„Wie faustische Lemuren“

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Der Ökonom Hans Christoph Binswanger ortet in „Faust II“ ökonomische Elemente, die auch Fehlentwicklungen der modernen Wirtschaft symbolisieren. Für ihn ist das Drama deshalb auch Warnung vor einer zum Scheitern verurteilten Form des Kapitalismus. Binswanger fordert radikale Korrekturen und eine Reform hin zur ökonomischen Mäßigung. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Hans Christoph Binswanger ist 1929 geboren. Er lehrte in seiner aktiven Karriere Ökonomie an der Universität St. Gallen. Mit der Furche sprach er über das Drama „Faust“ und die frappierenden Parallelen zur Wirklichkeit der Marktwirtschaft.

Die Furche: Sie haben Goethes „Faust“ auf seinen ökonomischen Inhalt hin analysiert. Im zweiten Teil des Dramas erkennen Sie die Geldschöpfung als Akt der Magie und Alchemie. Mephisto und Faust erschaffen mit dem Papiergeld eine Illusion, die tief greifende realwirtschaftliche Folgen hat, ein zerstörerisches Wirtschaftssystem, die Unterjochung der Natur und die Zerstörung des guten Menschen. Ein visionäres und sehr aktuelles Porträt unseres Systems. Sieht Faust auch einen Ausweg?

Hans Christoph Binswanger: Das Ende des „Faust“ ist sehr pessimistisch, insofern als die Natur und das Gute, versinnbildlicht durch Philemon und Baucis, zerstört werden und Faust am Ende erblindet – auch in übertragenem Sinn. Das Stück gibt keinen Hinweis auf das, was man ändern könnte.Fausts Rettung findet im Jenseits statt – jenseits des Scheiterns.

Die Furche: Wie steht es da um unser Wirtschaftssystem?

Binswanger: Für die Menschheit gäbe es schon einen Ausweg, aber nicht mit den Absichten, die sie heute in der Wirtschaft realisieren will.

Die Furche: Nahe dem Punkt des Scheiterns scheint das System derzeit ja angelangt zu sein. Ein sehr schmerzhafter Prozess …

Binswanger: Natürlich, ja. Bei Faust ist es nicht schmerzhaft, weil er es in dem Sinne ja nicht einmal erkennt. Er ist ja blind und geht einfach unter.

Die Furche: Aber die Menschheit wird es noch realisieren, bevor sie untergeht ...

Binswanger: (lacht) Ich weiß nicht, vielleicht auch nicht.

Die Furche: Was die zwanzig führenden Industrienationen in Pittsburgh an Änderungsvorschlägen für die Finanzwirtschaft präsentiert haben, reicht Ihnen nicht als Korrektur?

Binswanger: Wir wollen hoffen, dass sich etwas ändert. Der Mensch kann ja das, was er in Gang gesetzt hat, im Prinzip auch wieder ändern. Aber es ist schwierig, weil das Geld eben eine magische Anziehungskraft hat. Faust versucht das ja auch vergeblich, wenn er sagt, „was gäbe ich, könnte ich die Magie von meinem Pfade entfernen“. Aber er kann es nicht. Das ist eine wichtige Aussage.

Die Furche: Welche Magie sollten wir nun also entfernen, um aus dieser Entwicklung auszubrechen. Sie haben das theoretisch in Ihrem Buch „Die Wachstumsspirale“ dargelegt. Jetzt erscheint Ihr neues Buch, „Vorwärts zur Mäßigung“. Was sind Ihre Rezepte?

Binswanger: „Vorwärts zur Mäßigung“ besteht aus Aufsätzen, die neu oder in Neubearbeitung publiziert werden. Das Buch beinhaltet praktische Vorschläge, was getan werden kann, damit man eben zu einer Mäßigung kommt. Dass man nicht neue Risiken schafft, sondern dass man eine höhere Kontinuität und Sicherheit hat; dass man sich besinnt auf das, was möglich ist. Wie gesagt, kein Weg ist unumkehrbar. Gerade in unserem Wirtschaftssystem sollten wir nicht alles als gegeben annehmen. Wenn wir also von der Magie des Geldes sprechen: Wir sollten diese Magie analysieren. Sobald ich das Phänomen rational erklären kann, verliert die Magie ihre Kraft.

Die Furche: Das erinnert mehr an Psychoanalyse als an Ökonomie.

Binswanger: Ja, in gewissem Sinne. Man muss das Problem erkennen, dann erst kann man etwas ändern. Deswegen ist die Analyse gleichzeitig auch die Therapie.

Die Furche: Dieser Erkenntnisprozess wird durch die Krise maßgeblich beschleunigt. Die konkreten Auswege, die Sie präsentieren, sind einerseits auf der Ebene der Geldwirtschaft, andererseits auf jener des Umweltschutzes.

Binswanger: Grundsätzlich bin ich für eine Doppelstrategie. Man sollte die Geldwirtschaft so strukturieren, dass sie mit niedrigeren Wachstumsraten auskommt. Damit meine ich nicht Nullwachstum. Die Unternehmen müssen ja Gewinne machen können, weil sie durch ihre Zukunftsinvestitionen auch ein Risiko eingehen. Aus den Gewinnen kann man einerseits die Zinsen für die Kredite zahlen und andererseits Eigenkapital schaffen. Man kann aber das Risiko verringern, indem man die Geldwirtschaft nicht ausufern lässt und das Risiko mindert. Man kann auch mit niedrigeren Wachstumsraten auskommen. Aber dabei muss man jedenfalls versuchen, den Ressourcen-Verbrauch zu senken beziehungsweise den Ressourcen-Mehrverbrauch. Dazu braucht es zusätzliche Maßnahmen. Ökologische Steuerreform, Kohlendioxid-Begrenzung und die Intensivierung der Umweltschutzmaßnahmen. Bei niedrigen Wachstumsraten kann man das machen, bei dem Wachstum der vergangen Jahre von durchschnittlich über fünf Prozent ist das völlig unmöglich.

Die Furche: Sie fordern eine stärker kontrollierende Funktion der Notenbanken, auch was die Geldschöpfung betrifft. Haben die Notenbanken die Krise nicht auch durch niedrige Zinssätze angeheizt – vor allem jene der USA?

Binswanger: Ja, ganz eindeutig. Alan Greenspan, der ehemalige Chef der US-Notenbank, ist einer der wesentlichen Mitverursacher der Krise. Dieser niedrige Zinssatz von einem Prozent war eine Katastrophe, auch wenn er damit gerechtfertigt wurde, dass es lange keine Inflation gab. Dann hat man bei den Gütern gesehen, dass die Preise doch ansteigen können, die Zinsen sind gestiegen, und das hat die Krise ausgelöst.

Die Furche: Haben die Notenbanken gelernt?

Binswanger: Das kann man noch nicht sagen. Bisher halten sie die Zinsen jedenfalls immer noch niedrig.

Die Furche: Zum zweiten Schwerpunkt Ihrer Strategie, der Ökologie: Die Weltklimakonferenz von Kopenhagen sollte große Fortschritte beim Emissionszertifikatehandel bringen. NGOs sehen das als Möglichkeit der Umverteilung von Reichtum zugunsten der armen Nationen. Sehen Sie das auch so?

Binswanger: Man kann eine Umverteilung nicht nur auf Basis des Zertifikatehandels machen; ich glaube auch nicht, dass das so kommen wird. Man kann einen solchen Ausgleich nicht durch die Hintertür erreichen. Man muss dem Problem schon ins Gesicht sehen. Außerdem: Wenn man, wie derzeit üblich, Zertifikate an Länder verkauft, die gar keine Emmissionsobergrenze haben, heißt das, dass diese Länder nichts reduzieren. Nur wenn alle mitmachen, würde das funktionieren. Aber China und Indien dazu zu bringen, ist schon eine große Aufgabe.

Die Furche: Wie kann man aber nicht konkurrenzfähige Volkswirtschaften, also vor allem die Entwicklungsländer, vor schädlichen Folgen der Globalisierung schützen?

Binswanger: Das ist ein großes Problem. Denn die Hilfe schlägt manchmal ins Gegenteil um. Man liefert zum Beispiel Nahrungsmittel und hebelt dadurch die Nahrungsmittelproduktion im Land selbst aus, dazu sind die Agrargesellschaften meist noch in ausländischem Besitz. Es ist eine völlig falsche Vision, man müsse die Agrarmärkte öffnen.

Die Furche: Der deutsche Ökonom Friedrich List vertrat die Idee, Adam Smiths Entwurf des freien Marktes durch Schutzmaßnahmen für unterentwickelte Märkte zu ergänzen, auch mittels Schutzzöllen.

Binswanger: Das war auch das Konzept von Raul Prebisch mit seiner Dependenztheorie (demnach werden unterentwickelte Nationen von den Industrienationen dauerhaft im Handels- und Wettbewerbsnachteil gehalten, Anm.). Aber Prebisch wurde unterwandert. Vor allem die Amerikaner, später auch die Europäer haben seine Ansichten nicht geschätzt, weil sie ihre Waren verkaufen wollten. Ein Schutzsystem wäre natürlich besser gewesen. In Ghana werden ganze Urwälder vernichtet und das Holz wird exportiert. Das Land hat nichts davon, weil es den Rohstoff nicht verarbeiten kann. Das ist ja das Prinzip der Wirtschaft: Die Wertschöpfung nimmt zu, je weiter der Rohstoff verarbeitet wird.

Die Furche: Zurück zum „Faust“-Drama: Kurz vor seinem Ende treten Wesen – halb Maschine, halb Mensch – auf, die Fausts Grab schaufeln – sie sind so gesehen die letzten Ausgeburten der Faustischen Ökonomie. Eine stimmige Vision vom künftigen Menschen?

Binswanger: Es ist noch nicht so weit, aber Anfänge dazu sind da, sehen Sie sich die Gentechnik an. Ich glaube schon, dass diese Lemuren genannten Wesen eine mögliche Zukunft darstellen. (lacht) Zum Teil bin ich selbst auch schon eine – ich hab auch schon eine Schiene im Arm, bin also auch schon „geflickte Halbnatur“.

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