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Schlager in der Kirche

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Die in Wien abgeschlossene Diözesansynode hat die Fragen um die „Missa rhythmica“ praktisch offen gelassen. Ihre Anhänger und Gegner wird die in Linz bevorstehende Diözesansynode zweifellos in die Arena rufen. Schon vor einigen Monaten hat sich der Streit verstärkt, als die Linzer Diözesankommis&ion für Kirchenmusik in einer Sitzung am 12. März 1969 zu einem ablehnenden Urteil über ein Liederheft gekommen ist, das vom Kulturreferat der Katholischen Jugend in einer Auflage von 3000 Stück herausgegeben und durch den Titel „Meßgesänge II 1969“ eindeutig finden Gottesdienst bestimmt worden ist.

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Die in Wien abgeschlossene Diözesansynode hat die Fragen um die „Missa rhythmica“ praktisch offen gelassen. Ihre Anhänger und Gegner wird die in Linz bevorstehende Diözesansynode zweifellos in die Arena rufen. Schon vor einigen Monaten hat sich der Streit verstärkt, als die Linzer Diözesankommis&ion für Kirchenmusik in einer Sitzung am 12. März 1969 zu einem ablehnenden Urteil über ein Liederheft gekommen ist, das vom Kulturreferat der Katholischen Jugend in einer Auflage von 3000 Stück herausgegeben und durch den Titel „Meßgesänge II 1969“ eindeutig finden Gottesdienst bestimmt worden ist.

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Nach wie vor stehen die Anhänger sogenannter „rhythmischer“ Gesänge zum katholischen Gottesdienst einander gegenüber. Von den Gegnern — und dazu gehören wohl alle zünftigen Kioxhenimusiker — stecken viele wie der Vogel Strauß ihren Kopf in den Saod. Sie wollen von der abwegigen Entwicklung in ihrer heiligen Kunst nichts wissen und meinen, eine solche Verirrung des Geschmackes werde Sich von selbst totlaufen. Als Zwischengiruppe dürfen jene Ohristen keineswegs übersehen werden, bei denen nach einer kurzen Begeisterung für die Jazzmesse eine Ernüchterung eingetreten ist, nicht weil sie ein Gegner zu seiner Meinung bekehrt hat, sondern weil sie selbst die platten Gesänge satt bekommen haben. Im übrigen ist die Bezeichnung „Missa rhythmica“ typisch für ein irreführendes Schlagwort. Ist die edle Kirchenmusik etwa unrii'ythmisch? Zu empfehlen wäre etwa der Name ,,jazzrhythmis>che Messe“ nach Doktor Ernst Tittel, dem führenden Kiirchenmusiker der Gegenwart in Österreich.

Die Freunde der Jazzmesse meinen, sie könnten mit der von ihnen so geliebten Musik zum Gottesdienst auf die Dauer auch eine Jugend, die der Kirche ferne steht, gewinnen. Sie führen seelsorgliche Gründe gegen die Ablehnung der Kirchenmusiker als bloßer Fachleute ins Treffen. Nun, die Kirchenmusiker fühlen sich wohl als Fachleute; aber mit ihrer Ablehnung wollen sie in ihrem Fach echte Seelsorgehelfer sein: die Kirchenmusik muß Ehrfurcht vor dem heiligen Opfer erwecken. Durch schlagerähnliche Lieder kann das nie geschehen. Auf die Dauer wünschen sich auch junge Christen in der Kirche andere Klänge als die ihnen geläufige seichte Unterhaltungsmusik. Um einmal zur Besinnung auf Gott und rjersönliche Werte zu kommen, wollen sie 'gleich-

sam Luft schnappen zwischen der dauernden Berieselung mit jazzigen Rhythmen und Schlagern, die Rundfunk und Fernsehen bis zum Überdruß bieten, und damit den einzelnen in die Masse einordnen. Die Massenmedien des Musiklandes Österreichs bemühen sich, den Vormarsch jazziger Kirchengesänge sooft als möglich zu fördern. Immer ärmlicher wird ohne entsprechende Führung durch jazzübliche Instrumente der Gesang, bis die schale Melodie ohne den falschen Putz der Rhythmisierung überbleibt; — armseliger „moderner“ Volksgesang in Kirchen, besonders am Stadtrand oder im Dorf! Synkopierungen sprechen dem ererbten Wesen der österreichischen Volksmusik und den Betonungsgesetzen der akzentuierenden deutschen Sprache Hohn. Aus dem rhythmischen Song ist wirklich ,.. eine Schnulze geworden. Anders kann man den Gesang dann nicht nennen.

Das Kirchenlied steckt gewiß in einer Krise. Seit vielen Jahren kennt man als Hauptursachen das Fehlen kräftiger Neuschöpfungen und schleppendes Singen, bedingt durch den Mangel an guten Organisten. Mit größerem oder geringerem Erfolg sucht man diesen Übeln zu Leibe zu rücken. Diese Krise des Kirchenliedes verhärten die Anhänger jazzrhythmischer Gesänge. Sie wollen alten Kitsch durch neuen ersetzen; sie wollen ein besseres Mitsingen dadurch erreichen, daß sie dem modischen Geschmack nachgeben.

In der Kirche sollen schlagerähnliche Lieder erklingen! Hingegen enthält kein einziges vom Unterrichtsministerium approbiertes Liederbuch weltliche Gesänge dieser Art. Fassen doch die Musikerzieher ihre Tätigkeit überhaupt als Kampf gegen den Schlager auf, als Kampf gegen Oberflächlichkeit und verkitschtes Gefühl — gern ist ein bißchen Anregung des Sexualtriebes

auch dabei (vergleiche die Wochenschrift „Radio Österreich“, Heft 28, vom 5. Juli 1969, Seite 35, „Im Rausch der Rhythmen, dem vermutlich harmlosesten aller Genußmit-tel“). Der einsichtige Musikerzieher wird den Unterschied zwischen wohlfeiler Konsummusik und improvisiertem echtem Jazz herausstellen; er wird die Schlager seinen Schülern keineswegs verbieten. „Summt diese Liedein nur nach, wenn sie euch so gefallen“ (zum richtigen Singen in der Gemeinschaft sind die Schiagerlieder ja nicht geeignet). Aber dann führt der Musikerzieher Schlager der Vergangenheit vor — sie brauchen nur ein paar Jähre alt sein —, und bringt seine Schüler zum Lachen: der Schlager ist eine Eintagsfliege. Jazzrhythmische Songs mag die Jugend in Heim-stunderi singen! Nach einiger Zeit wird sie neue verlangen. Beim Gottesdienst ist so ein rascher Wechsel wohl unerwünscht. Spirituals sind

gewiß keine Schlager, sondern Volkslieder, die ein längeres Leben haben. Die tiefe Frömmigkeit der Neger im Hören nachzuempfinden, ist reizvoll, Spirituals selbst nachzu-singen gewiß empfehlenswert, aber für uns Angehörige eines völlig anderen Kulturkreises schwer, wenn überhaupt möglich. Spirituals sind so fest mit ihrer Sprache, dem englischen Slang, verbunden wie der gregorianische Choral mit dem Latein! Man höre etwa einmal von einem guten Sänger oder einem guten Chor den Spiritual „Git on boaird, little chillen“ in mitreißendem Tempo und mit dem überaus originellen Text! (Selbstverständlich englisch! Übersetzen ließen sich diese Verse nicht). Dann vergleiche man damit den heutigen, eingeschmuggelten Song „Immerfort will ich singen“ auf die gleiche Melodie! Welches Machwerk in der verbogenen Melodie und Im Text! Wenn man glaubt, Spirituals in der Kirche singen zu müssen, dann bitte in englischer Sprache!

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„Den Bauern gefällt die ,Missa rhythmica' “; — diese Versicherung mag stimmen. Wenn heute die ländliche Bevölkerung, etwa im ober-öslerreichischen Mühlviertel, die ihr vorgesetzten Schlagermessen annimmt, so deckt sich das mit ihrem Ablehnen des heimischen Volksliedes, des Volkstanzes und der erneuerten Tracht. Die Bauernburschen und -madchen wollen — eingestandenermaßen oder nicht — auf keinen Fall als „G'scherte“ gelten. Für den Neger bestand in alter und neuer Zeit kein Unterschied zwischen weltlicher und geistlicher Musik. Wir Europäer haben aber ein ganz anderes Lebensgefühl. Eine von Negern gesungene Rhythmusmesse mag ergreifen. Von uns Menschen der alten deutschen Kultur, die einen Bach und Mozart hervorgebracht hat, erwartet sich die Welt eine andere Kirchenmusik.

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