Schwache Kirche, rechte Kulturchristen

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Eine "Wiederkehr der Religion" postulierten die Werte-Studien rund um die Jahrtausendwende. Doch das dieser Tage veröffentlichte "Lesebuch", das auf den Daten der österreichischen Werte-Studie 2008 basiert, zeichnet ein neues Bild. Einige - nicht zuletzt politische - Aspekte der Bestandsaufnahme zur Religion im Land.

Kehrt die Religion doch nicht wieder? Eine der griffigen, gern aufgegriffenen Klarheiten sozioreligiöser Befunde fürs Europa des 21. Jahrhunderts scheint ins Wanken zu geraten. Das legt zumindest der Österreichteil der Europäischen Wertestudie nahe, die soeben erschienen ist: Der Band "Die Österreicher innen" enthält eine ganze Reihe brisanter Daten, die auch manche Gewissheit der letzten Jahre relativiert: "Die Wiederkehr der Religion hat sich nicht fortgesetzt, die diesbezüglichen Indikatoren sind seit 1999 wieder auf das Niveau von 1990 und teilweise auch darunter gefallen." So lapidar fasst die Studie die neue Bewertung der "Religionslage" Europas zusammen.

Die Wiener Praktische Theologin Regina Polak, die gemeinsam mit dem emeritierten Pastoraltheologen Paul M. Zulehner (vgl. auch Seite 9 dieser FURCHE) für den Religionsteil der Wertestudie verantwortlich ist, weist aber im Gespräch darauf hin, dass der Begriff der "Wiederkehr der Religion" problematisch sei. Denn das, was heute festzustellen sei, sei eine verstärkte Aufmerksamkeit für Religion bei einem gleichzeitigen "Gestaltwandel von Religiosität".

Weite Verbreitung der "Säkularen"

"Zugleich findet eine Pluralisierung statt" - so die Studie, und ortet dabei zwei Pole: Einerseits verdichte sich das christliche Segment der Gesellschaft, das aber in den letzten 20 Jahren von einem Viertel auf ein Sechstel der Bevölkerung geschrumpft ist. Im gleichen Zeitraum ist eine weitere Verbreitung der "Säkularen" festzustellen. Unter diesem sozioreligiösen Typ subsumiert die Studie wenig bis nicht Religiöse, deren Weltbild kaum durch einen Gottesglauben geprägt ist. Diese Gruppe ist in den letzten Jahren von gut einem Drittel auf bald die Hälfte der Bevölkerung gestiegen.

Stark hat sich auch der Typus der "Rituellen" vermindert, das sind jene Menschen, die die Verbindung zu religiösen Institutionen vor allem über Rituale, nicht zuletzt an den Lebenswenden (Geburt, Hochzeit, Tod) suchen. Diese Gruppe, ist von 25 Prozent vor 20 Jahren heute auf knapp ein Fünftel der Bevölkerung gesunken. Als vierten Typus definiert die Studie die "Gottgläubigen", die zwar Glaubensaussagen grundsätzlich bejahen, aber in großer Distanz zu kirchlichen Gemeinschaften stehen. Diese Gruppe hat in den letzten Jahren sogar zugenommen - von 14 auf 19 Prozent.

Kurz gesagt, ermittelt die Studie aus diesen Daten, dass das "ererbte christlich-kirchliche Feld" schrumpft, während ein "atheisierendes Feld mit einem hohen Anteil unbekümmerter Alltagspragmatiker" wächst, also Menschen, die abseits religiöser Sinnangebote ihren Alltag "praktisch und oft auch erfolgreich bewältigen".

Regina Polak betont, dass sich die religiöse Situation in Europa nachhaltig verändert hat. Die freiheitsgewohnten Europäer/innen fragten nicht mehr: Warum Religion? Warum Kirche?, sondern die Institution müsse sich gegenüber den Einzelnen legitimieren. Das wirke, so Polak, massiv auf die Kirche(n) zurück: "Der Erosionsprozess des Kirchlichen ist unübersehrbar." Die Kirche aber habe nicht gelernt, ihre Erfahrungshorizonte an die Gegenwart anzupassen.

Der Befund, dass traditionelle Kirchlichkeit in Österreich stark schwindet, ist ebenso wenig überraschend wie die Feststellung, dass die religiöse Landschaft bunter und unübersichtlicher wird.

Dennoch spiegeln einige Religions-Daten dramatische Veränderungen wider: So ist der starke Rückgang der Religiösen in Österreich (siehe Diagramme oben) auf Erosionsprozesse bei den Jungen zurückzuführen: Nur mehr gut die Hälfte der 30-Jährigen schätzt sich selber als "religiös" ein.

Besonders auffällig ist die Veränderung gegenüber 1999 im ländlichen Bereich. Während in Wien die Zahl der sich als "religiös" Bezeichnenden fast gleich geblieben (54 Prozent) und gegenüber 1990 sogar um neun Prozent (!) gestiegen ist, findet, so die Studie, "Säkularisierung (Entkirchlichung) nun zeitverzögert auch im urban-ländlichen Milieu statt". Besonders in den Kleinstädten ist diese Entwicklung augenfällig.

Fall letzter Kirchenbastionen

Pastoraltheologin Polak unterstreicht, dass nun auch auf dem Land, das bislang als letzte Bastion herkömmlicher Kirchenbindung gegolten hat, die Abkopplung von traditioneller Religiosität greift. "Auch in den ländlichen Gebieten ist Modernität längst vollzogen; so ändern sich auch hier die religiösen Erlebnisformen", heißt es in der Studie, die aber von der "Wiederkehr der Religion" nicht ganz Abschied nimmt: "Die These von der Wiederkehr der Religion hat sich vor allem auf die Entwicklungen im großstädtischen Bereich bezogen."

Co-Autorin Polak liegt vor allem daran, dass die Befunde der Studie die kirchlichen Zukunftsstrategien beeinflussen: "Die Kinder- und Jugendfrage muss ganz oben auf der Agenda der Kirchen stehen", präzisiert sie angesichts der alarmierenden Zahlen. Ähnliches gelte - auch das legen die Daten nahe - für die Frauen, die gerade am Land immer mehr die Inkompatibilität eines traditionellen Frauenlebens mit der Realität erführen.

Die Studie, die sich ja auch auf die vorhergehenden Untersuchungen 1990 bzw. 1999 bezieht, stellt im Prinzip ein Monitoring der Entwicklung respektive der Erosion des Christentums im Lande dar. Der in den letzten Jahren auch in Österreich immer sichtbarer werdende Islam wurde von der Studie - auch aus Kostengründen, wie Polak erläutert - nicht quantitativ erfasst. Muslime kommen aber bei den politischen Implikationen, die sich auch aus dem Religionsteil der Wertestudie ergeben, ins Spiel.

Da zeigt sich, dass in den aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten das Christentum - abseits aller Erosions-Befunde - als "Nationalreligion" auch der Österreicher verstanden wird. Dementsprechend werden etwa Konflikte in der Integrationsdebatte "religionisiert", wie die Studie es benennt, "sodass, Migration' und, Islam' nahezu synonym erscheinen". Die Studie nimmt denn auch direkt auf den EU-Wahlkampf der FPÖ mit dem Slogan "Abendland in Christenhand" Bezug.

Auch Christen sind Fremdenfeinde

Dieser Slogan ist für Polak ein Paradebeispiel dafür, was man "Kulturchristentum" nennt, und das mit Christentum im religiösen Sinn oder mit Kirchlichkeit weniger zu tun hat als mit einer autoritären und restaurativen Verteidigung christlicher Kultur. Dass die politische Rechte diese fragmentierte Sicht des Christentums entdeckt hat, ist hier evident.

Religion ist kein Faktor für die politische Einstellung, erläutert Regina Polak. In Bezug auf die politische Einstellung der Österreicher/innen hat die Studie auch Erschreckendes zutage gefördert: Die globale Transformationskrise hat Österreich erreicht. Die Österreicher/innen denken national und nicht global, eine reiche Gesellschaft dreht sich nach innen. Der auffälligste Befund dafür ist die ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit, die Polak als äußeres Zeichen für wachsenden Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit deutet. Fremdenfeindlichkeit läuft nicht über Parteizugehörigkeit - und eben auch nicht über die Religion. Polak: "Die Christen im Land sind genauso fremdenfeindlich wie die andere Bevölkerung, sie denken genauso wenig kosmopolitisch wie der Rest des Landes."

So hat die Bestandsaufnahme der Wertestudie auch im Religions-Teil eine eminent politische Dimension. Dass etwa Fremdenfeindlichkeit keine christliche Option oder Position darstellt, mag klar sein. Doch - Polak wird nicht müde, darauf hinzuweisen - die üblichen Deute- und Handlungsschemata zur Krisenbewältigung taugen nicht mehr. Den Kirchen gelinge es dennoch nicht, sich von diesen althergebrachten Mustern zu lösen. Theologin Polak: "Eine bestimmte Form des katholischen oder christlichen Lebens geht zu Ende. Das bedingt neue Herausforderungen - etwa dass die Kirchen nicht nur eine Trost- und Schutzfunktion für den Einzelnen einnehmen, sondern Motor werden sollten für gesellschaftliche Entwicklung."

Die Österreicher innen

Wertewandel 1990-2008. Ch. Friesl, R. Polak, U. Hamachers-Zuba (Hg.) Czernin Verlag, Wien 2008. 348

S., kt., e 23,-

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