Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Das Opfer der Westmächte
Die Erklärung des damaligen amerikanischen Außenministers zeigt, daß die Westmächte, als sie den Staatsvertrag unterzeichneten, ein echtes Opfer gebracht haben. Sie verzichteten auf die direkte Verbindung zwischen ihrem Verteidigungsapparat in Westeuropa und ihren militärischen Einrichtungen in Italien. Diese Verbindung führt jetzt in einem weiten Bogen um die Westgrenze .der Schweiz über Frankreich herum. Der Rückzug der russischen Besatzungstruppen hinter die ungarische Grenze, so wichtig er nicht nur für Oesterreich, sondern auch für die Schaffung einer neuen Lage in Europa war, entspricht in seinem militärischen Wert keineswegs der Schließung der österreichischen Grenzen im Westen für alle ausländischen Truppen. Die Verbindungen innerhalb des Warschauer Paktes blieben durch die Räumung des östlichen Oesterreich durch die Sowjettruppen unberührt.
Es ist in diesem Zusammenhang nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß der Warschauer Pakt am 14. Mai 1955, einen Tag vor der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages und knapp nach dem Eintritt der Deutschen Bundesrepublik iff1 die NATO, abgeschlossen’ würde'. Er machte jene Bestimmungen in den 'Pariser Friedensverträgen für Uüg'ärn und Rumänien gegenstandslos, welche die Stationierung sowjetischer Truppen in Ungarn und in Rumänien zur Sicherung der Verbindungslinien nur bis zum Inkrafttreten des österreichischen Staatsvertrages vorsahen, er diente gewissermaßen dazu, die Auswirkungen des österreichischen Staatsvertrages für Ungarn und Rumänien aufzuheben.
Die europäische militärische Bedeutung des neuen, neutralen Oesterreich ist kaum geringer als die politische. Auch hier kommt es in entscheidendem Maße auf die Oesterreicher selbst an, die entschlossen sein müssen, sowohl ihre Unabhängigkeit als auch ihre Neutralität zu verteidigen, wenn sie angegriffen werden sollten. Wir entschließen uns in Oesterreich nicht leicht, viel Geld für das Bundesheer auszugeben. Das ist begreiflich, denn wir lieben den Krieg nicht und wir sind uns dessen bewußt, daß es noch viele Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte dauern wird, bis wir den Vorsprung eingeholt haben werden, den andere Staaten sich auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet sichern konnten. Anderseits darf man die moralische und praktische Bedeutung der Verteidigung eines kleinen, entschlossen für seine Selbsterhaltung eintretenden Landes nicht unterschätzen.
Dies zur politischen und militärischen Bedeutung Oesterreichs in Europa.
Seinen Beitrag zur europäischen Kultur zu leisten, hat Oesterreich nie aufgehört. Selbst in Musik, österreichische Dichtung, österreichische
Geistigkeit gültige Werte. Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, zu glauben, daß durch ein paar Strauß-Walzer, aber auch nicht durch eine den finstersten Zeiten blieben österreichische wissenschaftliche Entdeckung, ein innenpolitisches Chaos in Oesterreich wettgemacht werden könnte. Kultur und Politik können und müssen einander ergänzen, aber sie können einander nicht ersetzen. Wegen seiner kulturellen Leistungen, wie Oesterreich sie glücklicherweise stets in so hoher Qualität und in so großer Zahl zu erbringen vermochte, kann ein Land geliebt und bewundert werden, aber ein Staat muß geachtet sein, seine Freunde müssen wissen, daß sie ihm vertrauen können, wenn er Bestand haben soll.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!