Das Heil grenzt niemanden aus

19451960198020002020

Alle Jahre wieder: Die Klagen, vom ursprünglichen Sinn des Weihnachtsfestes sei wenig zu spüren, nehmen zu.

19451960198020002020

Alle Jahre wieder: Die Klagen, vom ursprünglichen Sinn des Weihnachtsfestes sei wenig zu spüren, nehmen zu.

Werbung
Werbung
Werbung

Der nüchterne Befund einer diese Woche vom Magazin "Format" veröffentlichten OGM-Umfrage: 50 Prozent der Bevölkerung sehen in Weihnachten ein Fest des Schenkens und Kaufens, 38 Prozent ein besonderes Fest für die Familie, nur 11 Prozent ein besinnlich-religiöses Fest.

Der subjektive Eindruck, zumindest in der Großstadt, wenn man die Menschen auf den Straßen betrachtet, wenn man ihre Gespräche in den Lokalen verfolgt: Besondere Freude löst das Fest selten aus, eher Hektik, Stress, Unbehagen, ob man nicht jemanden vergessen hat, den man beschenken oder mit einer Weihnachtskarte bedenken sollte. Manche grübeln, wie sie feiern sollen, da womöglich die Ehe zerbrochen, die Familie zerrissen und zerstritten ist.

Jene, die hinter all dem Kaufrausch, den Geschenkebergen, den teils schon sehr mechanisch ablaufenden Ritualen noch zu einer sehr persönlichen Weihnachtsfreude finden, gibt es natürlich auch noch, aber sie geraten zunehmend in die Minderheit. Die Frage nach dem ursprünglichen Sinn des Weihnachtsfes-tes droht in lächerlichen Debatten, ob jemand an den Weihnachtsmann oder an das Christkind als Geschenkebringer "glaubt", unterzugehen.

Und das ausgerechnet nach genau 2000 Jahren jener Zeitrechnung, die auf dem Anlass des Weihnachtsfestes beruht: der Geburt Jesu Christi. "Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes" steht beim Propheten Jesaja in einem zu Weihnachten in den Kirchen vorgetragenen Text. Wenn der Glaube schwindet, in Jesus Christus den Sohn Gottes und Erlöser der Welt zu sehen, hat das natürlich Auswirkungen darauf, welche Rolle christliche Feste in der Gesellschaft spielen und wie sie begangen werden. Nichts gegen das Schenken, das ein schöner Brauch ist und Christen an das Gottesgeschenk Jesus erinnert, aber alles dagegen, wie es heute gehandhabt wird.

Skeptiker werden fragen: Wo sehen alle Gottes Heil? Was haben 2000 Jahre Chris-tentum schon bewirkt? Warum setzt sich das nach christlicher Auffassung Gute nicht durch? Warum schauen die Christen nicht "erlöster" aus?

Eine Antwort steht schon im Prolog des Johannes-Evangeliums: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." Schon Jesus selbst ist gescheitert und konnte zu seiner Zeit nur wenige überzeugen. Aber die junge Kirche ist gewachsen und hat seine Lehren weltweit verbreitet. Und keiner möge behaupten, dass das nicht gesellschaftliche Auswirkungen hatte (obwohl diese manchmal gegen den Widerstand der Institution Kirche eingetreten sind).

Eine andere Antwort wäre eine Gegenfrage: Was haben denn andere, irdische Heilslehren bewirkt? Wo gab es denn auch nur Ansätze zum "Paradies auf Erden"? Tragen wir nicht beispielsweise heute noch schwer an den Folgen jener Zeit, in der am meisten "Heil" gebrüllt wurde und die erst wenige Jahrzehnte zurückliegt? Suchen nicht gerade heute immer mehr Leute ihr Heil in der Flucht als Aussteiger aus der Gesellschaft? Haben uns nicht viele Katastrophen der jüngsten Zeit, ob Concorde, Kursk, Kaprun oder BSE belehrt, dass der Mensch nie imstande ist, die perfekte "heile" Welt zu schaffen, sondern mit jeder Errungenschaft auch neue Gefahrenpotentiale verbunden sind?

Wir müssen zugeben, dass wir die Dinge ganz und gar nicht im Griff haben, dass keineswegs alles machbar ist. Es gab und gibt sicher echte Fortschritte in der Menschheitsgeschichte. Würde man sie genau unter die Lupe nehmen, käme man wahrscheinlich zur Überzeugung, dass sie weit mehr mit den Lehren der großen Religionen vereinbar sind als mit politischen Idealen.

Eine weitere Antwort, weshalb noch nicht alle das Heil sehen können, besteht sicher im Handeln der Christen. Das Heil ängstlich zu hüten, zu verkünden, dass es außerhalb der Kirche gar nicht vorhanden sei, damit gewisse Feindbilder aufzubauen (wenn es die und die nicht gäbe oder die und die anders handelten, wäre alles in Ordnung), entspricht nicht der Weihnachtsbotschaft. Nicht durch Ausgrenzung und Abgrenzung kommt das Heil, es sind alle dazu berufen, entscheidend sind, so Paulus im Brief an Titus, nicht die Werke, sondern die Gnade Gottes, die zu guten Werken befähigt.

Bei den Menschen seiner Gnade oder "guten Willens" wird auch zu Weihnachten 2000 der Friede einkehren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung