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Ephesos — Brücke zum Islam

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Durch den Tod Professor Dr. Franz Miltners hat die österreichische Ephesos-Forschung einen schweren Verlust erlitten. Auch in türkischen Kreisen bedauert man das Ausscheiden Professor Miltners, ln Zusammenarbeit zwischen österreichischen und türkischen Stellen ist in Selcuk, dem heutigen türkischen Efes, ein Museum im Entstehen, das die wertvollsten Ausgrabungen unter Dach bringen soll. Der Direktor des Museums gibt sich alle Mühe, es zu einer würdigen Schau antiken Lebens zu machen. Er persönlich sowohl wie Ankara wünschen, daß Oesterreich das Grabungs- und Forschungsprogramm fortsetzen möge. Die türkischen Behörden sind bereit, Oesterreich dabei jede Unterstützung angedeihen zu lassen.

Die junge Türkei ist daran, ihre eigene Vergangenheit zu erforschen und der studierenden lugend zugänglich zu machen. Dies auch aus dem Grunde, weil sich die moderne Türkei aus einem zunehmenden Fremdenverkehr auch Kontakte mit Europa und finanzielle Vorteile erwartet. Dieser erwachende und meist sehr vernünftig gehandhabte Nationalismus der jungen Türkei bietet Chancen, die wir nützen sollten.

Ephesos ist aber nicht nur die modernste Grabungsstätte Anatoliens, es ist auch der einzige fruchtbare Berührungspunkt zwischen Mohammedanern und Christen, den es zur Zeit in der Türkei gibt. An diese Tatsache knüpfen , sich auch die Verpflichtungen der abendländischen Katholiken, diesen Brückenkopf der Verständigung weiter auszubauen.

Ephesos ist die Stadt des heiligen Johannes des Evangelisten. Sie hieß deshalb bei den Byzantinern Theologos, nach Johannes dem Theologen benannt. Seine Basilika und sein Grab wurden vom Oesterreichischen Archäologischen Institut am Ajasoluk, dem Johanneshügel, aufgefunden und ausgegraben. Per ungefähr 54 n. Chr dorthin nachdem ihm das Apostelkonzil 51 n. Chr. Ephesos als Missionsgebiet zugewiesen hatte. Johannes war zwar schon dort, beschränkte aber seine Tätigkeit auf die dort ansässige Judenchristengemeinde, die sich aus emigrierten Christen aus Judäa zusammensetzte. Ihr gehörte zuletzt auch die Gottesmutter an. Sie lebte zwar in Zurückgezogenheit, bildete aber gerade so die Seele der ephesischen Christengemeinde, in der sie mit einzelnen jüdischen Frauen bekannt war, die für sie auch sorgten. Mit Rücksicht auf sie hielt sich Johannes sehr zurück, weil er in öffentlichen Diskussionen Maria nicht hätte verschweigen können, es aber, auch nicht hätte riskieren können, daß Maria als Gottesmutter in der Auffassung diskussionsbegieriger oder fanatischer Epheser plötzlich eine Konkurrentin der Göttermutter Artemis geworden wäre. Daß der Boden gerade in dieser Hinsicht ein heißer war, erfahren wir aus dem Auftreten des Paulus.

Nur Paulus war es zuzutrauen, den Boden der Stadt Ephesos zu betreten. Als römischer Bürger besaß er hiezu auch den nötigen Rückhalt. Er predigte beziehungsweise diskutierte freimütig und offen und zog sich so das Odium der Bürgerschaft zu. Der in hohem Ansehen stehende Demetrius, in Sorge nicht nur um seine Geschäfte, sondern vor allem um das Prestige seiner Stadt, rief die Bevölkerung zusammen und forderte so die Behörde zu einer Stellungnahme heraus. Paulus mußte weichen, hinterließ aber bereits guten Samen. Thimoteus, sein Nachfolger, führte die junge Gemeinde durch schwere Jahre. Er selber erlitt bei einer Prozession zu Ehren der Artemis der Epheser den Märtyrertod. Intrigen der Priesterschaft und Geschäftsgeist waren ständig die Gefahr der ersten Christen in dieser Stadt. Es ist also verständlich, daß sich aus diesem Grunde, teils aus Vorsicht vor Pogromen, teils aus Vorsicht vor mißverständlicher Vergottung, Maria im Verborgenen hielt und auch ihr dortiges Grab nur wenigen bekannt bli,eb und dann in Vergessenheit geriet.

Die Bilder, die Johannes in der Geheimen Offenbarung zeichnet, wo das Weib der Schlange den Kopf zertritt, wo die Schlange dem Weibe nachstellt, es in die Wüste (=Einsamkeit) flieht, sind nicht einfach aus der visionären Phantasie genommen, sondern es sind die Bilder des tatsächlichen sozialen, kulturellen und geistigen Milieus der Stadt Ephesos. Johannes schrieb auf Pathmos. Vor ihm liegt die Begegnung mit der Atmosphäre der Hauptstadt der Provinz Asia-

Die Antithese Maria und Artemis, Christentum und Artemiskult, Mutter und Schlange; hier kam es zur letzten und entscheidenden Begegnung zwischen Eva und Maria, zwischen der Mutter der Menschheit und der Mutter der Christenheit.

Der Kult der Artemis wurzelte so tief im Geiste und im Fleische der Bewohner der Weltstadt Ephesos, daß sie eines plötzlich aufgetauchten Wanderpredigers und Gelegenheitsarbeiters Paulus wegen, der eine überragende Intelligenz bewies, in Sorge gerieten und sich hinreißen ließen, stundenlang sich im Rufe auszutoben: „Groß ist die Artemis der Epheser! Groß ist die Artemis der Epheser!"

ln diesem sozialen und kulturellen Milieu findet die Begegnung der Gottesmutter mit der Göttermutter statt. Was Johannes in der Geheimen Offenbarung voraussieht, vollzog sich 431 n. Chr. in der Konzilskirche: Das Dogma der Gottesmutterschaft wurde verkündet. Maria hatte über Artemis gesiegt Die Stadt der großen Artemis der Epheser war zur Stadt der Theo- tokeia geworden. Christi Auftrag und Sendung erfüllte sich in Jerusalem, der Auftrag und die Sendung Seiner Mutter erfüllte sich in Ephesos.

Dies waren die fundamentalen Entscheidungen im frühchristlichen Ephesos. Die Schicksale des spätbyzantinischen Ephesos des Hochmittelalters haben für das gesamte Abendland nicht geringere Bedeutung. Sie stehen im Zeichen des Vormarsches der Seldschuken und Osmanen.

Dann legten sich Jahrhunderte des Schweigens über die alte ehemalige Metropole. Vereinzelte Reisende aus dem Westen berichteten im 17. und 18. Jahrhundert von eindrucksvollen Ruinenfeldern. Die Johannesbasilika, nach der Hagia Sophia die eindrucksvollste Basilika im byzantinischen Reiche, war kurz nach der Eroberung in eine Handelshalle und später in eine Moschee umgewandelt worden. Erst im 19. Jahrhundert beginnt das Wiedererwachen der alten Metropole. Die Engländer J. T. W o o d und D. G. H o- g a r t h finden das Artemision und graben es aus. In der Folge ziehen sich die Engländer zurück und an ihre Stelle treten die Oesterreicher. O. Benndorfs Arbeiten schufen die Voraussetzungen für die späteren Grabungen. Zu ihrem Zweck wurde mehr oder minder das österreichische Archäologische Institut gegründet. Von 1926 bis 1935 leitete Professor Dr. Josef Keil die weiteren Ausgrabungen. Ihm ist es zu danket daß wesentliche Teile des christlichen Ephesos ausgegraben wurden. So endgültig bis zur heutigen Form die Johannesbasilika und die Katakomben der Stadt, die Siebenschläfergrotten. Professor Miltner machte aus Ephesos die modernste Ausgrabungsstätte in Anatolien und legte ganze Straßenzüge frei. Er ist der große Ausgräber des artemisi- schen Ephesos, der griechisch-römischen Antike.

Gleichzeitig mit dem Erwachen des antiken Ephesos der großen Artemis begann auch das Wiedererwachen des Ephesos der Theotokeia, der Gottesgebärerin. 1891 suchten die Lazaristen von Smyrna, unter ihnen die gelehrten Patres J o u n g und P o u 1 i n, an Hand der von Clemens Brentano aufgezeichneten visionären Angaben der Katharina Emmerich in der Umgebung von Ephesos nach dem letzten Wohn- und Sterbehaus der Gottesmutter. Sie fanden ein kleines byzantinisches Kirchlein, das den Angaben der Seherin entsprach, und gruben. Unter den Fundamenten fanden sie die Spuren eines Wohnhauses aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert. So ist man heute der Auffassung, daß es sich bei diesem Wohnhaus, dem späteren Kirchlein, um das letzte Wohn- und Sterbehaus der Muttergottes handelt. Die Päpste von leo XIII. bis Pius XII. teilten diese Auffassun- gen.%

Vor allem nach dem zweiten Weltkrieg erwachte das marianische Ephesos zu neuem Aufstieg. Dies ist in erster Linie dem Verdienst des Schweizer Kanonikus Dr. Karl Gschw’ind aus Basel zuzuschreiben. Er kann mit Recht als der eigentliche Pionier von Panaya Kapulu nach dem zweiten Weltkrieg angesprochen werden. Auf seine Initiative hin fanden Wallfahrten der in der Türkei ansässigen Katholiken statt. Er interessierte die. Presse der Türkei und des Auslandes, es kamen Vertreter der Regierung nach Panaya Kapulu, und die türkische Regierung entschloß sich 1951, eine moderne Autostraße die Berge hinauf zum Marienheiligtum zu bauen.

Jährlich kommen etwa 30.000 Besucher und Wallfahrer zum Heiligtum nach Ephesos. In diesem Jahre stattete auch eine größere Gruppe österreichischer Priester unter der Leitung von Erzbischof Dr. J a c h y m und Weihbischof Dr. S t r e i d t dem Wallfahrtsort einen Besuch ab. In der Konzilskirche und am Johannesgrab darf sogar, als den beiden einzigen Plätzen in der gesamten Türkei, mit Bewilligung der Regierung in Ankara die heilige Messe außerhalb des Kirchenraumes gelesen werden. Es kommen Gläubige aus allen Ländern Europas, aus dem Orient, aus Uebersee, Amerika, ja selbst aus Neuseeland, und es kommen ebenso die gläubigen Mohammedaner von weither, aus Ikonium, dem heutigen Konja, aus Istanbul, von Smyrna, aus dem Inneren Anatoliens, oft weit von den ferneren Küsten des Schwarzen Meeres. Und es ist nicht selten der Fall, daß sich im kleinen Kirchlein betende Christen und betende Mohammedaner friedlich nebeneinander zur selben Mutter Maria wenden.

Diese „Brücke“ auszubauen, ist daher eine Aufgabe nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Gläubigen. Kanonikus Dr. Gschwind rief in der Schweiz die „Stiftung für Ephesos“ ins Leben. Dazu hat sich nunmehr auch in Amerika die „American Ephesos Society“ gebildet, die gemeinsam mit der Schweizer Gruppe arbeitet. Es wäre eine dankbare Aufgabe, wenn es auch in Oestefreich zur Gründung einer ähnlichen Gruppe von Interessenten aus dem Klerus, aus der Laienwelt und Wissenschaft käme.

Dieser Gedanke wäre um so lohnenswerter, als zu bisher bekannten Fragen um Panaya Kapulu nunmehr auch ein Fragengebiet getreten ist, das in Zukunft einer gründlichen Erforschung wert ist und ihrer auch bedarf. Dem Verfasser ist es gelungen, im Raume von Panaya Kapulu, im Hochtal des Kara-Tschalli - Bülbül-Dag - Ala- Dag - Massivs, ein umfangreiches Siedlungsgebiet festzustellen, das in seinen Ausmaßen bisher nicht bekannt war und bei dem es sich wahrscheinlich um eine spätbyzantinische Anlage handelt. Das Siedlungsgebiet mißt eine Ost- West-Erstreckung von etwa vier Kilometer, ist an einzelnen Stellen befestigt und zeigt eine geschlossene Siedlung an. Es ist zum Meer hin ausgerichtet und steht mit einer alten Hafenbucht in Verbindung. Im Zentrum liegt das Marienkirchlein Panaya Kapulu, die letzte Wohn- und Sterbestätte Marias. Der Name Panaya Kapulu ist griechisch-seldschukisch und verbirgt in seiner Bedeutung als „Pforte der Allheiligen", .,Allerheiligste Pforte (des Himmels)“ möglicherweise die dortselbst bei den Christen lange Zeit erhaltene Tradition von der Assumptio Marias in Ephesos.

Indizien des Geländes, der Siedlungsspuren und die Angaben von Quellenaussagen weisen darauf hin, daß es sich möglicherweise um das spätbyzantinische Ephesos des Hochmittelalters handeln kann.

Irgendwo im Bereiche des Siedlungsgebietes liegt auch das Grab Marias. Es besteht die Möglichkeit, daß den Bewohnern des nunmehr entdeckten Siedlungsraumes um die Marienkirche, das ursprüngliche Wohnhaus, Näheres aus den früheren Traditionen bekannt war. Forschungen in den Archiven und Instituten Europas und des alten Byzanz könnten so auch Licht in eine alte Frage bringen, die ebenso noch der endgültigen Antwort harrt. Wo ist Maria gestorben: in Jerusalem oder Ephesos?

Behält der Verfasser recht in der Auffassung seiner Entdeckung, daß es sich um das spätbyzantinische Ephesos handelt, das eine starke Festung gegen die Seldschuken und Stützpunkt der Kreuzfahrerheere war, so liegt demnach nunmehr auch das letzte Kapitel der Stadtgeschichte vor, und die österreichische Forschungsstätte in Anatolien ist um ein umfangreiches, aber dankbares Aufgabengebiet reicher geworden.

Möge dieses neue Forschungsgebiet Interessenten und Förderer finden, auf daß die letzten Antworten nicht allzulange auf sich warten lassen müssen.

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