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„Singet dem Herrn ein neues Lied!“

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Nach einer Zeit, in der man sie weniger wichtig zu nehmen schien, ist die Kirchenmusik in unserem Jahrhundert der liturgischen Erneuerung wieder zu ganz großer Bedeutung aufgerückt und zu besonderen Aufgaben berufen. Eine liturgische Erneuerung ohne die Musik, ihren wesentlichen Bestandteil, ist gar nicht denkbar. Nicht weniger als fünf päpstliche Erlässe befassen sich seit 1903 mit der Kirchenmusik, vier davon sogar ausschließlich mit ihr. Der Anteil der Gläubigen, das Interesse der Kirchenbesucher an der Musik, ist wieder äußerst lebendig, wirkt sich allerdings weniger in aktiver Mitwirkung als in Beurteilung und Kritik aus. Der eine empfindet den gregorianischen Choral, der andere die Instrumentalmusik als die größere Feierlichkeit, der dritte ärgert sich über die modernen Komponisten, und der vierte will überhaupt kein Hochamt, sondern eine Betsingmesse mit deutschen Gebeten und Liedern. Die Verschiedenheit persönlicher Einstellung ist natürlich, aber doch kaum entscheidend für die weltumfassende Kirche und ihre Musik Hier wirkt vor allem die kirchliche Wertung selbst, der sich der einzelne unterzuordnen hat. Diese Wertung aber setzt das (lateinische) Hochamt an die erste Stelle, als die Höchstform liturgischen Gottesdienstes.

Wenn daher einer meint, er „könne das Lateinische schon nicht mehr hören“, ist er ebenso schlecht unterwiesen wie er sich selbst täuscht, denn auch in der — deutschen — Betsingmesse antwortet er lateinisch auf die Gebetsrufe des Priesters. Der Schatz an lateinischen Messekompositionen, wie ihn die Jahrhunderte angesammelt haben, stellt zweifellos ein gewaltiges Gotteslob dar, und es ist selbstverständlich, daß die jungen Komponisten der Gegenwart diesen Schatz vermehren, mit den musikalischen Mitteln und der seelischen Problematik unserer Zeit das Erbe bereichern und verlebendigen, was die an die barocke Kirchenmusik gewöhnte Gemeinde zuweilen in einen Zustand der Ratlosigkeit, des Unmuts versetzt, da ihr die Vermittlung der neuen Tonsprache fehlt und der Sprung zu neuen Klangvorstellungen nicht auf einmal zu bewältigen ist. Hier müssen Geduld und guter Wille allmählich das Tor zum Verständnis öffnen. Wenn die Kirchenmusik eine klingende Predigt sein soll — und sie soll ja noch mehr sein: sie soll in den Dienst des betenden und singenden Christus treten, ja zur vox Christi selbst werden —, dann muß sie, wie der Prediger mit den Worten ihrer Zeit, die ewige Wahrheit künden. Und wie eine Predigt von Abraham a Sancta Clara einen anderen Wortschatz und eine andere Orthographie aufweist als eine moderne, so ist es auch in der Musik. Und wenn uns diese Musik zunächst vielleicht ärgert und erbost, halten wir uns doch vor Augen, daß sie im Zeichen des Kreuzes steht, das auch manchen ein Ärgernis und anderen eine Torheit ist — hüten wir uns daher vor heidnischer Intoleranz! Die Neigung für diesen oder jenen Stil ist berechtigt, das Verurteilen der anderen Stile nicht, denn auch diese haben ihre Freunde. Was die Kirche selbst nicht verurteilt, sollen wir nicht zu verurteilen wagen. Oder sollte man die modernen Komponisten vom Gottesdienst ausschließen? Wer wagt das zu verantworten? Sollen wir uns nicht vielmehr freuen, daß auch sie ihre neue Musik mit ihrer ganzen Problematik ihrem Herrgott zum Opfer bringen? Überhaupt sollte man den Stil nicht allzusehr überschätzen, denn nicht im Stil, sondern im Geist liegt die gottesdienstliche Eignung einer Musik, das beweisen die Wiener Klassiker mit ihrem manchmal recht weltlichen Stil.

Daß die Kirche ihren eigenen Gesang, den gregorianischen Choral, an die erste Stelle der Kirchenmusik setzt, ist selbstverständlich. Mit ihm würde sie völlig das Auslangen finden, kein Gesangstück von Messe und Vesper würde fehlen, wenn sie jede andere Musik verböte. Sie empfiehlt aber auch die mehrstimmige polyphone Kirchenmusik alter und neuer Zeit und erlaubt auch alle anderen Stile, soweit sie Heiligkeit, Allgemeinheit und wahren Kunstwert an sich haben. Diese Weitherzigkeit schafft der Kirchenmusik eine Universalität ohnegleichen, die allen Ausführenden Verpflichtungen auferlegt. Ein Kirchenchor, der etwas auf sich hält, muß

daher vor allem den gregorianischen Choral pflegen, dessen Kenntnis ihm auch die a-cappella-Mehrstimmigkeit erlernen und verstehen hilft, und darf natürlich, soweit es seine Leistungskraft verträgt, auch Instrumentalmessen musizieren. Die Gläubigengemeinde wird durch diese großräumige Art musikalischer Praxis zum Verständnis der Vielfalt erzogen, was einen nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Geistes- und Volksbildung bedeutet. Welch ungeheure Aufgabe jedoch auf den Kirchenchören liegt, die in diesem Sinne wirken, kann nur der Chorleiter und seine Sängerschar selbst ermessen. Solche Chöre zu fördern, ihnen die Jugend zuzuführen und sie geistlich zu betreuen, wäre eine dringende Aufgabe der geistlichen Behörden, damit nicht dbs heute schon wuchernde Zerrbild weitergreift: daß Sänger wie Musiker gleichsam vom Markt angeworben und nach feststehenden Taxen honoriert werden, die dann ein künstlerisch-musikalisches Werk ohne Beziehung zum liturgischen Geschehen traktieren und nichts weiter als ein Engagement erfüllen. Ein Kirchenchor soll seine pfarreigenen Sänger haben, dafür soll der Pfarrer sorgen. Und er soll sein Hochamt singen, nicht drei aufeinanderfolgende in verschiedenen Kirchen, sonst überspielt das Geschäft den Geist, und übrig bleibt genau das Entbehrliche: die Missa profana, der Leerlauf.

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