#

Ins Neue

DISKURS
S2-06_Jazzfestival2021_Mainstage_KUHNFUVIfeatTobiasDeliusJohnDikeman_©MichaelGeißler - © Foto: Michael Geißler

Jazzfestival Saalfelden: Wohin geht die musikalische Reise?

19451960198020002020

Rock, Pop und Jazz begleiten die jeweilige Zeit. Der politische Aufstand war auch ein ästhetischer, solange der Protest anhielt, kam es zu Innovationen. Gedanken anlässlich des 42. Jazzfestivals Saalfelden.

19451960198020002020

Rock, Pop und Jazz begleiten die jeweilige Zeit. Der politische Aufstand war auch ein ästhetischer, solange der Protest anhielt, kam es zu Innovationen. Gedanken anlässlich des 42. Jazzfestivals Saalfelden.

Werbung
Werbung
Werbung

In den sechziger und siebziger Jahren war der Rock eine innovative Kraft. Er lieferte die Begleitmusik zu einer Zeit im Umbruch. Das „hoffnungsvolle Jahrzehnt“ nannte der Jazzkritiker Siegfried Schmidt-Joos die Sixties. Eine neue Generation, politisch erwacht, hatte sich Vorstellungen von einer dem Menschen eher zuträglichen Welt erdacht und ging in die Revolte. Anlass dafür gab es genug. Die Notwendigkeit des Vietnamkriegs war den Jungen nicht vermittelbar, und warum der Kalte Krieg eine Dauereinrichtung bleiben sollte, konnte von den Älteren nicht einleuchtend erklärt werden. In Deutschland und Österreich wollte man den Eltern der Kriegsgeneration ohnehin keinen Glauben mehr schenken. Ihre moralische Autorität hatten sie verspielt. Davon wusste die Literatur ein Lied zu singen.

Unter dem Zeichen der Musik versammelte sich eine Generation, die sich für ein Zeitalter des Friedens bereitmachte. Eine Illusion, das lässt sich im Nachhinein leicht sagen. Jimi Hendrix verzerrte die amerikanische Hymne zum Kriegsgeheul und verbrannte auf der Bühne seine Gitarre. Black Sabbath griffen mit dem Song „War Pigs“ Politiker an, die einen Krieg anzettelten, sich selbst aber raushielten: Why should they go out to fight? / They leave that role to the poor, yeah. Mit „Child in Time“ mit einem Finale wie ein kriegerischer Zerstörungsakt setzte Deep Purple ein Zeichen gegen den Vietnamkrieg. Joan Baez versammelte als charismatischer Friedensengel die Leute hinter sich. Die Band Chicago spielte den Sprechchor einer Demonstration in einen ihrer Titel ein: The whole worldʼs watching. Das war eine Warnung an die Mächtigen: Die ganze Welt beobachtet euch! Auf einem Album der Edgar Broughton Band von 1971 hängt ein nackter Menschenkörper zwischen Schweinehälften in einem Schlachthaus.

Ikonen des Widerstandes

Politisch war Rock auch deshalb, weil sich die Musiker auf den so lange verfemten schwarzen Blues als Traditionsquelle beriefen. So brachten sie Randexistenzen in die Mitte der Gesellschaft. Howlinʼ Wolf (geboren 1910) oder Muddy Waters (geboren 1913) wurden als Väter anerkannt, die für das Raue und Ungebändigte standen und als Ikonen des künstlerischen Widerstands taugten. Ein Auftritt der Rolling Stones mit Muddy Waters darf als Fanal aufgefasst werden.

Der ästhetische Aufstand erfolgte aus dem Geist der Politik. Solange der Protest in der Musik anhielt, kam es laufend zu Innovationen. Welch fantastische Möglichkeiten gäbe es heute, würde die Greta-Thunberg-Bewegung von einer musikalisch innovativen Offensive begleitet werden. Es gibt keinen Greta-Soundtrack, der die Wucht der Kultur gegen eine Bastion der Sturheit auffahren ließe. Mit dem akustischen Signal vom Ende der Hörigkeit könnte man auch den Putins, Trumps und Orbáns der Welt das Fürchten lehren.

Spätestens in den 1980er Jahren war es um den so großartigen wie anmaßenden Anspruch, die Welt zu retten, vorbei. Bands, die sich soeben noch ans Experimentieren gewagt hatten, verschrieben sich dem Kommerz, wandten sich dem Jazz zu oder verschwanden sang- und klanglos. Was ist bloß aus Chicago geworden, deren Mitglieder so einzigartig zu improvisieren verstanden. Ein Weihnachtsalbum legten sie 2019 vor, das ist vom Protest also geblieben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung