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Rhythmus in der Kirche

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Heiße Rhythmen in der Kirche? Was man vor 25 Jahren noch heftig diskutierte, nimmt man heute freudig oder gelassen auf: neue Wellen liturgischer Gebrauchsmusik.

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Heiße Rhythmen in der Kirche? Was man vor 25 Jahren noch heftig diskutierte, nimmt man heute freudig oder gelassen auf: neue Wellen liturgischer Gebrauchsmusik.

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Seit sich ein Pere Duval, ein Pe-re Cocognac oder eine Soeur Sou-rire mit der Gitarre vor ein begeistertes Publikum gestellt haben, ist die Kette der „religiösen Liedermacher" nicht mehr abgerissen. Christian Romanek und Manfred Porsch, Preisträger des Lie-

derwettbewerbes zum Papstbesuch, sind, zumindest seit ihrem unlängst veranstalteten Konzert im Konzerthaus, vielversprechende Vertreter dieser Reihe, nicht zuletzt deswegen, weil sie auch vom ORF gefördert werden.

Die Wellen der Emotion schlugen vor allem zu Beginn der Entwicklung des rhythmischen Kirchenliedes besonders hoch — für die heutige Jugend kaum mehr verständlich.

„Kirchenmusik mit Jazz zu verbinden, ist so, wie wenn man Hostien mit Pfefferminzgeschmack austeilen wollte." So urteilte ein jugendlicher Fan traditioneller Kirchenmusik in der Diskussion um die Erneuerungsbewegungen

um 1960, die der musikalischen Gottesdienstgestaltung neue Impulse zuführen wollten.

„Ich bin überzeugt, wenn Christus noch auf Erden lebte, würde er noch vor den Geldwechslern die Jazzmusikanten aus seinem Tempel jagen." Bei Befürwortern wie auch Gegnern gab es grobe Mißverständnisse, vor allem, was diese neue Art von Musik betrifft, die da auf einmal in die Kirche hineingetragen werden sollte.

Die gängige weltliche.Musik zu jener Zeit, 1950 bis 1960, war der Jazz. Tanzbodenmusik, der damals der Flair des Verruchten, der Barmusik in Striptease-Lokalen und des Erotisch-Exotischen noch viel stärker anhaftete als heute. Zur Zeit der Nationalsozialisten als „entartete" Musik teilweise verboten, waren diese heißen Rhythmen auch noch 15 Jahre später weitgehend unbekannt. Der swingende Pfarrer im Chorrock, der mit den Musikern „mitzuckt und zappelt", war auch der Zielpunkt vieler Karikaturen und Angriffe. Daß diese Jazzmusik die heiligen und ehrfürchtigen Riten in der Kirche untermalen sollte, war für viele undenkbar.

Selbst heute, 30 Jahre nach dieser Revolution, ist die Situation der Kirchenmusik noch keineswegs geklärt und von allen Vorurteilen befreit. Peter Planyavsky, Domorganist in Wien-St. Stephan, erklärt: „Meistens werden den Erscheinungen in der geistlichen Musik, die eindeutig aus dem Jazz stammen, vorsichtig grego-ranisch-kirchentonale Ursprünge unterschoben."

Planyavsky hat an der Entwicklung des „Gotteslobes", des verbindlichen Gesangsbuchs der katholischen Kirche im deutschen Sprachraum, mitgewirkt und zitiert daraus als Beispiel das Lied Nr. 271: „Das ist ein köstlich Ding". Die Einflüsse der „Blue-notes" (die kleine Terz und kleine Sept) sind hier deutlich erkennbar. Sie kommen aus dem Jazz, werden in vielen modernen Kompositionen verwendet, in der Kirchenmusik aber schamhaft verleugnet.

Unumstritten hingegen ist die Tatsache, daß sich die Jugendlichen in großem Ausmaß von der rhythmischen Musik angezogen fühlen und die Kirchen bei rhythmischen Messen meist noch genauso voll sind wie vor 30 Jahren, wenn sich auch der Schwerpunkt etwas verlagert hat.

Der eigentliche Beginn dieser Entwicklung war die Übernahme der Spirituals und Gospels, der Musik, die direkt aus den verschiedenen, meist nichtkatholischen Gottesdienstformen der amerikanischen Neger stammt.

Auf die Verdeutschung entsprechender Stücke — etwa: „ja wenn der Herr" = „oh when the saints" — reagierten jugendliche Sänger mit Begeisterung, Jazz-und Gospelfans mit puritanischem Stöhnen, die Plattenindustrie mit dem Auffüllen der eben entdeckten Marktlücke, die, um es vorwegzunehmen, bis heute noch nicht gesättigt ist und immer neue Produktionen findet.

Dazu trägt eine nicht abreißende Serie von Wettbewerben nicht unerheblich bei. Der Bogen spannt sich hier von den Preisausschreiben der Evangelischen Akademie Tutzing über den Wettbewerb „Unda Sevilla" bis

zu den Sacrosong-Bewerben und dem Preisausschreiben anläßlich des Papstbesuches in Wien.

Das „Danke" von Martin Schneider, eines der Preisträgerlieder aus Tutzing um 1960, ist bis weit in katholische Kreise bekanntgeworden. Der ORF nimmt mit gesammelten Beiträgen österreichischer Komponisten am Unda-Sevilla-Bewerb teil. Es konnten dabei bereits einige gute Plätze belegt werden.

Die wiedererstarkte Bewegung der Liedermacher übt ebenfalls einen positiven Einfluß auf die entsprechende Szene der Kirchenmusik aus.

Auch in den Ländern des Ostblocks tut sich einiges auf dem Gebiet des rhythmischen Kirchenliedes. Das Vorbild für den österreichischen Sacrosong-Wettbewerb ist die gleichnamige Veranstaltung in Polen.

Alois Vergeiner vom ORF, Hauptabteüung Religion, berich-

tete nach einem Jugoslawienbesuch begeistert von einem Me-dienstellennetz, das einen umfassenden Vertrieb von Literatur, Schallplatten, Noten oder Kassetten und optimale Werbung zuläßt.

Die neue Modewelle kommt aus Frankreich zu uns, genauer: aus dem französischen Jugendwallfahrtsort Taize. Frater Jacques Bernier komponiert dort kurze liturgische Gebrauchsmusik mit lateinischen Texten, die, oft vierstimmig gesetzt, starken meditativen Charakter hat. Die ein- oder zweizeiligen Verse werden oft minutenlang wiederholt und schaffen mit ihrer choralartigen Satzweise einen Klangteppich, der einer gewissen romantischen Erneuerung der Jugend ziemlich entgegenkommt.

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