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Die Kirche muß progressiv sein

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An der bpitze des neutigen Kommentars muß ein Wort zur feierlichen öffentlichen Sitzung vom Donnerstag, den 28. Oktober stehen, in der drei Dekrete von großer Bedeutung für das innere Leben der Kirche, über die Bischöfe, die Ordensleute und die Priesterausbildung und zwei Erklärungen über die christliche Erziehung und die nichtchristlichen Religionen endgültig verabschiedet, gebilligt und veröffentlicht wurden. Der Papst hat diesen Tag in seiner Ansprache unter das Motto gestellt: Die Kirche lebt. Nicht weniger als neunmal kehrt die Rede vom Leben der Kirche wieder. Er sieht die konziliaren Dokumente als handgreiflichen Beweis dafür, daß die Kirche voller Lebenskraft ist. „Nicht dazu seid ihr hierhergekommen, um festzustellen, daß die Kirche im Greisenalter steht, sondern um die jugendliche Kraft ihrer immer neuen Vitalität zu erleben.“

Denn, so sagt der Papst, das Werk Christi muß im Laufe der Geschichte nicht nur erhalten werden wie eine Konserve, sondern es muß auch etwas Neues erbaut werden, das heißt, die Kirche muß progressiv sein, sie muß wachsen. Eben das habe Christus gemeint, wenn Er (Math. 16/18) sage, auf Petrus, dem Felsen, werde Ich Meine Kirche erbauen. Nämlich im Laufe der Geschichte. Und eben dasselbe meine Paulus (Eph. 4, 11 ff.), wenn er vom Aufbau des Leibes Christi bis zur vollen Mannesreife spreche. Der Papst bekannte sich also zur progressiven, nicht zur konservativen Kirche.

Das ist eine klare Antwort an alle, die sich von dem überwältigenden Phänomen der Veränderungen in der Kirche verwirren lassen. Denn bei alldem bleibt die Kirche in ihrem Wesen immer gleich, ohne Bruch in ihrer fruchtbaren Lebenskraft. Tatsächlich finden durch diese neuen Erlässe namhafte Veränderungen statt. Die Bischöfe und zumal die Bischofskonferenzen erhalten eine weitgehende Selbständigkeit. Das wirkt sich auch auf die Ausbildung des Klerus aus, die zum großen Teil ihnen überlassen wird. Ihre Initiative dürfte dadurch einen kräftigen Impuls erfahren. Überall werden nun auch diözesane Seelsorgeräte entstehen, in denen neben Priestern und Ordensleuten auch die Laien ein entscheidendes Wort mitzureden haben werden.

Ein Beispiel für diese veränderte Lage stellt nach einer Pause von 12 Jahren die Wiedereinführung der Arbeiterpriester in Frankreich dar. Der französische Episkopat hat sie, natürlich mit Billigung des Heiligen Stuhles, aber in eigener Verantwortung, beschlossen. Hieß es noch bei der Abschaffung dieser Mission unter der Arbeiterschaft durch das Heilige Offizium, daß die Vollbeschäftigung eines Priesters als Arbeiter mit dem Wesen des Priester-tums nicht vereinbar sei, so heißt es jetzt wörtlich, es handle sich hier um eine wesentlich priesterliche Aufgabe, denn sie diene der Verkündigung des Evangeliums.

Freilich wird man den Mängeln des ersten Experimentes und der veränderten sozialen Situation Rechnung tragen müssen. Die neuen Arbeiterpriester sollen eine sorgfältige Spezialausbildung erhalten, sie sollen nicht allein, sondern in kleinen Gruppen zusammen leben, der Kontakt mit der normalen Pfarrei soll aufrechterhalten bleiben. Aber die Arbeiterpriester werden vollbeschäftigte, bezahlte Arbeiter sein, von ihrer Arbeit leben. Sie dürfen auch Gewerkschaften beitreten, doch müssen sie es den katholischen Laien überlassen, in ihnen verantwortliche Posten zu übernehmen. Das Anliegen ist immer: Die Kirche soll überall gegenwartig sein, aucn aurcn ihre Priester, vor allem unter den Schichten der Bevölkerung, die am ärmsten sind und die das härteste Leben führen müssen.

Familienväter als Diakone

Ein zweites Zeugnis der tiefgreifenden Veränderungen, welches sich anter der Verantwortung der Bischöfe abzeichnet, scheint unmittelbar bevorzustehen: die tatsächliche Einführung des Diakonates. Sie soll für unverheiratete Diakone im Alter von 25 bis 30 Jahren, für verheiratete im Alter von 35 bis 40 Jahren, Familienväter, die sich bewährt haben, in verschiedenen Ländern rasch realisiert werden. Das zweite erfordert eine besondere Erlaubnis des Papstes, doch diese wird offensichtlich bereitwilligst erteilt.

Vor einer Woche hielt Paul VI. bei einer internationalen Studienkonferenz in französischer und deutscher Sprache eine Rede. Er wies dabei auf die Notwendigkeit einer gründlichen Ausbildung der Diakone hin und fügte bei: Wenn die Lebensformen der Diakone auch verschieden sein können, zölibatäre und verheiratete Diakone, so kann doch nur ein frommer und eifriger Diakon den Bischöfen und Priestern eine echt brüderliche Hilfe leisten. „Gebe Gott, daß eure Arbeit Frucht trage! Die Stunde ist da, die Konzilsbeschlüsse ins Werk zu setzen!“

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