Mehr durch Klugheit als durch Gewalt

19451960198020002020

"Römer zwischen Alpen und Nordmeer": Die bayrische Landesausstellung in Rosenheim rückt die prägende Kraft der römischen Kultur in den Brennpunkt.

19451960198020002020

"Römer zwischen Alpen und Nordmeer": Die bayrische Landesausstellung in Rosenheim rückt die prägende Kraft der römischen Kultur in den Brennpunkt.

Werbung
Werbung
Werbung

Dem "wunderbaren Abstraktionsvermögen" der Römer sei es zuzuschreiben, schrieb Ende des 19. Jahrhunderts der baltische Kulturhistoriker Victor Hehn, dass es ihnen gelang, lokale, provinziale und nationale Besonderheiten in ihrem Weltreich zu bündeln; und Hehn nannte vorrangig die lateinische Sprache und das römische Recht als wertvolles kulturelles Erbe. Erneut rückt die prägende Kraft der römischen Kultur in den Brennpunkt historischer und archäologischer Forschung.

Unter diesem Aspekt hat die Archäologische Staatssammlung München im Auftrag des Freistaates Bayern die großangelegte Landesausstellung "Römer zwischen Alpen und Nordmeer - Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht" in Rosenheim erarbeitet, die sich als erste überregionale Gesamtdarstellung der römischen Archäologie im wiedervereinten Deutschland versteht. Den Verantwortlichen ist es hervorragend gelungen, die schwierige Präsentation archäologischer Exponate und deren Deutung in einem klar gegliederten Konzept auch für ein breites Publikum anschaulich darzustellen.

Sieht man von der oft nur mühsam lesbaren Objektbeschriftung ab, so besticht diese Ausstellung durch eine äußerst lebendige Mischung aus rund 250 Exponaten und den zahlreich integrierten Modellen - unter anderem eines Landgutes (villa rustica) sowie einer römischen Kelteranlage - und Rekonstruktionen - etwa des Prunkportales von Ladenburg oder der Figurine eines germanischen Foederaten in spätrömischen Diensten - bis hin zum schulterbaren Marschgepäck eines römischen Legionärs. Dass klassische Archäologie sich in der Erforschung längst moderner Methoden wie der Luftbildarchäologie oder Magnetometerprospektion bedient, veranschaulicht die Darstellung des frührömischen, auf rechtsrheinischem Territorium gelegenen Legionslagers Marktbreit, für dessen virtuelle Begehung, auch im Internet, eine 3D-Simulation entwickelt wurde.

Der raetische Keil Den Auftakt der Präsentation im geschickt genutzten Halbrund des ehemaligen Lokomotivschuppens bildet die nachgestellte Inszenierung römischer Legionäre in Anlehnung an den legendären Sommerfeldzug des Jahres 15 v. Chr., als die Adoptivsöhne des Augustus, Tiberius und Drusus, von Westen und Süden aus in das Alpenvorland eindrangen. Die Okkupation endete mit "Beseitigung des raetischen Keiles" zwischen Gallien im Westen und dem verbündeten Königreich Noricum im Osten und diente der Grenzsicherung, war aber nicht der taktische Beginn einer großangelegten Germanien-Offensive, wie man früher annahm.

Die Ausstellung zeigt unter den ältesten römischen Funden aus Bayern vom Opferplatz am Döttenbichl/Oberammergau eine Katapultpfeilspitze der 19. Legion, welche in der vernichtenden Niederlage des Varus im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. - vor wenigen Jahren in Kalkriese bei Osnabrück lokalisiert - aufgerieben wurde. Von dort stammt die Maske eines römischen Gesichtshelms, der an die hohe Tradition römischer Porträtkunst anknüpft. Das beachtliche militärische Aufgebot der Varus-Legionen ist in einem riesigen, 20.000 kleine Figuren umfassenden Modell eindrucksvoll nachempfunden.

In übergeordneten Themenschwerpunkten zeichnet die Ausstellung die chronologisch-geographische Entwicklung nach, von der Frühzeit mit Grenzsicherung und Anlage von Siedlungen, ersten Zentren wie Kempten und später Augsburg (dem Ort mit dem wahrscheinlich umfangreichsten Metallfund im römischen Weltreich), mit dem Ausbau von Limes und militärischen Einrichtungen bis hin zur nötigen Infrastruktur von Verkehrswegen und wirtschaftlicher Versorgung.

Begehrte Importware Kulturhistorisch besonders interessant sind die Zeugnisse der römisch-germanischen Beziehungen. Als Freunde der Römer erwarben die Germanen im regen Handelsaustausch begehrte Importartikel wie etwa römische Bronze. Als Reichsfeinde seit dem späten 2. Jahrhundertn. Chr. nützen sie verstärkt die instabile politische Situation in Rom für ausgedehnte Plünderungszüge, drangen tief in römisches Reichsgebiet vor. Mit Beispielen römischer Versteckfunde und germanischer Plünderungsdepots gibt die Ausstellung ein lebendiges Bild dieser Zeit. Um germanische Foederaten als Verbündete zu gewinnen beziehungsweise zu halten, belohnte Rom "die Treue und Ergebenheit des Heeres" oftmals mit kostbaren Geschenken wie Münzen, Medaillons, Prunkgeschirr oder Schmuck. Die zum Teil in weit entfernten Gebieten rekrutierten germanischen Söldner nahmen nach 25-jährigem Militärdienst Objekte römischer Kultur mit in ihre Heimat.

Die römische Besatzungspolitik setzte auf Integration der Angehörigen unterworfener Völker. Herausragende Objekte spiegeln den hohen und für Angehörige anderer Völker attraktiven Standard römischer Kunst und Kultur von den Gegenständen des täglichen Bedarfs wie der in Massen hergestellten Terra Sigillata und kunsthandwerklich hochstehendem Glas bis hin zu Bronzen, modischem Schmuck, Münzen oder Sibergefäßen. Reiche Grabfunde auf germanischem Territorium belegen die oft weiten Wege römischer Importobjekte.

Da in Germanien "mehr durch Klugheit als durch Gewalt" zu erreichen sei, hatte Kaiser Tiberius (14 bis 37 n. Chr.) aus eigener Erfahrung auf weitere Germanenkriege verzichtet, eine weise Entscheidung von erheblicher Tragweite für eine lange Romanisierungsperiode jenseits der Alpen.

Bis 5. November Information: 0049/8031/3659036 www.roemer-ausstellung.de

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung