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Vielfalt aus privater Hand

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Der Gemeindebau gehört der Vergangenheit an. Erschwinglicher Wohnraum wird heute von Genossenschaften und Banken errichtet.

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Der Gemeindebau gehört der Vergangenheit an. Erschwinglicher Wohnraum wird heute von Genossenschaften und Banken errichtet.

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Erfolg kann man planen.” Dieses stolze Zitat hängt an der Wand in Peter Macharts Büro. Der Autor des Buches „Wohnbau in Wien” ist Architekt. Sein Interesse gehörte immer dem sozialen Wohnbau. Frisch von der Uni, setzte er an der zuständigen Magistratsabteilung alle Hebel in Bewegung, um das N i veau des Gebauten zu heben. Anfang der Neunziger herrschte Hochkonjunktur. Unter Stadtrat Hannes Swo-boda kam frischer Wind in den Gemeindeapparat. Der Begriff „Neue Gründerzeit” machte die Runde.

Inzwischen ist Lethargie eingekehrt. Seit nicht ganz einem Monat sitzt die Magistratsabteilung 24 im neuen Gebäude in der Muthgasse. Weit weg vom Rathaus und beinahe fort aus dem Wohngeschehen. Machart versteht die Welt nicht mehr. „Wir können vorerst keine Grundankäufe mehr tätigen.” Einer der größten Grundeigentümer der Welt leidet am Sparpaket. Mit den Dumpingquadratmeterpreisen einiger privater Bauträger kann die Gemeinde nicht mehr gleichziehen. Beim Wettbewerb „In der Wiesen” brachten es die Architekten Delugan/Meissl im Auftrag der MA24 auf den zweiten Platz: „Aufträge erhalten wir jedoch nicht.” Machart kann sich nicht durchsetzen gegen politische Spielregeln, die nicht mehr die seinen sind. „Eine historische Idee geht baden”, befindet er resigniert.

Bauen ist zum industriellen Vorgang geworden; die Entstehungsgeschichte eines Hauses zum genau koordinierten Ablauf komplexer Vorgänge. Von der Loftwohnung bis zur autofreien Bei-henhaussiedlung bietet der Markt beinahe alles. Der klassische Gemeindebau für sozial Schwache ist fast ausgestorben. Günstige Bedingungen für die niedrigen Einkommensklassen gibt es defacto nur noch dort, wo alles begonnen hat: in den berühmten Bauten der Zwischenkriegszeit.

In den Zinshauskasernen jener Zeit teilten sich mehrere Menschen stundenweise eine Schlafstatt, die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Erst die Einführung der kommunalen Wohnbausteuer machte 1923 diesen Zuständen ein Ende. Aus ihren Mitteln entstanden die großen Gemeindebauten, die berühmten „Volkswohnpaläste”. Sie waren mehr als nur Wohnung. Sie bildeten Identität. Dimension und Gliederung erinnern an Schlösser. Der Karl Marx Hof mit seiner riesenhaften Ausdehnung einem Kilometer Länge besitzt einen großen Ehrenhof als Erholungsraum. Den Schloßpark für die Arbeiterklasse sozusagen. Die Skulpturen an der Fassade ähneln Jesus und Maria, es handelt sich aber um eine Darstellung das geknechteten Proletariats. 1.382 Wohnungen verbergen sich hinter dem monumentalen Gesamtkunstwerk, als Stadt in der Stadt bildet es einen Idealentwurf sozialistischen Lebens. Gemeinschaftsküche, Bad, Bibliothek, Sportverein: vom Essen über Bildung bis hin zur Bewegung versorgte die Gemeinde ihre Bewohner. Solidarität sollte entstehen. Als Heimwehr und Schutzbund gegeneinanderprallten, erfüllte die Architektur ihren Zweck: das Tor der Anlage ist verschließbar.

Die Zeiten der solidarischen Arbeiterschaft sind vorbei. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte vor allem Wohnungsnot. Dann folgte Technikgläubigkeit. Großsiedlungen wie das Wiener Schöpfwerk oder Alt Erlaa charakterisieren eine Zeit, in der vor allem die Fertigteilbauelemente des Wirtschaftswunderlandes Österreich verwendet wurden. Ohne Vormerkschein, Wohnbedarf und gute Beziehung sah es mit dem Einzug im billigen Gemeindebau traurig aus. Man nahm, was man bekam.

Der Wohnbedarf in den Achtzigern war gering. Unter dem Motto „sanfte Stadterneuerung” sanierte man Altbestand und füllte Baulücken. Mit dem Zuzug aus dem Osten brach die „Neue Gründerzeit” an. Wien wuchs an die Stadtränder. 10.000 neue Wohnungen im Jahr schufen Stadtteile, die alteingesessenen Wienern fremd sind.

Unter hohen Erschließungskosten schwindet billiger Wohnraum. Wohnen heute ist kein Grundnahrungsmittel mefrr, die Gemeinde bei weitem nicht die einzige, die erschwinglichen Wohnraum schafft. Banken, Genossenschaften und andere Bauträger raufen um Kunden auf einem immer offeneren Markt.

Die Palette des Gebauten reicht von fantasielosen Lochfassaden bis hin zum Reihen- und Einfamilienhaus. Bunt angestrichene Häuser von Adolf Krischanitz, die gestrandete Zigeunerwägen assoziieren, werden autofrei zum Kinderparadies; Carl Pruschas viergeschoßige Würfel aus rohem Ziegel, zur Parabel der Gesellschaft: nach außen fensterlos abweisend, innen wider Erwarten freundlich hell. Licht fällt ausschließlich durch eine Oberlichte im Dach. My home is my Castle. Die Umgebung im 23. Bezirk empfand Pruscha als so trist, daß er dem Mieter keinen Ausblick zumuten wollte.

Wohnen bildet keine Ideologie mehr ab. Es will Menschen nicht belehren, nicht verbessern. Wohnraum wird gebraucht, man stellt ihn dorthin, wo Platz ist. Auf die sozialen Einrichtungen, die der Karl Marx Hof noch bot, verzichtet man mehr und mehr. Mittlerweile regiert der Rechenstift. Wohnbaugenossenschaften kalkulieren genau. Gespart wird an Freiraum und Sozialem. Geld regiert die Welt - und den Wohnbau.

Bauen auf der grünen Wiese mit den Kosten für Kanal, Erschließung und öffentlichen Verkehr hat ausgedient. „Die Stadterweiterung ist abgestellt”, bestätigt Herta Horvath von der Magistratsabteilung, die für sozialen Wohnbau zuständig ist. „Back to town”, heißt das Motto. Viel neue Wohnfläche wird in bestehendes städtisches Gebiet gestopft. Teilweise erreicht man die Bebauungsdichte der Gründerzeit. „Wir müssen größere Bauvorhaben in der Stadt durchführen, aber dann braucht man eine Schule für die vielen Leute, dafür reicht das Geld nicht!” Horvath denkt noch sozial vernetzt: ohne Bildung kein Bauprojekt.

Die selige „Neue Wiener Gründerzeit” vorbei, „Erfolg kann man planen” ein Zitat aus vergangenen Zeiten. 7.000 Wohnungen werden derzeit jährlich errichtet. Die Gemeinde ist froh, wenn sie im nächsten Jahr einige davon bauen und an den Mann bringen kann. „Am Leberberg haben wir schon Probleme, unsere Wohnungen anzukriegen. Aber die sind hausgemacht”, gibt Machart zu. Marketing und rasches Reagieren beherrschen private Bauträger besser als der Gemeindeapparat.

Die Zeiten des sozialen Wohnbaus sind scheinbar vorbei: Machart: „Früher hat man sich um eine Wohnung angestellt, jetzt muß man sie bewerben.”

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