich ausstrahlt als schönerer Widerschein seiner Umgebung.

Im Bad zu Vöslau, dessen Bek-ken sich eng in einen bewaldeten Steilhang einschmiegt, blicke ich eines hochsommerlich schönen Tages von oben zwischen den Bäumen und Büschen und den Kabinen hindurch und hinab auf die dicht mit Menschen belegten Wiesen und Promenaden rings um das menschenleere Wasser — kein gewöhnliches Bild, eine graue Vision —, und da ich nun, abwärts tappend, mich nähere, liegen, noch immer in kleinen verfremdenden Ausschnitten zwischen dem Laub und den hölzernen Wänden, noch immer in anderseits akzentuierenden Durchblicken, nun, es liegen so, sage ich, die nicht vom Badeanzug bedeckten Teile: die Schenkel und Arme, die Schultern und Bäuche, wie abgelöst von den Menschen, von jedweder Menschlichkeit, braune Klumpen im grünen Gras, als hätte ein apokalyptischer Höllenhund hier seine unappetitliche Spur hinterlassen wie irgendein Pinscher am Trottoir.

Und seither befällt mich schon bei dem bloßen Gedanken an braun gebrannte Gestalten der Ekel und Widerwille, den jene Schwarzen im Innern Afrikas einst bei dem Anblick von Weißen empfunden. Allein, es schockieren mich eigentlich nicht diese Individuen, welche da über den Flämmchen des Zeitgeistes schmoren am Grillrost unseres metaphysischen Irrtums, daß ein gebräunter Weißer kein abgeblichener Schwarzer mehr und damit außer Obligo sei für das Heil und das Unheil unserer äußerst gefahrvollen Stufe der Evolution, da die uns gegebene, uns umgebende Realität der Natur uns beinah schon verblichen ist nur noch zum Rohstoff unserers Machens. Nein, nicht diese von sich selber geschundene Kreatur, sondern diese Menschheit lehrt mich das Fürchten, die nicht „in den Kot getreten", wie Hiob, sondern, anstatt geduldig wieder zu Staub und Asche zu werden, sich selber verwandelt in jenen Kot.

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