Die entmachteten Mitentscheider

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Das EU-Parlament kämpft um seine Rolle im Entscheidungsprozess. Es wird von den Krisen-Entscheidungen ausgeschlossen. Nun regt sich Widerstand.

Vor 33 Jahren wählten die Bürger Europas zum ersten Mal ein Parlament, das keinerlei Entscheidungsrechte hatte. Spätestens mit dem Lissabon-Vertrag 2009 änderte sich das: Das Parlament schlüpfte aus der beratenden Rolle und wurde zum gleichberechtigen Gesetzgeber mit dem Rat. Seit Beginn der Euro-Krise haben die Regierungen jedoch das Heft wieder an sich gerissen. Krisenmaßnahmen werden von Frankreich und Deutschland vorangetrieben, ohne sich um die demokratische Zustimmung des EU-Parlaments zu kümmern.

"Die aktuellen Versuche mancher Staats- und Regierungschefs, Entscheidungen hinter gepolsterten Türen ohne Parlamentsbeteiligung herbeizuführen, widerspricht dem europäischen Geist,“ wettert der neu gewählte Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas. Die grüne Abgeordnete Ulrike Lunacek: "Es sollen die potenziellen Widerstände so gering wie möglich gehalten werden.“ In der Krise versuche man eben, die Macht des Faktischen über das demokratische Prinzip zu stellen.

"Sollte sich herausstellen, dass nicht eindeutig rechtlich geklärt ist, dass der neue Zusatzvertrag rechtmäßig ist und nicht gegen europäische Verträge verstößt, muss sich das EU-Parlament die Prüfung einer Klage vorbehalten,“ gibt sich der neugewählte Fraktionspräsident der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Hannes Swoboda, kämpferisch.

Sowohl seine Fraktion als auch die der Konservativen, Liberalen und der Grünen sehen diesen Vertrag nur als eine Notlösung, der so schnell wie möglich in das Gemeinschaftsrecht, das heißt, in die EU-Verträge aufgenommen werden muss.

Denn die Verhandlungen zum Fiskalpakt zeigen eines deutlich, beklagt Lunacek: "Der Vertrag wird zwischen Regierungen verhandelt - das Europaparlament darf zwar dabei sein, aber nicht darüber abstimmen - und die Parlamente werden am Ende vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Zurück zur Gemeinschaft

"Wir müssen deshalb wieder zur Gemeinschaftsmethode zurückkehren“, fordert Hannes Swoboda. Denn die Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass "der Rat als Entscheidungsebene nicht geeignet ist, nachhaltige Lösungen zu präsentieren.“ Ein Beispiel sei der vorliegende Fiskalpakt, bei dem man sich einseitig aufs Sparen verlege. Swoboda will mit seiner Macht als neuer Fraktionschef für 190 Sozialisten und Demokraten über den Rat und die Kommission Druck ausüben, damit konkrete Investitions- und Finanzierungsvorschläge für eine gemeinsame Wachstums- und Beschäftigungspolitik drinstehen.

"Die Regierungen wollen mit Sparzwang und Schuldenbremse das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen und riskieren dafür eine Rezession. Besser wäre es, die Finanzmärkte unter Kontrolle zu bringen,“ schimpft Lunacek und fordert eine Finanztransaktionssteuer, Eurobonds und Sanktionen gegen Steueroasen.

Um dem direkt vom Volk gewählten Europaparlament wieder die Macht zukommen zu lassen, die es seit dem Lissabon-Vertrag hatte, will Lunacek mit den Grünen eine Allianz zwischen dem EP und den nationalen Parlamenten schmieden. Karas ist überzeugt, dass Voraussetzung für eine handlungsfähige EU die Abschaffung der Einstimmigkeitsregel im Rat sei. Denn diese mache die Staats- und Regierungschefs handlungsunfähig und erpressbar. Karas will, dass in allen Bereichen gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Und zwar sollen das EU-Parlament als Bürgerkammer und der Rat als Länderkammer gemeinsam entscheiden.

Machtgezerre zwischen Staaten

Dieses Machtgezerre zwischen den Staaten oder zwischen verschiedenen Ebenen in der EU hält Karas für eine katastrophale Kleinstaaterei, die am Ende nur den Machtverlust Europas in der Welt verstärke. Auch wenn "die wahre Macht des EP sich darin zeigt, dass es die Stimme von 502 Millionen Bürgern ist,“ so Parlaments-Vizepräsident Karas. Denn die Abgeordneten werden - anders als die Kommissionsmitglieder - von den Bürgern Europas gewählt.

So sind sich die Parlamentarier einig, dass Absprachen zwischen den Regierungen und die komplizierte Meinungsbildung in 27 Parlamenten nicht mehr zeitgemäß sei. Statt 17 nationaler Wirtschaftspolitiken in der Eurozone brauche es eine Angleichung der Volkswirtschaften und letztlich eine politische Union.

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