6679316-1961_36_05.jpg
Digital In Arbeit

An den Rand geshrieben

Werbung
Werbung
Werbung

DIE HERBSTARBEIT HAT BEGONNEN. Die erste Woche der beginnenden innenpolitischen Herbstarbeit stand auf seiten der Volkspartei im Zeichen wachsender Aktivität der Bünde und des vorsichtigen Abtastens der gegenseitigen Möglichkeiten und Schwächen. Zuerst trat der österreichische Bauernbund auf den Plan und setzte die Kampagne zur Durchsetzung seiner Forderungen fort, in deren Mittelpunkt der Wunsch nach ausreichender Dotierung des Grünen Planes steht. Die am vergangenen Montag begonnene Aussprache zwischen Bundeskanzler und Finanz- minister einerseits, Bauernbundver- tretern anderseits, zeigte gleich am Anfang vor allem die starke Bereitschaft des Bundeskanzlers nach einem Kompromiß, der zur Stunde zwar noch aussteht, der aber zweifellos den in der gegenwärtigen Lage berechtigten Bauernwünschen weitgehend Rechnung tragen wird. Der österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund schlofj sich den Forderungen der Bauern sowohl aus wohlerwogenen taktischen, aber auch aus sachlichen Gründen an, denn man weif) auch in der Laudongasse, daf) die vielkritisierfen landwirtschaftlichen Preissubvenfionen letztlich dem Konsumenten zugute kommen. Unter diesen Umständen beeilte sich auch die Industriellenvereinigung, die Bauern ihres Wohlwollens zu versichern, allerdings auch mit der schlichten Feststellung, daf) man an der Bewertungsfreiheit für industrielle Investitionen „selbstverständlich" auch iq Zukunft festhalten werde. Der Wirtschaftsbund, mit Altbundeskanzler Raab an der Spitze, versammelt seine Funktionäre ebenfalls. Der Finanzminisfer will, daf) das Budget 1962 „nicht währungsschädlich, aber investiiionsfreundlich" sein soll. Das ist freilich ein vieldeutiger Satz. Nun wird sich dazu vor allem die Gegenseite vernehmen lassen müssen.

NICHT FOLTERN! Neunzehn Vertreter des geistigen Lebens in Österreich haben sich dieser Tage in einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt, um gegen die Mißhandkiqgen, die zahlreiche durch die italienische Polizei verhaftete Südtiroler erleiden mufiten, zu protestieren. Die Unterzeichneten betonen in ihrer der Presse übergebenen Erklärung, dafj Gewalttaten als Mittel der Politik überhaupt abzulehnen seien, die Menschenwürde jedoch selbst an solchen Gewalttaten Schuldigen geachtet werden müsse. Verschiedene Dokumente aus Südtirol bestätigen die Tatsache, daf) im Lauf von Untersuchungen zur Entdeckung von Sprengstoffatfenfätern Südtiroler, die man nur als Zeugen verwenden wollte, so schwer mißhandelt wurden, daß sie sich nach ihrer Entlassung in Spitalspflege begeben mußten. Diese Männer berichteten über Folfer- melhoden, die man üblicherweise nur in Diktaturstaaten anwendet. Die Unterzeichneten fordern eine unparteiische Untersuchung der Vorgänge in Südtirol und geeignete Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Übergriffe. Dieser Forderung und dem gleichzeitig ausgesprochenen Wunsch nach Anwendung „friedlicher Mittel" bei einer gerechten Lösung der Südtirolfrage müßten sich wohl im Geiste alle anschließen, die auch sonst für Freiheit, Rechtsstaat und Menschenwürde eintreten. Die Forderung, daß mit den Folterungen von Südtirolern Schluß gemacht werde, geht alle an. Sie wurde von den neunzehn Professoren, Publizisten, darunter auch von angesehenen Ordensleuten, überzeugend und beispielgebend vorgetragen.

FUSION UND GERECHTIGKEIT. Zur gleichen Zeit und nur wenige hundert Meter voneinander entfernt tagen gerade jetzt zwei Gremien in Salzburg, von denen nicht nur unser Land, das sich nun wieder ganz in die eigenen Kirchturmsfragen einzuspinnen beginnt, sondern auch die weitere Umwelt größere Kenntnis nehmen sollte. Die Naturwissenschaftler, die sich mit der friedlichen Nutzung der Atomenergie befassen, untersuchen die Möglichkeiten einer unter menschlicher Kontrolle vor sich gehenden Kernfusion, die von der praktisch unerschöpflich vorhandenen Substanz Wasserstoff ausgehen könnte. Damit wäre der Energiebedarf der Menschheit für alle Zeiten gesichert. Von nicht geringerer Wichtigkeit für die allen gemeinsame Zukunft aber ist auch die in der Stille wissenschaftlichen Disputs vor sich gehende Arbeit der Internationalen Gesellschaft für Völkerrecht, als deren prominentester Gast Prof. Kelsen, der Schöpfer unserer Verfassung nach Jahrzehnten der Vertreibung wieder in unserem Land weilt. In seiner Eröffnungsansprache verwies der Außenminister auf ein in Bildung begriffenes Element des internationalen Lebens, das er nach einer Definition Scelles „milieu inter- social” nannte und das seiner Meinung nach eben jenen faßlichen Teil des Begriffes „Gerechtigkeit" dar- sfellt, die hinter dem geschriebenen Recht erkennbar und appellabel sein müsse. Man weiß, daß gerade das reife Altersdenken Kelsens, der bestimmt nicht der Mann leichter und vorschneller Lösungen ist, um diesen Bereich kreist. Im Grunde geht es um das, was man in der allgemeinen Rechfssprache „Treu und Glauben” nennt. Es ist eine aller offiziellen Ak- klamierung werte Ehre, die unserem Land dadurch widerfährt, daß sich die berühmtesten Juristen des Völkerrechts gerade auf unserem Boden mit diesem lebenswichtigen Problem der recht verstandenen Koexistenz, einer „Koexistenz in der Wahrheit", wie sie Pius XII. nannte, beschäftigen.

VERBRECHERISCHE ORGANISATION! Was immer auch die Sowjets in ihrer zähen Einkreisungspolitik um Berlin von den Westmächten fordern; sie tun es mit einer durchdachten und auf den ersten Ton hin bieder- männisch-wohlklingenden Begründung. Daß die Luftkorridore nicht dazu da seien, Kriegsverbrecher und berufmäßige Hetzer über die Zufahrtswege der Alliierten nach Berlin zu befördern: Welcher Zeitungsleser der westlichen Welt, deren Bürger so ihre eigenen Erfahrungen mit gewissen Deutschen haben, wollte ihnen da sofort widersprechen? Wer wollte schon als Soldat dafür sterben, daß die Teilnehmer eines Soldafentreffens ungehindert und unter Geleitschutz der USA nach West-Berlin fliegen können? (Wo sie dies nebenbei doch auch viel bequemer im Burgenland haben können, wohin man mit der Eisenbahn fahren kann, sogar über Freilassing.) Aber dann kommt es eben vor, daß sich die Sowjets oder ihre der Dialektik noch nicht ganz mächtigen Pankower Satrapen verplappern. Wenn sie etwa den Rafs- vorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Präses Scharf — einen KZ-Häftling des Hitler-Regimes übrigens — mit Dummdreistheif plötzlich daran hindern, von einer kurzen Dienstfahrt, die er mit Zonenausweis nach West-Berlin angestellf hatte, in sein Domizil im Osfsektor zurückzukehren. Und wenn sie diese den offenen Kirchenkampf einleitende Maßnahme damit begründen, daß Präses Scharf einer „verbrecherischen Organisation", nämlich dem Rat der Evangelischen Kirche, angehöre. Dann stutzt man wohl doch ein wenig, auch wenn man weif vom Schuß lebt.

DIE KRISE IN BRASILIEN BEIGELEGTI

Die politische Krise in Brasilien, die durch den Rücktritt des Staatspräsidenten Janio Quadros ausgelöst wurde, konnte, trotz anhaltender Widerstände seitens opponierender Militärkreise, anscheinend nun doch beigelegt werden. Noch im letzten Augenblick versuchten Luftwaffenoffiziere, eine Parlamentsdelegation, die den rechtmäßigen Nachfolger Quadros’, den bisherigen Vizepräsidenten Goulart, in die Hauptstadt bringen sollte, am Abflug zu hindern. Der Flugplatz wurde von Truppen besetzt und Goulart aufgefordert, weiterhin im Süden des Landes zu bleiben. Der Ausgang des bisher, wenn auch nicht völlig stillen, aber noch unblutigen Kräftemessens schien wieder völlig offen. Die Kompromißformel, auf die sich die streitenden Parteien geeinigt hatten, sah vor, daß neben dem rechtmäßigen Präsidenten, der ohne Zweifel nur der vielen als „Freund Castros” nicht genehme Vizepräsident Goulart und niemand anderer sein konnte, ein Ministerpräsident ernannt werden soll. Die hierzu notwendige Verfassungsänderung wurde in beiden Häusern des Kongresses mif großer Mehrheit beschlossen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung