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Kairo: Letzter Akt?

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An einem Abend vor mehreren Wochen saßen ein Journalist, ein Rundfunkkommentator und ein Geheimdienstoffizier zusammen im Park des zwischen Lod und Jaffa gelegenen Ramat-Aviv-Hotels und orakelten über die Zukunft Ägyptens. Die Zukunft Abd el Nassers, darüber waren sie einig, war noch nie zuvor so unsicher seit seinem Herrschaftsantritt. Wachsende politische Isolierung, militärische Rückschläge und wirtschaftliche Schwierigkeiten zwängen ihn, folgerten sie, rasch Ballast abzuwerfen. Sie behielten recht, und kürzlich entledigte sich der Ndldiktator des „Ballastes“. Ministerpräsident Ali Sabri und sein 18 Monate altes Kabinett erklärten ihren Rücktritt Einträchtig bliesen Informations-mdnister und offiziöse Tageszeitung „Al-Ahram“ ins gleiche Horn: Mit dem Rücktritt beginne eine neue Phase revolutionärer Entwicklung, erklärte der eine; der Rücktritt ermögliche gewisse politische Änderungen, der Präsident beabsichtige schon seit einem halben Jahr, das parteilose politische System zu beenden, echote die andere. Kenner der Verhältnisse erblicken in diesen Verlautbarungen den Versuch, das fast manövrierunfähige Staatsschiff wieder flottzumachen und offener Meuterei zuvorzukommen. Westliches Ausland und innerpolitische Opposition sollen abwarten.

Voraussagen trafen ein

Die Konsequenzen des Regierungswechsels sind indes nicht politischer, sondern in erster Linie personeller Natur. Man tut gut daran, sich der Kommentare zum Amtsantritt Ali Sabris, im März 1964, zu entsinnen. Damals frohlockte Informationsminister Hatem, jetzt beginne das demokratische Leben Ägyptens. Ausländische Experten argwöhnten damals allerdings, Abd el Nasser wolle sich durch die Regierungsbildung nur von der Alleinverantwortung befreien und ein Ventil für das Unbehagen der Bevölkerung öffnen. Die zwischen Präsident und Parlament angesiedelte Regierung könne notfalls für Fehler und Schwächen verantwortlich gemacht und zum Rücktritt gezwungen werden, ohne daß die Person des Staatsoberhauptes in Mitleidenschaft gezogen würde. Genau das geschah.

Mit der Demokratisierung war es nicht weit her. Das Parlament wurde zwar in wachsendem Ausmaß Keimzelle sachlich begründeter Opposition; die Deputierten wurden aber nicht gehört, sondern im Keller der Kammer von Sicherheitsbeamten verprügelt. Die neue Einheitspartei „Arabische Sozialistische Union“ erwies sich als nicht funktionsfähig.

und die Ankündigung, das „parteilose“ System solle beendet werden, ist ihr Todesurteil. (Die Regierung betrachtet ihr eigenes Ein-Parteien-System offenbar schon als nicht mehr existent!) Niemand glaubt, die Kairoer Machthaber seien ernsthaft willens, wieder Parteien zu erlauben. Dieses Versprechen wurde schon zweimal gegeben, 1952 und 1954, und nie eingelöst. Auch Ostblockbeobachter glauben, daß die Wiederzulassung mehrerer Parteien das Ende des jetzigen Regimes wäre.

Nassers starker Mann

Die Absichten Abd el Nassers lassen sich weniger an den offiziellen Verlautbarungen als an der Person des neuen Ministerpräsidenten ablesen. Zakaria Mohieddin war bisher einer der vier Vizepräsidenten. Er und Ali Sabri sind gleichaltrig, 43 Jahre, und beide enge Mitkämpfer und Mitarbeiter des Präsidenten. Mohieddin gehörte zum Komitee der Freien Offiziere und leitete seit dem Staatsstreich die fünf zivilen und militärischen Geheimdienste. Er war Innenminister und, seit 1961, Vizepräsident. Indem er seinem Polizeigewaltigen nun auch nominell die ganze Vollzugsgewalt anvertraut, will Abd el Nasser offensichtlich die ihm entglittene innerpolitische Entwicklung wieder in den Griff bekommen. Mohieddin soll, nach bewährter Methode, den teilweise bewaffneten Widerstand der Moslembrüder, der Wafdisten, der Bewegung „Freies Ägypten“ und geheimer Offiziers-gruppen niederschlagen und den Staatsapparat säubern, reorganisieren und straffen Daher werden auch einige bisherige Regierungsmitglieder ausscheiden. Besonders wackelig ist der Stuhl des Informationsministers Hatem, der für die katastrophale Informationspolitik der Regierung verantwortlich gemacht wird, auf die Abd el Nasser die schlechte Presse zurückführt, die er im westlichen Ausland hat. Hatem versagte auch in der Touristenförderung; er brachte es fertig, Hotelzimmer zu vermieten, die überhaupt noch nicht gebaut waren!

Der Regierungswechsel lag schon länger in der Luft. Als aussichtsreiche Anwärter auf den Premierministerposten galten auch der unpolitische Verwaltungsfachmann Mahmut Junis, der gegenwärtig die Suezkanalbehörde leitet, und der Krypto-Kommunist Khaled Mohieddin. Khaled ist ein Bruder des neuen Regierungschefs und gut als überzeugter Parteigänger Moskaus. Schon daraus folgert, wie fragwürdig es ist, Zakaria Mohieddin und Ali Sabri mit den westlichen Termini „gemäßigt konservativ“ und „prochinesisch“ zu bedenken und daraus auf einen inneren oder außenpolitischen Kurswechsel zu schließen.

Im Hintergrund: Der „Bruder“

Ali Sabri hegt gewisse Sympathien für Rotchina, das er schon besuchte, um im indisch-chinesischen Grenzstreit zu vermitteln. Pekings Außenminister Tschen Ji brüskierte deshalb vor allem ihn, als er Anfang September zweimal seinen Besuch in Kairo ankündigte, aber das Empfangskomitee warten ließ, ohne zu landen. Ali Sabris politischem Einfluß tat das keinen Abbruch. Es gibt in der ägyptischen Führung keine „chinesische“ und keine „russische“ Fraktion, an deren Spitze etwa der Präsident selber stünde. Der demissionierte Regierungschef ist einer der engsten Vertrauten seines Präsidenten, dem er einst half, General Nagib zu stürzen und dem er nacheinander als Polit-Berater im Hintergrund, Minister für Präsident-schaftsangelegenheiten, Vorsitzender des Exekutivrates und Ministerpräsident diente. Kenner der Verhältnisse glauben denn auch, daß mit der Amtsübernahme des neuen Kabinettschefs der letzte Akt des Dramas beginnt, in dem Abd el Nasser — wie er in seiner „Philosophie der Revolution“ selbst sagt — die Hauptrolle spielt. Entweder folgt auf Zakaria Mohieddin das Chaos oder — sein kommunistischer Bruder Khaled.

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