Das Heilige: Ambivalent und nicht zu kontrollieren
Der Begriff „heilig“ ist aus der Geschichte der Religionen nicht wegzudenken, wird aber heute nicht mehr als allein positiv wahrgenommene Kategorie interpretiert. Anmerkungen zu erstaunlichen kulturhistorischen Parallelen anhand von Rudolf Ottos epochalem Buch „Das Heilige“.
Der Begriff „heilig“ ist aus der Geschichte der Religionen nicht wegzudenken, wird aber heute nicht mehr als allein positiv wahrgenommene Kategorie interpretiert. Anmerkungen zu erstaunlichen kulturhistorischen Parallelen anhand von Rudolf Ottos epochalem Buch „Das Heilige“.
Wenn heute das Wort „heilig“ Verwendung findet, kann man von einer ambivalenten Wahrnehmung ausgehen. Der Begriff verbindet sich natürlich mit Momenten des Erhabenen, Besonderen in den verschiedenen Religionen, ihren Ritualen oder zentralen „heiligen“ Texten, die in den verschiedenen Traditionen dementsprechend hochgeehrte Stellungen haben. Nicht zuletzt deshalb ist der Begriff eine der zentralen Kategorien in der Beschreibung von Religionen und ihres Selbstverständnisses, wobei insbesondere die Abgrenzung von „Heiligem“ und dem „Nicht-Heiligen“, dem „Profanen“, eine wichtige Rolle spielt.
Doch hat der Begriff auch eine Kehrseite. Auf „Heiliges“ beruft sich auch der russische Patriarch Kyrill II. in seinen unseligen Legitimationsversuchen zum Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine – und rechtfertigt damit völkerrechtswidriges Handeln. In ihrem Selbstverständnis „heilige“ Handlungen führten auch die Attentäter aus, die 2001 in die Twin Towers in New York flogen und damit das 21. Jahrhundert mit einem im Wortsinn unseligen Akt als das Jahrhundert der religiösen Konflikte eröffneten.
Eine Wiederlektüre
Entgegen einer lange Zeit üblichen Interpretation des Begriffs „heilig“ – als dem Guten, Wahren und Schönen zugeordnet –, kann heute die Ambivalenz dieses Begriffes nicht ausgeklammert werden; und jeder Schritt hinter dieses Moment scheint völlig abwegig. Ein Bezugnehmen auf „Heiliges“ darf heute somit nicht mit einem sehnsuchtsvoll-melancholischen Rückblick samt Hinweis auf die vorgeblichen Folgen des „Verlustes“ eben dieses Heiligen in der Gegenwart verbinden. Kulturgeschichte und die damit einhergehenden veränderten Wahrnehmungen von Begriffen lassen sich nicht zurückdrehen.
Wenn man sich mit der Bedeutungsgeschichte des Begriffs „heilig“ im 20. Jahrhundert auseinandersetzt, stößt man unweigerlich auf ein Buch mit dem simplen Titel „Das Heilige“, das in seiner ersten Auflage 1917 erschien und den systematischen Theologen und Religionsphilosophen Rudolf Otto weithin und bis heute berühmt machte. Das Buch will nichts anderes als eine Grundsatzerfassung des titelgebenden Begriffs vorlegen und wurde zu einem vielaufgelegten und in viele Sprachen übersetzten Klassiker der Religionsforschung.
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