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Warum Religion? Warum Gott? Eine Fülle an Büchern zum Thema überschwemmt den Markt. Anmerkungen zu einer exemplarischen Auswahl daraus.

Religiöse Buchtitel, wohin das Auge schaut: Unter dem Schlagwort "Religion" versammelt allein "Amazon", der mittlerweile größte Buchumschlagplatz im Internet, derzeit 15.629 Bücher - die Flut der Lebenshilfeliteratur noch nicht einmal mitgezählt. Immerhin noch 2.104 Publikationen tragen "Gott" im Titel. Stellt die Literatur einen Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen dar, so könnte man tatsächlich auf die Idee kommen, dass Religion wiederkehrt oder zumindest aus einem säkularen Winterschlaf erwacht. An vier Titeln sei exemplarisch dargestellt, was für einen Großteil des Angebots gilt: dass es eine "neue Lust für Gott zu streiten" geben mag, dass jedoch der Schritt von der Gottesrede zum Gottesgerede nur ein kleiner ist.

Neuronales Gewitter

Vor wenigen Jahren schwappte eine Welle der Forschungsbegeisterung aus den USA nach Europa herüber, die nur ein Ziel kannte: die Enttarnung des "Gottes-Gens", jener neuronalen Schnittstelle im Gehirn, die den Menschen im biologistischen Sinne "gottfähig" macht, ja ihn gar als hoffnungslos religiös erklärt. Im deutschsprachigen Raum ist der deutsche Wissenschaftsjournalist Martin Urban mit dem Buch Warum der Mensch glaubt auf diesen Zug aufgesprungen. Auch er sieht Glauben vor allem als Kopf-Phänomen, als neuronales Gewitter, dem sich naturwissenschaftlich auf den Grund gehen lässt - allerdings sei dies "kein Plädoyer gegen den Glauben". So galoppiert quer durch die Disziplinen: Religionsgeschichte, präsentiert als Rückführung aller religiöser Vorstellungen in eine mythologische Ursuppe; Kirchengeschichte, präsentiert als Anekdoten-Geschichte klerikalen Machtstrebens - dies immer mit einem deutlich zwinkernden Auge, wie es jenen zueigen ist, die die Welt des Glaubens ungebrochen betrachten und sich selbst im Zustand schwebender Aufgeklärtheit wähnen. So wundert das Fazit nicht: "Ich meine, redlicherweise kann der Pfarrer heute nicht mehr am Sonntag ,Gottes Wort' von der Kanzel verkünden, wenn er die Brüchigkeit der Fundamente wahrnimmt." Waren die Fundamente denn je so fest, wie Urban es unterstellt?

Keine Frage, Urban ist ein erfahrener Erzähler, seine wissenschaftlich garnierten Geschichten amüsant und unterhaltsam - etwas Substanzielles zu so zentralen Fragen wie etwa dem Zusammenhang von Religion und Gewalt bieten sie allerdings nicht. Stattdessen verliert er sich in Anekdoten und Stilblüten, deren schönste zweifellos jene darstellt, in der die biblische Bekehrungsgeschichte des Saulus zum Paulus, das "Damaskus-Erlebnis", auf eine naturwissenschaftliche Erklärung zurückgeführt wird: so weise die Dramatik der Schilderung laut Urban darauf hin, dass die Bekehrung "mit einem epileptischen Anfall verbunden gewesen sein" könnte.

Sammelsurium der Religion

Einen anthropologischeren Ansatz wählt der Berliner Theologe Andreas Feldtkeller. Sein Buch Warum denn Religion? Eine Begründung nimmt seinen Ausgang in der These, dass mit der Frage der Religion "nicht Gott auf dem Spiel steht, sondern das Verhältnis des Menschen zu sich selbst". Dabei versteigt sich Feldtkeller zu der Behauptung, dass sich die Menschen in einer heute weitgehend religionslosen Gesellschaft "darum betrügen, mit den Grundgegebenheiten ihres Mensch-Seins in Kontakt zu sein" - ein Vorwurf, der ohne jeden Beweis bleibt. Die theologisch stets verlockende Rede von angeblichen menschlichen "Grundgegebenheiten", wird bei Feldtkeller durch die Begriffe "Bewusstsein", "Leiblichkeit", "Gemeinschaft" und "Eingebunden-Sein in das Ganze" bedient.

Was folgt, ist allerdings nicht mehr als ein Sammelsurium psychologisierender und anthropologisierender Erkundungsgänge, die klären sollen, wie sehr Religion sich zu diesen "Grundgegebenheiten" gestaltend, übersteigernd, manchmal gar überwindend verhält - immer freilich mit der These im Rücken, dass "Religion und Religionslosigkeit keine gleichwertigen Alternativen" seien, da Religion "dem menschlichen Leben näher steht als Religionslosigkeit". Kein Wort von den Vorzügen der Säkularität, von den Kämpfen, die es gekostet hat, eine alles durchdringende Religiosität in ihre Schranken zu weisen - und zwar nicht gegen die Menschlichkeit, sondern gerade im Sinn der Befreiung des Menschen. Kein Wort auch zum Einwand der Gefahr des religiösen Fundamentalismus mit politischer oder gar nihilistisch-terroristischer Speerspitze.

Theologischer Zauberkreis

Mit dem fachtheologischen Seziermesser gehen die zahlreichen Autoren in der Festschrift für den deutschen Fundamentaltheologen Jürgen Werbick, Die neue Lust für Gott zu streiten, vor. So sehr der Titel jedoch auf zeitdiagnostische Schärfe hoffen lässt, so sehr wird der theologisch unbedarfte Leser enttäuscht werden: Im klassischen Sammelband-Stil reihen sich in zahlreichen Aufsätze Detailstudien ehemaliger Werbick-Schüler aneinander, ohne dass ein roter Faden zu erkennen wäre.

Geboten wird daher weniger das Rüstzeug zu einem tieferen Nachdenken über Gott, als vielmehr eine detailverliebte innertheologische Vergewisserung über die "basics" verantwortungsvoller Theologie, über Interpretation, Widerspruch, Zeugnisgeben, kurz: ein Buch des theologieinternen Gesprächs, dem der Außenstehende mit Respekt gegenübersteht, dessen Schärfe und Brillanz jedoch im Innern eines geschlossenen theologischen Zauberkreises bleibt. So wird die angebliche neue Lust, für Gott zu streiten, schnell zur Unlust.

Um Religion streiten

Das Beste zum Schluss: das Unglaubensgespräch des deutschen Literaturwissenschaftlers und Autors Hermann Kurzke mit dem luxemburgischen Essayisten Jacques Wirion. In Form eines Briefwechsels führen die beiden vor, wie tief man in die Theologie einsteigen kann, wenn man als Christ sein eigenes Christsein als stets gebrochen erfährt (Kurzke) und als Atheist ein Gespür für jenes bewahrt, was mit einer tendenziell laizistischen Säkularität verloren ging (Wirion).

Gebrochen sind freilich beide Positionen: jene des Atheisten, da er um die Gottesidee mehr weiß, als mancher Sonntagschrist, und jene des Christen, da er um den Traditionsabbruch weiß, in dem er selbst nur mehr Gott nach-denken kann, nur mehr über die Notwendigkeit von Religion reden kann, ohne selbst noch im Strom der Selbstverständlichkeit zu stehen. Von dieser Gestimmtheit aus entwickelt sich ein Dialog, dessen literarische Verweise und Spitzfindigkeiten keinem bloßen Laufsteg-Humanismus dienen, sondern der erlöschenden religiösen Sprachfähigkeit neue Worte geben sollen.

Die Faszination des Buches liegt damit in der Breite seiner Identifikationsmöglichkeiten: dem heute oftmals religiös Sprachlosen gibt es Argumente und Sprachspiele an die Hand, um längst Verschüttetes oder nur mehr intuitiv Gewusstes neu zu formulieren; den agnostisch Gestimmten nimmt es verständnisvoll an die Hand und führt ihn, fernab von aller vordergründigen Kirchenkritik, zu einem verantwortbaren und dennoch neugierigen "Nein" zu allem Religiösen.

Am Ende haben sich die Positionen der Autoren angenähert: "Sitzen wir nicht in ein und demselben Boot?", lautet die konsequente Frage, und Wirion antwortet ein letztes Mal mit einem Zitat des israelischen Aphoristikers Elazar Benyoëtz: "Die Wahrheit liegt in der Mitte zwischen zwei Menschen, die aufeinander zugehen."

Das entbehrt nicht des Streitens und Argumentierens, im Gegenteil: Wahrheit "hat" man nicht, man kann sich ihr nur von zwei Seiten nähern - und sich dabei als Menschen näher kommen. Das ist kein Relativismus, sondern die ernsthafteste Form der Gottsuche.

Warum der Mensch glaubt - Von der Suche nach dem Sinn. Von Martin Urban. Eichborn-Verlag, Berlin 2005. 254 Seiten, zahlr. Abb., geb. e 20,50

Warum denn Religion? Eine Begründung. Von Andreas Feldtkeller.

Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006.225 Seiten m. Abb., geb. e 20,60

Die neue Lust für Gott zu streiten Für Jürgen Werbick zum 60. Geburtstag

Hg. von Siegfried Kleymann, Stefan Orth und Martin Rohner. Verlag Herder, Freiburg 2006. 256 Seiten, geb. e 20,50

Unglaubensgespräch. Vom Nutzen und Nachteil der Religion für das Leben

Von Hermann Kurzke und Jacques Wirion. Verlag C.H. Beck, München 2005. 279 Seiten, geb. e 23,60

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