Woran sie zu messen sind

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Der Staat ist zurück, der Krise wegen. Seine neue Bedeutung sollte gerade jetzt in Österreich debattiert werden. Zwischen Nationalfeiertag und Regierungsbildung. Mit neuen Initiativen, in neuen Formen.

Die meisten politischen Fortschritte der jüngsten Zeit verdanken wir nicht der Politik. Politisches Versagen hingegen schon. Das sollte zu denken geben, zumal für die Bildung einer neuen Großen Koalition versprochen wurde, die Fehler der alten nicht zu wiederholen, sondern neu zu regieren, was schwer und schwierig genug sein wird.

Am Nationalfeiertag wird, ergänzend zu den historischen Verdiensten, der jüngeren Pfeiler des demokratischen Fundaments feierlich gedacht. Der Demokratisierung aller Lebensbereiche, der Gleichberechtigung von Frauen, der Berücksichtigung des Umweltschutzes und weiters des Friedens, der uns beschieden ist. Selbst wenn noch nicht alle Ziele erreicht sind, so loben sich die Politiker für eine Sache, zu der sie wenig beigetragen haben. Es waren stets Bürgeranliegen, die Bürgerbewegungen hervorgebracht haben, um schließlich eine Sache ins Parlament zu tragen, damit es Gesetz werde. Die Demokratie-, die Frauen-, die Umwelt- und die Friedensbewegung. Sie wurden samt und sonders zuerst belächelt, dann bekämpft, zu spät ernst genommen.

Auf der Welle der Bürgerbewegung ins Amt

Jene politischen Talente aber, welche die Strömungen erkannten, trug die Welle in Parlamente und Regierungen, zumeist waren es die Linken und die Grünen. Und wer ist jetzt an der Reihe? Worin bestehen die Themen? Wer erkennt sie, wem nutzen sie?

Ängste, so scheint es, sind vorherrschend. Unternehmen kürzen Aufträge, überprüfen projektierte Investitionen. Geld fließt in deklariert ethisch disponierende Fonds und in klassische Sparbücher. Zur ständigen Sorge um die Pension gesellen sich erste Sorgen um Arbeitsplätze. Ein großer Teil der Jugend sieht die Welt nicht als Summe an Chancen und Möglichkeiten, sondern als Hort der Unsicherheit und der Bedrängnis, der Konkurrenz und der Schwierigkeiten, die Existenz zu meistern. Die Daten lassen eine Wirtschaftsflaute erwarten, die psychologische Stimmung lässt auf eine Wirtschaftskrise schließen. Von diesen Dingen weiß man, wem sie politisch nutzen: Den Vereinfachern, den Extremen, den Schwarz-Weiß-Malern, denjenigen, die vorzugsweise in einfachen Freund-Feind-Schemata zu denken pflegen. Kurz: den Populisten.

Diese haben ja bei der Nationalratswahl ganz gut abgeschnitten, teils, weil sie Feindbilder anboten, teils, weil sie schlicht Geld versprachen. Und das ist der Punkt: Die Bürger scheinen zunehmend bereit zu sein, Sicherheit gegen Freiheit einzutauschen. Die Sicherheit scheint das Wichtigste zu sein. Da nimmt man ein Stück Entmündigung hier, ein Stück Bevormundung dort schon in Kauf. Klientelpolitik wird nicht nur gerne betrieben, sonder auch gerne angenommen. Das bevorzugen zu viele, anstatt sich kräftig in die Politik einzumischen und einzufordern, wozu sie aus eigenem Antrieb kaum imstande ist: Neue Themen aufzugreifen, neue Personen in Position zu bringen, neue Formen des öffentlichen Gesprächs einer Gesellschaft über sich selbst herzustellen.

Wozu brauchen wir den Staat?

Was es dafür bräuchte? Zuallererst eine offene und unvoreingenommene Debatte über die Frage: Wofür brauchen wir den Staat, wofür nicht? Wir brauchen ihn jedenfalls nicht dafür, dass er zuerst per Liberalisierung den Informationseliten alle Möglichkeiten der Bereicherung schafft, dann Kontrollversagen eingesteht und anbietet, weniger begüterte Schichten zu alimentieren, allerdings auf Kredit.

Vorschläge, teils Konzepte und Programme, liegen für nahezu jegliches Thema unserer Gesellschaft in irgendeiner Schublade. Bei Institutionen, bei Nicht-Regierungs-Organisationen. Diese Papiere gehören auf den Tisch. Für alles, was die nächste Regierung zu tun hat, gibt es geeignete Persönlichkeiten, wenn auch noch außerhalb der Politik. Und wer die Übung parlamentarischer Enqueten kennt, weiß, das auch neue Formen des Gesprächs schon zur Verfügung stünden. Es fehlt nur an den Politikern, die zuhören.

Ob die nächste Regierung das alles aufzugreifen vermag, ist natürlich offen. Zu messen ist sie daran jedenfalls.

claus.reitan@furche.at

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