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Randbemerkungen zur woche

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DER SPITZE ZEICHENSTIFT DES KARIKATURISTEN kann oft politische Situationen mit einigen Strichen besser charakterisieren ah ein spaltenlanger Artikel. Mitunter rutscht er allerdings auch aus, und dann ist sein Mißgeschick stets größer als das der in der Regel doch bedächtigeren Feder, Das haben in diesen Tagen unsere Kollegen vom „Rheinischen Merkur“ wieder erfahren müssen, als sie den österreichischen Staatsbesuch in Moskau aliein ihrem Zeichner anvertrauten. Dieser ließ sich nicht zweimal bitten. Und so können wir in der Nummer vom IS. April Molotow sehen, wie er dem österreichischen Adler seine Federn rupft und dazu brummt: „ ../. und dann laß ich dich vielleicht frei!“ Nun: Die Oesterreicher kamen „ungerupft“ aus Moskau zurück, im Gegenteil. Wir wissen es als Wochenblatt selbst, wie schwer es mitunter zu Redaktionsschluß ist, zu Ereignissen, die noch mitunter in Fluß sind, Stellung zu beziehen. Allein, ist es nicht doch vielleicht auch eine Frage der Optik? Unsere Kollegen in einigen Redaktionen der deutschen katholischen Presse sind — wir haben uns mehrmals davon überzeugen können — durch die Schwere ihrer eigenen Probleme oft in Gedankenbahnen festgefahren, die zu verlassen ihnen nicht leichtfällt. Wir möchten ihnen bei der notwendigen Weichenstellung behilflich sein.

AUF DIE UNGERECHTFERTIGTE HÖHE DES ARBEITERKAMMERBEITRAGES wurde bereits in einer unserer letzten Nummern hingewiesen. Wir ergänzen unsere Argumentationen von einem anderen Gesichtspunkt aus: Die Unternehmer müssen, wie die Arbeiter, für ihre Kammern Beiträge zahlen, die ebenfalls zwangsweise (über die Finanzämter) eingezogen werden. Nun sind aber die Beiträge der Unternehmer nicht prozentuell gleich hoch, sondern gestaffelt nach Einkommenshöhe (Gewerbeertrag) und Betriebsvermögen (Gewerbekapital). Daraus ergibt sich nun, daß die Beitragsleistungen der Unternehmer für ihre Kammer in vielen Fällen niedriger sind als die der Arbeiterkammerbeiträge. Bei einem Gewerbeertrag von 1S.000 S zahlt ein Unternehmer im Jahr 1955 74.SO S an Haudelskammcrbeitrag. Ein Arbeitnehmer muß bei gleichhohem Jahreseinkommen dagegen 90 S zahlen. Bei 1000 S Monatseinkommen muß ein Arbeitnehmer zwar so gut wie keine Lohnsteuer zahlen, wohl aber 60 S im Jahr Beitrag an seine Kammer, während der Unternehmer nur 40 Prozent dieses Betrages an seine Kammer entrichten muß. Dazu kommt noch, daß die Unternehmerkammer ihre Beiträge sukzessive, entsprechend dem abgesunkenen Finanzbedarf, gesenkt hat, und zwar bis zu 63 Prozent gegenüber 2 952. Auf der anderen Seite erhöhte die Arbeiterkammer ihre Beiträge für jene Arbeitnehmer, welche das „großbürgerliche“ Einkommen von mehr als 2 800 S haben. Es steht uns nicht an, diese - gegen jene Interessenvertretung auszuspielen. Die Gegenüberstellung der Beitragsleistung von Unternehmern der unteren Einkommenskategorien und von Lohnempfängern an ihre Kammern vermag es jedoch deutlich zu machen, wie sehr not es tut, daß auch Einrichtungen, die mit „sozial“ firmieren, soziale Forderungen nicht allein an jene stellen, gegen die sie im satzungsgemäßen Kampf stehen müssen. Man ist hier an den Arzt erinnert, der wohl seinen Patienten gute Ratschläge zu geben weiß, sie aber nicht auf sich selbst anzuwenden vermag.. oder an den Moralisten, der da glaubt, daß die Grundsätze der Moral für alle anderen, nur nicht für ihn gelten. *

OHNE PLÄNE - OHNE BÄUME. . ., das scheint allen Einsprüchen zum Trotz das uneingestandene Motto der Vorkämpfer der umstrittenen „W e i n-Straße“ durch die Wachau zu bleiben. Jede Veröffentlichung zur Verteidigung des unglückseligen Projekts bringt neue Erkenntnisse darüber, wie man sich heute noch einen Straßenbau in einer alten Kulturlandschaft vorstellt. Da wird in einem solchen „Entlastungsstoß“ gegen die weitverbreitete Ablehnung durch die Oeffentlichkeit zugegeben, daf[ beim Baubeginn noch keine Pläne darüber vorhanden waren, wie die Straße aussehen sollte. Das Ergebnis sieht man in Emmersdorf und in Weißenkirchen, denn an beiden Stellen wurde in eindringlicher Weise demonstriert, wie Orte und Landschaft ihres Reizes beraubt werden können. Es heißt dann darin, daß man „auf alte Baumbestände Rücksicht nehmen wird, besonders wenn es sich um Naturdenkmäler handelt“. Der Ton dieses Satzes liegt auf dem Wörtchen „alte“: Jüngere Bäume und Obstbäume, auch wenn sie noch so wichtig für die Landschaft sind, werden daher bedenkenlos umgeschnitten, wenn sie der Straße im Weg sind. Und sehr alt müssen sie auch sein, denn eine 300jährige, kerngesunde Pappel, die unter Naturschutz stand, war anscheinend noch zu jung, um erhaltenswert zu sein. So geschehen bekanntlich in Weißenkirchen und — eben erfährt man es — werden in Unter-Loiben vor den Toren Dürn-steins am Donauufer wieder ungefähr hundert Bäume „eingelöst“, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Daß die bestehende Straße auf weite Strecken nur 30 bis 50 Meter von der neuen „Rollbahn“ entfernt verläuft, wird nicht zur Kenntnis genommen, auch nicht, daß die Durchfahrt durch Dürnstein nach den Worten des Ministers öffentlich diskutiert werden soll und daher schon von ihrem Ausgangspunkt an — nämlich Rothenhof — nicht durch einige wenige festgelegt werden darf. Warum spricht man weiter nicht über die Spitzer Durchfahrt? Und steckt im geheimen wie bei Loiben nur die Trasse am Strom ab! Man gibt weiter zu, daß die Fahrbahn wegen ihrer zu geringen Breite nicht für hohe Geschwindigkeiten geeignet ist. Trotzdem will man sie entlang des Ufers in Radien führen, die zum Herausholen der höchsten Geschwindigkeiten verleiten, indem man — welcher Widersinn!— das dem riesigen Strom angepaßte Ufer als Maßstab für die nur sechs Meter breite Fahrbahn verwendet. Das heißt, daß eine Fahrbahn so geringer Breite andere Radien erhalten muß als der 200 Meter breite Strom, soll sie nicht zur größten Gefahr für ihre Benutzer werden. Da man natürlich wegen des Grundbedarfs so nahe wie nur möglich am Ufer verbleibt, müssen alle Bäume fallen, und übrig bleibt Stein und Zement. Das soll dann „gemütlich“ sein! Darum gefällt auf einmal der Name „Rollbahn“ für dieses namenlose Kind eines rein rationalen Geistes nicht mehr, und darum ist auch der Name „Kaipromenade für Autos“ wieder zurückgenommen worden, während im geheimen doch noch weiter daran gearbeitet wird. Auch die letzte offiziös inspirierte Apologie ist also keineswegs geeignet, die schwerwiegenden Bedenken gegen diesen Straßenbau zu zerstreuen, um so mehr,, als sich der Wille zum Schaffen vollendeter Tatsachen immer noch nachweisen läßt. Sie kann im Gegenteil nur die'Forderuug verstärken, endlich mit diesen Plänen, die aus dem „Teamwork des Volkes“ — wie es euphemistisch in der Aussendung heißt — entstanden sind, vor die Oeffentlichkeit zu treten. Die Einladung der niederösterreichischen Landesregierung zu einer öffentlichen „Aussprache“ über das umstrittene Projekt, die soeben einlangt, ist erfreulich, Sie kann jedoch nur ein Anfang sein.

ES WAR SICHERLICH EIN DIPLOMATISCHER TAKTFEHLER, wie der japanische Premier nachträglich selbst zugab, daß Tokio einen offiziellen Besuch des Außenministers Shigemitsu in Washington als unmittelbar bevorstehend ankündigte, ohne ein diesbezügliches Einvernehmen mit dem State Department hergestellt zu haben. Eine andere Frage ist freilich die, ob das State Department nicht besser getan hätte, diesen diplomatischen Fauxpas zu übersehen, statt der Oeffentlichkeit bekanntzugeben, daß Air. Dulles „zu seinem Bedauern durch dringende Geschäfte verhindert sein würde“, den japanischen Minister zu dem von diesem in Aussicht genommenen Zeitpunkt zu empfangen. Japan selbst, und nicht allein seiner Regierung, wurde dadurch ein Prestigeverlust zugefügt, der in den Augen des japanischen Volkes schwerer wiegt als manche der Opfer, die ihm unmittelbar nach seiner nationalen Katastrophe durch den Willen des Siegers auferlegt worden waren. Die Zeit ist eben auch in Japan nicht stehengeblieben-, sie hat manche Wunden geheilt, sie hat aber auch ein neues Selbstbewußtsein und eine neue Entschlußkraft aus den Trümmern sprießen lassen, in die der Traum einer japanischen Weltmachtstellung zerfallen war. Durch lauge Jahre und mit erstaunlicher Geduld leistete die Mehrheit im Lande den Liberalen Gefolgschaft, die unter Führung Shigeru Yoshidas eine Politik der bedingungslosen Zusammenarbeit mit dem Westen betrieben, und es bedurfte vieler bitterer Enttäuschungen über das geringe Maß westlicher Zugeständnisse, die diese Politik gezeitigt hatte, ehe eine andere Strömung sich durchsetzen konnte. Aus den Wahlen im Februar sind als weitaus stärkste Partei die Anhänger Mamoru Shigemitsus und Ichiro Hatoyamas hervorgegangen, die beide dem Kriegskabinett To/o angehört hatten und ihre fetzt erwiesene Popularität der Entschlossenheit verdanken, mit. der sie schon vor ihrer Machtübernahme einen betont nationalen Kurs vertraten. Noch liegt kein 'Grund vor zur Annahme, daß die Regierung Hatoyama weniger entschieden in der Ablehnung des Kommunismus sein könnte ah ihre Vorgängerin oder weniger bereit, in enger Kooperation mit den Westmächten ihrfn Beitrag zur Verteidigung von Frieden und Freiheit zu leisten. Sie wird aber, ob das in das westliche Konzept paßt oder nicht, jede Möglichkeit ausschöpfen, einschließlich vor allem der Möglichkeit einer handelspolitischen Verständigung mit Staaten des kommunistischen Blocks, um den gänzlich ungenügenden japanischen Export auf den Umfang zu bringen, der unerläßlich ist, um die 85 Millionen Menschen, die auf dem engen Raum des Inselreichs zusammengedrängt sind, mit den barsten Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Darin liegt freilich die Gefahr einer schließlichen Entfremdung zwischen Japan und den Mächten des Westens; aber dieser Gefahr kann nicht durch Rügen an die japanische Adresse begegnet werden und roch weniger durch amerikanische und britische Abwehrmaßnahmen gegen die angeblich unlautere Konkurrenz der japanischen Industrie, sondern nur dadurch, daß der Westen dem japanischen Volk eine wirklich großzügige Hilfe zur Lösung seines vitalsten Problems gewährt.

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